Hirsch

Hirsch
Hirsch

[391] Hirsch (der) ist eine zahlreiche Gattung der Säugthiere, welche sich durch Zierlichkeit des Körperbaus, ästige Hörner, Geweih genannt, welche jedoch die Weibchen in der Regel nicht haben, und Thränengruben unter den Augen auszeichnet.

Die Hörner werden alljährlich abgeworfen und durch neue ersetzt; der Schwanz ist kurz, der Leib schlank, die Beine sind hoch und dünn und haben gespaltene Hufe. Die Hirsche sind scheu und flüchtig und nur einige werden während der Brunstzeit muthig und wild. Sie leben von Gras, Baumknospen u. dgl. und sind ein beliebtes Jagdwild. Am bekanntesten ist der nachstehend abgebildete gemeine oder Edelhirsch, auch Rothwild genannt. Der männliche Hirsch heißt der Hirschbock, das Weibchen Hirschkuh, Thier oder Hindin. Jener ist größer und stärker als diese und wird bis 6 F. lang, 3–400 Pf. schwer. Der Hals ist lang und zottig, der Kopf klein mit großen Augen. Im Sommer sind die Hirsche gelb oder braunroth, im Winter aber werden sie graubraun; der Unterleib ist weißlich. Der junge Hirsch heißt Hirschkalb, das junge Thier Wildkalb und, wenn es schon größer ist, aber noch kein Junges geworfen hat, Schmalthier. Die Thränengruben unter den Augen sind einen Zoll tief und enthalten eine weiche, mit Haaren untermischte schmierige Masse, welche allmälig verhärtet und durch Reiben vom Hirsche entfernt wird. Man schrieb ihr sonst unter dem Namen Hirschbezoar heilsame Kräfte zu. Die Hörner des Hirsches sitzen auf zwei aus der Stirn als Fortsetzungen des Stirnbeins hervorragenden, in einen knorrigen Ring ausgehenden Knochen, den sogenannten Rosenstöcken. An den Ringen, den Rosen, lösen sich im Frühjahre die Geweihe ab, aber bald wächst ein neues Geweih, welches größer und zackiger als das abgefallene wird. Anfangs ist es ein weicher Knorpel und von einer haarigen Haut überzogen, und in dieser Gestalt wird es als Sallat geschnitten und verspeist. Bald aber wird es fester Knochen und verliert durch Reiben an Bäumen den haarigen Überzug. Beim Kolbenhirsch ist das Geweih noch jung und mit der Haut überzogen. Das Hirschkalb bekommt nach dem ersten Jahre zwei Spieße ohne Enden (Zacken) und heißt Spießer, nach dem zweiten Jahre hat das Geweih zwei Enden und der Hirsch heißt Gabelhirsch. Von nun an bekommt der Hirsch im Durchschnitt jährlich zwei Enden mehr und heißt Sechsender, Achtender u.s.w. Mehr als 16–18 Enden kommen aber in der Regel nicht vor, obwol man z.B. zu Moritzburg in Sachsen ein Geweih mit 66 Enden hat. Das Geschrei des Hirsches, welches Orgeln genannt wird, gleicht einigermaßen dem Brüllen des Ochsen. Man findet die Hirsche außer der Begattungszeit in Rudeln. Während der Begattungszeit, welche von Anfang Septembers sechs Wochen dauert, wird der männliche Hirsch wild, und treffen zwei männliche Hirsche zusammen, so geht es selten ohne Kampf ab, der zuweilen mit dem Tode des einen oder beider Gegner endet. Die Hirschkuh wirst nach 40 Wochen gewöhnlich nur Ein Junges. In den gemäßigten Klimaten der ganzen alten Welt und Amerikas, besonders aber in Europa und in Nordamerika, findet sich dieses edle Wild in den Gegenden, welche dichte Waldungen haben. Die Hirschjagd gilt für die edelste Art der Jagd und ist am kunstvollsten ausgebildet. Man fängt den Hirsch entweder [391] in Netzen oder schießt ihn mit der Kugel aus der Büchse. Das Fleisch desselben gibt ein wohlschmeckendes und gesundes Wildpret; aus der Haut macht man Pelze und Müsse, vorzüglich aber Sämischleder, aus welchem Handschuhe, Beinkleider, Decken, Degenkuppeln u.s.w. verfertigt werden. Die Hirschhaare werden zum Polstern und zu Haardecken verwendet. Das Hirschgeweih oder Hirschhorn wird zu vielerlei Drechslerarbeit, besonders zu Messergriffen, und die beim Drechsler abfallenden Späne, das geraspelte Hirschhorn, werden als Klärungsmittel des Weins, Biers und dergl., sowie zur Bereitung nahrhafter Gallerte verwendet. Aus dem Geweih, sowie aus den Knochen und Knorpeln der Hirsche und anderer Thiere bereitet man Hirschhorngeist, Hirschhornöl und Hirschhorntalg, welche, weil sie ein trockenes, flüchtiges Salz und ein übelriechendes, brenzliches Öl enthalten, in der Medicin angewendet werden. Das gebrannte Hirschhorn oder Beinschwarz, dessen sich die Gold- und Silberarbeiter zum Poliren bedienen, wird aus in Stücken zersägten Geweihen bereitet und ist kohlschwarz, wird jedoch durch Brennen im freien Feuer weiß. Das Hirschtalg wird zu Salben und Pflastern verwendet.

Zum Geschlecht der Hirsche gehören noch das Reh (s.d.), das Rennthier (s.d.), das Elendthier (s.d.) und der Damhirsch. Der letztere ist etwas kleiner als der Edelhirsch und hat ein dünneres und platteres Geweih, welches in lange, breite Schaufeln ausgeht und viele, aber kurze Ecken hat. Im Sommer ist die Haut dieses Hirsches glänzend rothbraun, mit kleinen weißen Flecken auf Rücken, Keulen und Schultern. Ein weißer Streifen geht vom Blatte horizontal bis zu den Keulen, senkt sich dann in einem Winkel etwas herab und läuft bis zum Schwanze hin. Im Winter untermischen sich die Haare mit dunkelbraunen und grauen. Es kommen zuweilen auch ganz weiße, sowie ganz schwarze Damhirsche vor. Dieser Hirsch liebt mehr die wärmern Gegenden der gemäßigten Klimate und wird in Deutschland nur an einigen Orten in Thiergärten gehalten. Fleisch. Haut und Talg der Damhirsche wird dem der Edelhirsche vorgezogen. Auch läßt sich der Damhirsch noch leichter als der Edelhirsch zähmen, weil er von Natur weniger wild ist.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 391-392.
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