Parlament

[417] Parlament (von parler, sprechen) kann man im Allgemeinen jede debattirende Versammlung nennen, eine bestimmtere historische Bedeutung erhielt aber dieses Wort in Frankreich und England. Die Parlamente in Frankreich waren nämlich ursprünglich Gerichtshöfe und zwar die höchsten im Lande und es gab deren 14, wovon das Parlament zu Paris, welches bis 1307 ein mit dem Hoflager des Königs wandernder Gerichtshof war, beiweitem die größte Bedeutung erhielt. Es bestand aus 196 ordentlichen und einer großen Anzahl von außerordentlichen Beisitzern, die Zahl der Advocaten aber, welche bei demselben practicirten, überstieg 500. Die Richter bestanden anfangs blos aus Vasallen des Königs, doch da der Adel größtentheils zu unwissend war, sah man sich bald genöthigt, auch Bürgerliche zu Richtern zu ernennen, welchen man in der Folge mit dem Eintritt ins Parlament den Adel verlieh, um das Herkommen aufrecht zu erhalten. Durch die Unzulänglichkeit und Schwäche der Nationalvertretung sah sich das Parlament später genöthigt, eine politische Rolle zu übernehmen, die ursprünglich gar nicht in seiner Bestimmung lag. Von wesentlichem Belang hinsichtlich dieser Wirksamkeit der Parlamente war das ihnen zustehende Recht, alle königl. Verordnungen oder Gesetze in ihre Protokolle einzutragen oder einzuregistriren, ohne welche Eintragung solche Gesetze keine Gültigkeit hatten. Wenngleich das Parlament nicht immer Kraft genug besaß, dem Druck und der Willkür zu steuern, auch die Könige sich oft durch Aufhebung der widerstrebenden Parlamente zu helfen suchten, so gab es doch auch Beispiele von hochherziger Aufopferung. So ließ Ludwig XI. einst bei Todesstrafe seinem widerstrebenden Parlamente die Einregistrirung einiger Gesetze anbefehlen, und sämmtliche Mitglieder erklärten, lieber sterben als ihr Recht opfern zu wollen. Unter Ludwig XV. wurden die alten Parlamente jedoch ganz aufgehoben (1771) und neue an ihre Stelle gesetzt, welche vom König ganz abhängig waren. Das Volk war darüber sehr unzufrieden, und Ludwig XVI. rief darum nach dem Antritte seiner Regierung 1774 die alten Parlamente zurück. Zwar machte auch er 1788 den Versuch, sie wieder zu vernichten, allein die Stimme des Volkes erklärte sich so laut für das Bestehen dieser Schutzwehren der Volksrechte, daß der Versuch aufgegeben werden mußte. Das Parlament von Paris erwarb sich die Volksgunst besonders durch Beantragung der Zusammenberufung der Stände; doch grade dieses Mittel, wodurch es seine Macht zu erweitern suchte, wurde die Ursache seines eignen Untergangs und die Parlamente wurden endlich (1790) von derselben Nationalversammlung, die ihnen ihre Entstehung verdankte, als eine nicht mehr zeitgemäße Institution, förmlich aufgehoben. [417] In England hatte das Parlament von Anfang an einen politischen Charakter und entstand aus den Versammlungen, welche schon zur Zeit der Angelsachsen Geistlichkeit und Adel bildeten. Unter den normännischen Königen wurden diese Versammlungen durch den Beitritt der Abgeordneten der Grafschaften und der Städte erweitert, und erhielten den Namen Parlament. Diese Versammlungen aber, sowie die Subsidienparlamente des 15. und 16. Jahrh. und das revolutionnaire Parlament von 1640 haben fast nichts als den Namen mit dem jetzigen Parlamente gemein. Dieses besteht im weitern Sinne aus dem Könige und den Ständen des Reichs, welche in zwei getrennten Versammlungen oder Kammern, dem Ober- und Unterhause, berathen. Die Gewalt des Parlaments, in Beziehung auf Gesetzgebung, ist unumschränkt; es kann die Gesetze bestätigen, abschaffen, modificiren und erklären und selbst die Verfassung ändern. Die Initiative steht jedem der beiden Häuser zu, jeder Gesetzvorschlag aber oder wie der eigentliche Ausdruck ist, jede Bill, welche die Rechte der Pairschaft berührt, muß von dem Oberhause, jedes Finanzgesetz dagegen von dem Unterhause ausgehen. Um in einem der beiden Häuser stimmen zu können, muß man 21 Jahre alt sein und kein Fremder, auch wenn er naturalisirt ist, kann im Parlamente sitzen. Über die Gültigkeit der Wahlen der auf sieben Jahre ernannten Mitglieder erkennt das Haus, zu welchem der Gewählte, deren im Oberhause 16 schot. und 28 irländ. Pairs sind, gehört. Kein Parlamentsglied kann, seiner Reden und seines Benehmens im Parlamente wegen, außerhalb desselben angeklagt oder zur Rede gestellt werden und auch in Civilsachen kann während der Sitzung des Parlaments keine Verfolgung eintreten. Der Präsident oder Sprecher des Oberhauses ist der Großkanzler, der Präsident oder Sprecher des Unterhauses wird vom Unterhause selbst ernannt, bedarf aber der königl. Bestätigung; er gibt keine Meinung ab und hat auch keine Stimme. Das Unterhaus hat das Recht, Ausschüsse zu ernennen, um über die verschiedenen Zweige der Verwaltung Untersuchungen anzustellen. Dem Herkommen gemäß darf ein Mitglied in derselben Sitzung nur einmal sprechen und die Verhandlungen sind auch nur herkömmlich, nicht gesetzlich öffentliche. Nachdem das Haus die Erlaubniß zur Einbringung einer Bill ertheilt, wird sie zweimal zu verschiedenen Zeiten verlesen, und jedesmal fragt der Sprecher die Kammer, ob sie den Antrag in Berathung ziehen wolle. Verwirft das Haus die Bill, was durch Annahme des Antrages, die zweite oder respective dritte Verlesung nach sechs Monaten vorzunehmen, geschieht, so kann sie in derselben Sitzung nicht wieder vorgebracht werden. Nach dem zweiten Verlesen wird die Bill an einen Ausschuß verwiesen, der gewöhnlich aus einigen Mitgliedern besteht; ist der Gegenstand aber von Wichtigkeit, dann bildet das ganze Haus den Ausschuß. In diesem Falle verläßt der Sprecher seinen Sitz, und ein anderes Mitglied, das zum Präsidenten ernannt wird, nimmt denselben ein. Hat der Ausschuß die Bill geprüft, so nimmt der Sprecher seinen Sitz wieder ein, und das Haus geht jeden Artikel derselben durch, um darüber zu berathen. Endlich wird die Bill zum dritten Male verlesen, und der Sprecher zeigt sie sodann dem Hause und fragt, ob es wolle, daß sie durchgehen solle. Ist sie angenommen, so erhält ein Mitglied des Hauses den Auftrag, sie nach dem Oberhause zu bringen, wo sie wie, der geprüft wird. Erfolgt die Annahme, wie sie vorgelegt worden, so wird das Haus der Gemeinen davon in Kenntniß gesetzt, wird sie verändert, dann erhält sie das Haus der Gemeinen zurück, um sie mit den vorgenommenen Veränderungen zu genehmigen. Billigt es diese nicht, so treten mehre Mitglieder von beiden Häusern zusammen, um sich zu verständigen, und gelingt das nicht, so bleibt die Angelegenheit bis zum nächsten Parlament liegen. Derselbe Gang wird beobachtet, wenn eine Bill zuerst im Oberhause durchgegangen ist. (S. Großbritannien.)

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 417-418.
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