Kanzler

[547] Kanzler ist der Titel, den verschiedene hochgestellte Beamte zu erhalten pflegen. Ursprünglich ist derselbe derjenige Beamte, welchem die Ausfertigung öffentlicher Schriften in Staatsangelegenheiten anvertraut ist, und der daher die Oberaufsicht hat über die Kanzlei, d.h. den Ort, an welchem die Ausfertigung jener Schriften geschieht. Da diese schon an sich von großer Wichtigkeit ist, da aus den Worten jener Schriften die wichtigsten Rechte abgeleitet werden, so mußte der Kanzler eine hohe Stellung und bedeutende Wichtigkeit erhalten, besonders in Zeiten, in denen die Kunst des Schreibens und des schriftlichen Ausdrucks noch seltener als gegenwärtig und der Kanzler es war, welcher die Willensbeschlüsse des Fürsten bekannt machte, Urkunden, Gesetze, Urtheile u.s.w. abfaßte. Er gehörte daher zu den obersten Hofbeamten und da er gelehrte Bildung besitzen, sowie ein des Vertrauens womöglich schon durch seine sonstige Stellung würdiger Mann sein mußte, so wurden bald vorzugsweise Geistliche mit diesem Amte bekleidet. In Deutschland wurde endlich der vornehmste Priester des Reiches, der Erzbischof und Kurfürst von Mainz, bleibend als Erzkanzler anerkannt. Derselbe dirigirte als solcher den Reichstag, leitete die Reichsgeschäfte und beaufsichtigte die Reichskanzleien. Am Hofe des Kaisers bestellte der Erzkanzler einen Vicekanzler, welcher die Stelle eines Reichsministers verwaltete. Auf ähnliche Weise war der jedesmalige Abt von Fulda Erzkanzler der Kaiserin. Den Titel, aber nicht wirklich das Amt eines Erzkanzlers von Italien führte der Erzbischof von Köln und ebenso war der Erzbischof von Trier Erzkanzler von Gallien und Arelat, dem früher mit Deutschland vereinigten Königreiche Burgund. – In Frankreich war der Kanzler der vornehmste Beamte und der einzige, welcher, einmal ernannt, nicht wieder entlassen werden konnte. Wollte man ihn außer Thätigkeit setzen, so ernannte man einen Siegelbewahrer. Seine Geschäfte waren die eines Justizministers und man übertrug daher die Würde desselben vorzugsweise Männern, welche sich mit den Rechtswissenschaften beschäftigt hatten, doch blieb als ein Überrest der ursprünglich geistlichen Würde die Sitte, daß die Farbe der Kleidung, sogar der Mobilien und des Wagens des Kanzlers schwarz sein mußte. Neben dem Kanzler von Frankreich hatten noch die einzelnen Mitglieder des königl. Hauses, die Universitäten, die Ritterorden u.s.w. eigne Kanzler. – In England führt der erste Minister, der zugleich Präsident des Oberhauses, Justizminister, oberster Richter im Kanzleigericht und im Oberhause ist, den Titel eines Lord Großkanzlers. Das Königreich Irland und das Herzogthum Lancaster haben eigne Kanzler und außer diesen gibt es noch einen Kanzler des Lehnhofes und der Finanzkammer. In den verschiedenen deutschen Staaten hat man diesen Titel verschiedenen Oberbeamten, gewöhnlich Präsidenten von Gerichts- und Regierungsbehörden, ertheilt. Auch die Universitäten haben zum Theil ihre Kanzler. – In Preußen gab es eine Zeit lang einen Großkanzler, welcher Justizminister war, und der Fürst von Hardenberg (s.d.) führte den Titel eines Staatskanzlers. Hof- und Staatskanzler hieß in Östreich früher der Fürst Kaunitz und gegenwärtig der Fürst Metternich (s.d.) – Von der anfänglichen Bedeutung des Wortes Kanzlei wurde schon gesprochen. Dasselbe ist abgeleitet von dem lat. cancelli, welches Schranken bedeutet und woraus auch das Wort Kanzel für Predigtstuhl entstanden ist. Den Namen Kanzleien haben später häufig auch die höhern Gerichte erhalten, deren Vorsteher gewöhnlich Kanzleidirectoren oder Kanzleipräsidenten hießen. Man nennt auch Kanzlei in einigen Staaten das Personal der Subalternbeamten, welche damit beauftragt sind, die bei den höhern Collegien gefaßten Beschlüsse schriftlich auszufertigen (zu concipiren, extendiren) und nachdem sie gebilligt, ins Reine zu schreiben (zu mundiren). – Die öffentlichen Schriften, welche ursprünglich aus den Kanzleien kommen, müssen mit vollkommener Bestimmtheit, zum Theil unter Beobachtung gewisser, nach ihrem Wortverstande rechtlich anerkannter Ausdrucksweisen und nach streng richtiger Gedankenfolge, ohne ungehörige Einmischung der Persönlichkeit des Schreibers und mit einer den Gegenstand nur mit dem Verstande, nicht mit dem Gefühl auffassenden Klarheit abgefaßt sein. Auf diese Weise hat sich für öffentliche Schriften eine eigne Schreibart, der sogenannte Kanzleistyl, ausgebildet. Da man in demselben geflissentlich Neuerungen vermied, um nicht durch dieselben Gelegenheit zu möglichen Rechtsverdrehungen zu geben, so ist derselbe neben der sich lebendig fortentwickelnden sonstigen Schriftsprache des Volkes veraltet und hierdurch unverständlich geworden. Er ist daher mit sich selbst insofern in Widerspruch gekommen, als grade höchste Verständlichkeit sein vorzüglichster Zweck sein soll. Die, welche diesen Styl erlernt hatten, gefielen sich in seiner pedantischen Steifheit und setzten wol gar ein Verdienst hinein, recht absonderlich, altfränkisch und gelehrtklingend sich auszudrücken. In Deutschland hat man wegen seiner Schwerfälligkeit und Unverständlichkeit den Kanzleistyl ganz abgeschafft und namentlich in Preußen verordnet, statt desselben den gewöhnlichen Briefstyl einzuführen. Besonders der noch in England herrschende Kanzleistyl zeichnet sich durch Wortschwall, Geschraubtheit und Unbehülflichkeit aus.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 547.
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