Skrofeln

[208] Skrofeln, Skrofelkrankheit, Skrofelsucht wird eine Krankheit des kindlichen Alters genannt, welche zunächst auf fehlerhafter Verdauung mit vorwaltender Säurebildung, später aber auf einem Leiden des gesammten lymphatischen Systems (s.d.) beruht, das sich besonders durch Drüsenanschwellungen, Schärfe der Säfte und schlechte Ernährung kund gibt. Man unterscheidet die sogenannte skrofulöse Anlage, die beginnende und die ausgebildete Krankheit und ihre Folgeübel. Die skrofulöse Anlage verräth sich oft schon sehr früh durch einen etwas starken Kopf, dicke Nasenflügel, aufgeworfene, angeschwollene Oberlippe mit sehr deutlicher und tiefer Mittelrinne, begrenzte, zarte Röthe der Wangen, sehr zarte, weiße, fast durchscheinende Haut, blaue Augen und blonde Haare, einen starken, aufgetriebenen und harten Unterleib, erschwertes Gehenlernen, langsames und verspätetes Zahnen und vorzeitige Entwickelung der Geisteskräfte. Bildet sich nun die Krankheit selbst aus der eben beschriebenen Anlage hervor, so nimmt der Unterleib noch mehr an Umfang zu, die Verdauung wird schlecht, übermäßige, kaum zu befriedigende Eßlust wechselt mit Mangel an Appetit, es stellt sich ein besonderes Verlangen nach mehligen Dingen, Schwarzbrod, Kartoffeln u.s.w. ein, ferner saurer Geruch aus dem Munde, Blähungsbeschwerden und Wurmzufälle, unregelmäßige Stuhlausleerungen; gleichzeitig nimmt die Haut eine bleiche, krankhafte Färbung an, bedeckt sich mit Ausschlägen und schwillt in Folge von Wasseransammlung stellenweise an; die Augenlider röthen, entzünden und verdicken sich u.s.w. Mit der fortschreitenden Ausbildung der Krankheit schwellen nun die lymphatischen Drüsen am Halse, im Nacken, in den Achselhöhlen und Weichen, bleiben aber, obschon sie zuweilen die Größe eines Taubeneies erreichen, schmerzlos und beweglich. Nur wenn sie sich entzünden und vereitern, verursachen sie Schmerz, es entstehen Geschwüre, die eine übelriechende Jauche absondern, schwer heilen und, wenn es geschieht, schlechte Narben hinterlassen. Allmälig ergreift die krankhafte Veränderung auch die Drüsen des Gekröses, diese vergrößern sich ebenfalls, werden hart und untauglich zu ihrer Verrichtung, weshalb nun die Ernährung zu leiden beginnt. Das ganze Ansehen solcher Kinder wird ein anderes, namentlich bekommt das Gesicht alte, verfallene Züge; Hautausschläge, wie Flechten und Kopfgrind, kommen zum Vorschein, die sich immer von Neuem entzündenden Augen können das Licht nicht vertragen, einzelne Knochen werden vom Knochenfraß befallen, es bildet sich Gehirnwassersucht aus, die Kinder verlernen das Gehen, scheuen jede Bewegung, sind überhaupt träge, geistig jedoch nach wie vor munter. In hohem Grade artet die Skrofelkrankheit in den Zweiwuchs oder die englische Krankheit (s.d.) aus. Sie überschreitet selten die Zeit der Geschlechtsreife, geschieht dies aber, so wird sie bösartiger, hartnäckiger und darum schwerer zu heilen. Häufig gibt die im Kindesalter überstandene Skrofelkrankheit in spätern Jahren zur Entstehung von Lungentuberkeln oder zu Gekrösdrüsenverhärtung und dadurch wieder zu Lungenschwindsucht und Abzehrung Veranlassung. Die Anlage zur Skrofelsucht ist entweder angeboren und ererbt oder erworben. In ersterm Falle übertragen sich die Skrofeln entweder unmittelbar von den Ältern auf die Kinder oder andere Krankheitszustände der Ältern werden bei den Kindern zur Skrofelanlage. So werden die Kinder geschwächter und entnervter Ältern, solcher, die sich durch Venerie, übermäßigen Quecksilbergebrauch und dergl. schlechte Säfte zugezogen oder an langwierigen Hautausschlägen gelitten haben, vorzugsweise skrofulös. Erworben wird die Anlage zur Skrofelsucht unter dem nachtheiligen Einflusse des gedrängten Zusammenlebens zahlreicher Familien in feuchten, weder der Luft noch der Sonne zugänglichen Wohnungen, durch Vernachlässigung der Reinlichkeit, Mangel an Bewegung in [208] freier Luft, unangemessene Ernährungsweise, Verabreichung einer schwer verdaulichen, faden, mehligen Kost, schlechten Trinkwassers. Vorzugsweise einheimisch findet man die Krankheit in Gegenden, die ein feuchtes, nebeliges Klima haben, eben und reich an stehenden Wässern, Sümpfen und langsam fließenden Flüssen sind; auch scheinen Kinder weiblichen Geschlechts, von phlegmatischem Temperament und lymphatischer Körperconstitution der Krankheit mehr ausgesetzt als andere. Oft bildet sich die Anlage schon im ersten oder zweiten Lebensjahre zur wirklichen Krankheit aus, die dann bis zum sechsten oder zehnten Jahre immer weiter schreitet. Die Skrofelkrankheit ist immer ein langwieriges Übel und wird, wenn sie auch zuweilen durch die Schutzpockenimpfung oder mit Eintritt der Geschlechtsreife, zumal bei Mädchen, von selbst verschwindet, oft auch die Quelle vieler Nachkrankheiten.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 208-209.
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