Eiserne Maske

[646] Eiserne Maske wird jener räthselhafte Gefangene genannt, der in Frankreich unter Ludwig XIV. Regierung 41 Jahre lang mit dem größten Geheimniß verwahrt wurde und dessen eigentliche Persönlichkeit vielleicht nie an den Tag kommt. Er wurde zuerst 1670 dem Commandanten des Schlosses Pignerol, Saint-Mars, übergeben, der ihn mit nach der Insel Marguerite und nach der Bastille nahm, als er Befehlshaber derselben wurde. Der Unglückliche besaß ein edles Äußere und eine sehr gute Erziehung, unterhielt sich meist mit Lesen und Guitarrenspiel, ward mit größter Auszeichnung behandelt und erhielt alle unschädlichen Wünsche gewährt, mußte aber beständig eine schwarze Sammtmaske tragen, die so eingerichtet war, daß er darin essen und trinken konnte. Durch Ablegen derselben hätte er sein Leben verwirkt, und als er einmal etwas auf einen silbernen Teller geschrieben und diesen zum Fenster hinausgeworfen hatte, von wo ihn aber ein armer Fischer an Saint-Mars zurückbrachte, erhielt der Finder nur die Freiheit wieder, weil er des Lesens völlig unkundig war. Der Gefangene starb 1703 in der Bastille nach einer Krankheit von wenigen Stunden, ward unter dem Namen Marchiali begraben und alle Gegenstände, die er in Gebrauch gehabt, mußten verbrannt, sogar die Wände seines Zimmers abgekratzt und der Fußboden aufgerissen werden, damit nirgend eine Spur von ihm zurückbleibe. Von den mancherlei Vermuthungen über seine Person sind die, daß er der Graf von Vermandois, Sohn Ludwig XIV. und des Fräulein von La Vallière, oder der in Ungnade gefallene Finanzminister Fouquet, sowie der Herzog von Monmouth gewesen, zum Theil thatsächlich widerlegt; den meisten Glauben fand noch die Meinung, er sei ein Graf Mattioli, Minister des Herzogs von Mantua, der sich Ludwig XIV. Zorn zugezogen, oder ein von Anna, der Gemahlin Ludwig XIII. außer der Ehe vor Ludwig XIV. geborener Sohn gewesen, dessen Dasein der König erst nach des Cardinals Mazarin Tode erfahren und nun die Ehre seiner Mutter, sowie sich selbst gegen etwaige Intriguen auf so harte Weise gesichert habe.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 646.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien: