Wiclif

[588] Wiclif (Wyclif, Wycliffe, Wiclef, spr. ŭicklif), John, engl. Reformator, genannt Doctor evangelicus, geb. spätestens 1330 in Spreswell (Yorkshire), gest. 31. Dez. 1384 in Lutterworth (Leicestershire), erscheint 1361 als Vorstand des Balliol College in Oxford; während er hier als Doktor der Theologie das Recht hatte, theologische Vorlesungen zu halten, übernahm er ein geistliches Amt zuerst 1361 zu Fillingham in Lincolnshire, 1368 zu Ludgershall in Buckinghamshire und 1374 zu Lutterworth in Leicester. Im gleichen Jahre sandte ihn der König mit andern nach Brügge, um dort mit dem päpstlichen Nunzius wegen der Beschwerden zu unterhandeln, die gegen den päpstlichen Stuhl rücksichtlich der von der Kurie bei der Besetzung kirchlicher Ämter in England bezogenen Provisionen erhoben worden waren. Nicht minder groß ist sein Einfluß auf die Zusammenstellung der kirchlichen Beschwerden gewesen, die 1376 das »gute Parlament« vorzutragen hatte. Ein deshalb vom Papst 1377 gegen ihn eingeleiteter Prozeß verlief bei dem großen Ansehen, das W. an der Universität und im Volke genoß, 1378 im Sande. Dadurch kühn gemacht, erklärte sich W. von nun an offen nicht bloß gegen den politischen Einfluß des Klerus überhaupt, sondern bekämpfte auch das päpstliche »Antichristentum«, mißbilligte Bilder-, Heiligen-, Reliquiendienst und das Priesterzölibat, verwarf die Transsubstantiationslehre und die Ohrenbeichte und verbreitete durch von ihm gebildete Reiseprediger evangelische und sozialistische Grundsätze im Volke. Dafür setzten die Bettelmönche im Verein mit der Hierarchie 1381 die Verwerfung seiner Lehre durch die Universität und durch eine 1382 in London tagende Synode durch. W. aber führte trotzdem sein Pfarramt fort und vollendete seine früher begonnene Übersetzung der Bibel[588] aus der Vulgata in die Landessprache. Auch nach seinem Tode ruhte der Haß der Gegner nicht. Das Konzil in Konstanz erklärte ihn 4. Mai 1415 für einen Ketzer, verdammte 45 seiner Artikel und befahl, seine Gebeine zu verbrennen, was 1428 geschah. Gleichzeitig suchte man die Wiclifiten, die man als Lollarden (s. d.) brandmarkte, durch Feuer und Schwert auszurotten. Durch Hus und Hieronymus von Prag wurden seine Anschauungen nach Böhmen und Deutschland übertragen, wo sie wesentlich zur Stärkung der Reformgedanken beitrugen. Seine Schriften (vollständige Aufzählung bei Shirley, Catalogue of the original works of John Wyclif, Oxf. 1865) sind noch nicht alle gedruckt. Eine kritische Ausgabe sämtlicher Schriften hat die Wyclif Society in London seit 1882 unternommen (bis 1908: 32 Bde.). Außerdem erschienen: »Select English works of J. Wyclif« (hrsg. von Th. Arnold, Oxf. 1869, 3 Bde.); »The English works of J. Wyclif hitherto unprinted« (hrsg. von Matthew, Lond. 1880). Sein Bildnis s. Tafel »Reformatoren«. Vgl. Lechler, Johann von W. und die Vorgeschichte der Reformation (Leipz. 1873, 2 Bde.; engl. Ausg. von Lorimer, zuletzt Lond. 1904); Buddensieg, J. W. und seine Zeit (Halle 1885); Loserth, W. und Hus (Prag 1884); Sergeant, John Wyclif (Lond. 1893); Trevelyan, England in the age of Wyclife (Lond. 1899); Capes, The English Church in the fourteenth and fifteenth centuries (das. 1900); Rae, John Wycliffe, his life and writings (Lond. 1903); Fueter, Religion und Kirche in England im 15. Jahrhundert (Tübing. 1904); Carrick, Wycliffe and the Lollards (Lond. 1908).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 588-589.
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