Terramaren

[425] Terramaren (v. ital. terra marna, eigentlich Mergel, sonst jede an organischen Bestandteilen reiche Erde, die als Dungmittel benutzt wird), in der Po-Ebene, besonders um Parma, Modena und Mantua, häufige (mehr als 100) Reste vorgeschichtlicher Siedelungen in Form langgestreckter, stets rechtwinklig angelegter, 2,3,5 und mehr Meter hoher Hügel. Die meisten gehen in Länge und Breite nicht über 100 m hinaus; die Terramare von Castellazo hingegen ist 500 m lang und 250 m breit. Die T. waren landfeste Pfahlbauten. Um die ganze Siedelung zog sich ein hoher, meist noch[425] von Palisaden und Holztürmen gekrönter Wall, den auf der Innenseite ein für die Verteidigung bestimmter Wallgang, außen ein breiter, wasserführender Graben umschloß. In dem Innenraum standen die Hütten auf einem mehrere Meter hohen Pfahlrost, unter dem sich aller Unrat und alle Wirtschaftsabfälle sammelten. Die Hütten waren leichte Bauten aus Reisig und Stroh mit Lehmverputz. War der Raum unter dem Pfahlrost gefüllt, oder brannte die Siedelung ab, so wurde eine neue Siedelung auf einem neuen Pfahlrost direkt über der alten aufgebaut. Die T. gehören der frühen norditalienischen Bronzezeit, also dem 2. vorchristlichen Jahrtausend an. Ihre Bewohner züchteten Rinder, Schweine, Ziegen und Schafe; sie besaßen Pferde und Hunde und jagten das Reh, den Hirsch, das Wildschwein und den Bären; doch waltete die Viehzucht vor der Jagd und dem noch primitiven Feldbau vor. Nach Helbig wären Erbauer und Bewohner der T. die Italiker, die, wahrscheinlich aus dem Donaugebiet und über die Julischen Alpen kommend, die vordem in Oberitalien eingesessenen Ligurer vertrieben und sich an deren Stelle gesetzt hätten. Demgegenüber weist Sophus Müller auf den unleugbaren innern Zusammenhang zwischen den T. und den Seepfahlbauten der benachbarten Alpenwelt hin; hebt hervor, daß aus dem Vorkommen terramarenähnlicher Anlagen in Süditalien (Tarent) und aus der Übereinstimmung der Bronzen in den T. und in Griechenland, sodann aus dem Vorkommen befestigter Städte vom Terramarentypus in Spanien und Ungarn (Lengyel), sodann aber auf der Balkanhalbinsel, unweigerlch auf eine südliche Herkunft der Terramarenidee geschlossen werden muß. Das Muster sieht Müller in den mykenischen Burgen; die T. sind dann lediglich der steinlosen Ebene, die Seepfahlbauten der schützenden Wasserfläche angepaßte Nachahmungen des griechischen Vorbildes. Während aber beim Aufkommen der Idee in Norditalien bereits die Bronze herrschte, bestand in den entlegenern Alpenländern und der Schweiz noch die Steinzeit. Die Seepfahlbauten sind also keineswegs älter als die T. Vgl. Helbig, Die Italiker in der Po-Ebene (Leipz. 1879); Munro, The lake-dwellings of Europe (Lond. 1890); Montelius, La civilisation primitive en Italie (Stockh. 1895); Pigorini im »Bulletino di paletnologia italiana«, Bd. 16–26; Hoernes, Die Urgeschichte des Menschen (Wien 1892); Sophus Müller, Urgeschichte Europas (deutsch, Straßb. 1905). Weiteres s. beim Artikel »Pfahlbauten«.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 425-426.
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