Scheintod

[66] Scheintod nennt man den höchsten Grad von Ohnmacht, einen Zustand, in welchem bei noch fortbestehender Lebensfähigkeit sämmtliche Lebensäußerungen unterbrochen sind. Derselbe kann mehre Stunden, ja mehre Tage anhalten und hat die höchste Ähnlichkeit mit dem wahren Tode. Weder von Athemholen noch von Puls- und Herzschlag läßt sich etwas bemerken und der Körper ist blaß, kalt und unempfindlich. Stattfindende Zweifel über den Eintritt des wirklichen Todes werden durch das Erscheinen von violetten und blaugrünen sogenannten Todtenflecken am Rücken und den Bauchbedeckungen und einen von dem Körper ausgehenden fauligen Geruch gehoben. Dagegen sind als Zeichen des wiederkehrenden Lebens zu betrachten eine Spur von vermehrter Wärme in der Herzgrube, Anlaufen eines vor den Mund gehaltenen Spiegels, Erzittern einer vor den Mund gehaltenen Feder, Verkleinerung der Pupille auf die Einwirkung eines dieser nahe gebrachten Lichtes, ein kaum bemerkbares Heben und Senken der Brust, ein leiser, nach und nach sich verstärkender Herzschlag, das Erscheinen von Blut aus einer vorher vielleicht erfolglos geöffneten Ader, leichte Zuckungen in den Gesichtsmuskeln, leises Seufzen u.s.w. Der Scheintod pflegt auf die Einwirkung von Schädlichkeiten einzutreten, welche die Nerventhätigkeit, den Blutumlauf und das Athemholen unterbrechen, ohne doch das Leben ganz aufzuheben. So beobachtet man ihn vorzüglich in Folge von Krankheiten, bei denen hauptsächlich das Nervensystem ergriffen war, in Folge von Erschöpfung durch Blutverlust oder Hunger, ferner bei vom Blitze Getroffenen, Erstickten, Erhängten, Ertrunkenen, Erfrorenen und Neugeborenen, bei welchen letztern er sogar sehr häufig vorkommt, aber auch die meiste Hoffnung zur Lebensrettung zuläßt. Die Art der Wiederbelebungsversuche muß sich hauptsächlich nach der Art der Schädlichkeiten richten, welche den Scheintod herbeigeführt haben. Vor allen Dingen entferne man diese und bringe daher z.B. einen in schädlicher Luft Erstickten aus dieser in ein mit reiner Luft erfülltes Zimmer. Alles kommt auf gleichzeitige Wiederbelebung der Nerventhätigkeit und Herstellung des Blutumlaufes und Athemholens an. Über den Erfolg entscheidet eine verständige Auswahl der zu Gebote stehenden Mittel, die weder zu lang anhaltend fortgesetzte, noch zu kurz abgebrochene Anwendung derselben und die dabei zu beobachtende Stufenfolge. Behufs der Wiederbelebung der Nerventhätigkeit sind zu empfehlen eine gehörig geleitete und abgemessene Erwärmung des Körpers, Bürsten und Reiben desselben mit Flanelllappen, Reizung der Nasenschleimhaut und des Schlundes mit einem Federbarte, das Vorhalten von starken Riechmitteln, wie z.B. von Salmiakgeist, vor die Nase, Einreiben und Auströpfeln von Naphthen u. dgl. in die Herzgrube, reizende Klystiere von Essig, Tabacksrauch u.s.w.; zur Herstellung des Blutumlaufs und Athemholens Einblasen von Luft von einem lebenden Menschen. Unter Umständen, wo sehr beträchtliche Blutanhäufung im Gehirn und den Lungen anzunehmen ist, Blutentziehung durch Aderlaß, nicht aber in allen Fällen von Scheintod. Dabei vermeide man jedes zu stürmische Verfahren und unterbreche die Wiederbelebungsversuche von Zeit zu Zeit, um der etwa schlummernden Naturkraft die nöthige Ruhe zu gönnen, selbstthätig zu werden. Im Allgemeinen gilt die Regel, die Wiederbelebungsversuche wenigstens vier bis sechs Stunden fortzusetzen, wenn sich dann aber noch keine Spur von wiederkehrendem Leben zeigt, den Körper mit Freilassung des Gesichts in Decken einzuhüllen und so lange sorgsam zu beobachten, bis sich unzweifelhafte Merkmale des wahren Todes einstellen; denn oft erwachten Scheintodte erst nach Einstellung der Rettungsversuche, wo sie sich in Ruhe und Stille befanden, wieder zum Leben. Über die besondern Maßregeln, welche bei Erfrorenen, Erstickten, Erhängten, Ertrunkenen zu ergreifen sind, siehe die Artikel: Erfrieren, Ersticken, Ertrinken u.s.w.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 66.
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