Normandīe

[783] Normandīe, ehemalige Provinz Frankreichs, grenzte gegen Norden und W. an den Kanal, gegen O. an die Pikardie und Ite-de-France, gegen S. an Orléanais, Maine und Bretagne und umfaßte die Landschaften Pays de Caux, Bray, Vexin Normand, Roumois, Auge, Lieuvin, Marches, Houlme, Ouche, Campagne d'Alençon, Bessin, Bocage, Campagne de Caen, Cotentin und Avranchin. Hauptstadt war Rouen. Das Gebiet der N. bilden jetzt die Departements Niederseine, Eure, Calvados, Orne und Manche, im ganzen 30,624 qkm (556,2 QM.) mit (1901) 2,416,766 Einw. Vgl. die Geschichtskarte beim Artikel »Frankreich«.

Geschichte. Die nach den Normannen benannte Landschaft war früher von vielen kleinen gallischen Stämmen bewohnt und bildete zur Römerzeit einen Teil von Gallia Lugdunensis secunda. Nachdem sie im 5. Jahrh. von den Franken erobert worden, machte sie unter den merowingischen Königen einen Teil von Neustrien aus. Bei der Teilung des fränkischen Reiches unter die Söhne Ludwigs des Frommen kam sie an Karl den Kahlen. Um sich vor den Einfällen der Normannen zu sichern, die sich in der N. festgesetzt hatten, gab Karl der Einfältige 911 ihrem Herzog Rollo (Robert I.) das Land von der Epte bis zum Meer als Herzogtum nebst der Lehnshoheit über die Bretagne. Sein Enkel Richard I. (seit 942) nahm eine tatsächlich unabhängige Stellung ein, und dessen Sohn Richard II. (seit 996) schlug 1003 einen Einfall der Engländer zurück. Dessen unehelicher Enkel Wilhelm II., der Eroberer (seit 1035), segelte 1066 als Erbe König Eduards des Bekenners nach England, schlug den angelsächsischen König Harald 14. Okt. 1066 bei Hastings und ließ sich auf dem Schlachtfeld zum König von England ausrufen. Nach seinem Tod (1087) folgte ihm sein ältester Sohn, Robert II, in der N. nach. Als dieser aber nach seiner Rückkehr aus Palästina seinem jüngern Bruder, Heinrich I., die englische Krone streitig machte, fiel letzterer 1106 in die N. ein, besiegte Robert bei Tinchebrai, führte ihn in die Gefangenschaft und vereinigte die N. mit England. Nach Heinrichs I. Tode (1135) folgte ihm der Gemahl seiner einzigen Tochter Mathilde, Gottfried Plantagenet, Graf von Anjou, als Herzog der N. Ihm folgte 1150 sein Sohn Heinrich II. erst in der N., dann 1154 auch in England. Als sein jüngster Sohn, Johann ohne Land, nach dem Tod seiner Brüder, [783] Richards I. und Gottfrieds von Bretagne, des letztern Sohn Arthur aus dem Besitz des Herzogtums N. verdrängte und ermorden ließ, erhob der französische König Philipp August auf dasselbe als auf ein verwirktes französisches Lehen Anspruch und eroberte es 1204. Heinrich III. trat 1259 die N. förmlich an Ludwig den Heiligen von Frankreich ab. Am 19. März 1315 gab Ludwig X. der N. einen Freiheitsbrief (Charte normande, Ch. aux Normands), wonach das Herzogtum seine eigne Gerichtsbarkeit und Rechtsverfassung behalten sollte. In der ersten Zeit des Besitzes hießen die Thronerben von Frankreich Herzoge von der N., welcher Titel nachher durch den Titel Dauphin verdrängt wurde. Vgl. Licquet, Histoire de la N. (Par. 1835, 2 Bde.); Barthélemy, Histoire de la N. ancienne et moderne (neue Aufl., Tours 1862); Frère, La N. (Rouen 1870); Baudrillart, Les populations agricoles de la France. La N. (Par. 1880); Mad. N. Oursel, Nouvelle biographie normande (das. 1886–87, 2 Bde.; Nachtrag 1888); Le Héricher, Littérature populaire de N. (Avranches 1884); Girard, La N. maritime (Niort 1899); »Géographie pittoresque et monumentale de la France«, Heft 4: La N (das. 1900); Legrelle, La N. sous la monarchie absolue (Rouen 1904); die »Revue normande«; »Mémoires de la Société des antiquaires de N

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 783-784.
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