Schreibkunst

[424] Schreibkunst, 1) die Kunst, Gedanken durch bestimmte Zeichen mit allerhand Schriftarten (s. Schrift) u. auf allerhand Schreibmaterial (s.d.) dem Auge erkennbar darzustellen. Am frühesten begegnet die S. im Orient u. in Ägypten zu Aufzeichnungen mit Bilder- u. Keilschrift in Stein gebauen u. in Ziegel gegraben od. eingedrückt, Von dem eigentlichen Schreiben, d.h. der Gedankendarstellung durch Aufzeichnen mittelst Pinsel od. Rohr auf weichere Materialien, sind Zeugnisse erst aus dem 8. u. 7. Jahrh. v. Chr. nachweisbar. Diese Art des Schreibens kommt auch zuerst bei den Semiten vor u. namentlich wurde sie durch dir Phöniker nach Westen verbreitet, bes. nach Griechenland, wo aber erst im 6. Jahrh. v. Chr. ein umfassender Gebrauch von der S. gemacht wurde, u. von da nach Etrurien, Rom u. Südgallien, später erst zu den östlichen Slawen; das römische Schreibwesen kam dann nach den übrigen Gallien, Spanien, Britannien, Skandinavien (wo vorher Runen [s.d.] in härtere Materialien gerissen od. geritzt worden waren) u. nach Deutschland. In den ältesten Zeiten waren allenthalben die Priester, in christlichen Ländern die Mönche, im ausschließlichen Besitz der S., daher sie hier auch Ars clericalis hieß u. den Kundigen Galgenfreiheit (Beneficium clericorum) brachte. In den Klöstern waren zum Schreiben besondere Zellen (Scriptoria), in welchen die Mönche ihre aufgegebenen Pensa fertigen mußten, u. nicht allein Mönche, sondern auch Nonnen u. Ordensschwestern schrieben Bücher ab. Erst mit der Verbesserung der Schulen durch die Reformation wurde die S. auch unter den Laien verbreiteter. Am allgemeinsten u. durch alle Stände verbreitet ist das Schreiben in Deutschland, während es in vielen anderen Ländern großentheils nur Kenntniß der Gelehrten ist. 2) Die Kunst, eine Schrift mit, dem Auge wohlgefälliger Form zu schreiben, welche Kunst bes. in Büchern für vornehme reiche Privatleute, so wie für öffentliche Bibliotheken geübt wurde. Solche Schönschreiber (Kalligraphen) waren im Alterthum entweder Freie niederen Standes, od. auch Sklaven, welche in hohem Preis standen u.[424] deren von reichen, die Wissenschaft liebenden Männern oft mehre gehalten wurden. Geschätzt waren die mit Gold u. Farbemalereien verzierten Anfangsbuchstaben ganzer Bücher od. auch einzelner Abschnitte (s.u. Chrysographie, Kalligraphie 2) u. Briefmaler), welche Kunst schon den Griechen bekannt war u. dann hauptsächlich in den christlichen Klöstern ausgebildet u. mit großem Zeitaufwand getrieben wurde. In dieser Hinsicht zeichnete sich im Mittelalter bes. das Kloster St. Gallen aus. Die neuere Zeit hat auch die Malerei noch in anderer Weise mit der Schrift vereinigt (Schreib-, Schriftmalerei), indem sie durch die klein u. niedlich geschriebenen Wörter u. Zeilen die Striche des Stiftes u. des Pinsels nachzuahmen versuchte u. so Figuren bildete, z.B. Luthers, Napoleons u.a. Bilder, wo die Schrift Lobreden od. die Geschichte der so abgebildeten Personen enthält; der Anfang wurde schon im 16. u. 17. Jahrh. gemacht, u. bes. in Nürnberg fanden sich solche Künstler, welche man Modisten nannte, u. man findet hin u. wieder auf Bibliotheken noch derartige Kunstwerke. Zur Schriftmalerei gehören auch mehre Darstellungen des Vater unser, der 10 Gebote etc., welche in gleicher Weise u. mit Anbringung aller Schriftarten verfertigt sind. Vgl. H. Hugo, De prima scribendi origine, 1617, n.A. von Ch. H. Trotz, Utr. 1738; I. G. Wachter, Naturae et scripturae concordia, Lpz. 1772; Hug, Die Erfindung der Buchstabenschrift, Ulm 1801; I. G. Amelang, Vom Alterthum der S., Lpz. 1800; Ch. F. Weber, Versuch einer Geschichte der S., Gött. 1807; Freret, Réflexions sur les principes généraux de l'art d'écrire, in den Memoiren der Akademie, Bd. 6, S. 609 ff.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 15. Altenburg 1862, S. 424-425.
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