Raum

[851] Raum, 1) für die natürliche Vorstellung das allumfassende Ausgedehnte, in welchem die Dinge außer u. neben einander sind. Der Begriff der Unendlichkeit des R-s ist zunächst für diese natürliche Vorstellung gar nicht vorhanden, sondern entsteht erst durch die Reflexion auf die Möglichkeit, jede beliebige Grenze des R-s in Gedanken zu überschreiten, ebenso wie die Begriffe der drei Dimensionen des R-s (Länge, Breite u. Höhe od. Tiefe) erst bei dem Versuche deutlich hervortreten, die Richtungen im R-e auf ihre wesentlichen Unterschiede zurückzuführen. Die Frage, was der R. sei, hat ein viel größeres Interesse für die Philosophie, als für die Mathematik; denn die Geometrie hat es lediglich mit bestimmten räumlichen Verhältnissen zu thun, auf deren gesetzmäßige Abhängigkeit von einander der allgemeine Begriff des R-s keinen Einfluß hat. Aristoteles, sich der natürlichen Vorstellungsart anschließend, erklärte den R. für. die ruhende Grenze des Himmelsgewölbes; der R. ist ihm die absolute Grenze dessen, was ist (absoluter R.). Später verwickelte man sich in die Frage, ob der R. eine Substanz (ein selbständiges Ding) od. ein Attribut, ein Accidenz (eine wesentliche od. zufällige Eigenschaft von etwas Anderem) sei, ob es einen unabhängig von den Körpern existirenden R., einen leeren R. zwischen den Körpern gebe etc. Einen klaren Gesichtspunkt für diese Fragen stellte, während Cartesius Raum u. Materie (Körperlichkeit) für gleichbedeutende Begriffe, Newton den R. für das Sensorium Gottes erklärt hatte, eigentlich erst Leibnitz auf, indem er den R. für die Ordnung der Verhältnisse des außer einander Existirenden erklärte, wodurch der R. u. alle räumlichen Verhältnisse auf eine lediglich relative Bedeutung beschränkt[851] werden. Die Kantsche Ansicht vom R., daß er eine a priori (unabhängig von der Erfahrung gegebene) Form der reinen (nichts Empirisches in sich enthaltenden) Anschauung sei, welche aber nur für mögliche Erfahrung Bedeutung habe, drückt lediglich das psychische Factum aus, daß alle unsere Vorstellungen einer räumlichen Gestaltung unterliegen, ohne einen Aufschluß über das Wesen des R-s zu geben. Die pantheistischen Systeme erklären den R. entweder, wie Spinoza, geradezu für ein Attribut Gottes od. für eine der allgemeinen Gestaltungsformen des Absoluten. Erst. Herbart hat darauf hingewiesen, daß der R. u. das Räumliche von zwei ganz verschiedenen Seiten untersucht werden muß. Auf der einen Seite steht die Frage, auf welchen psychologischen Gründen diejenige erscheinende Räumlichkeit beruht, welche wir ganz unwillkürlich den vorgestellten Dingen beilegen, d.h. welche Nothwendigkeit für die in der unräumlichen Seele sich begegnenden u. durchkreuzenden Vorstellungen vorhanden ist, sich räumlich zu gestalten; auf der andern Seite steht die metaphysische Frage, ob u. in wie fern Grund zu der Annahme vorhanden ist, daß objectiv u. außer dem Vorstellenden unter den Dingen eine räumliche Ordnung des Außereinander stattfindet. Den Complex dieser letzteren räumlichen Verhältnisse nennt Herbart den intelligiblen R., im Gegensatz zum sinnlichen od. sinnlich vorgestellten. Daß die vorgestellten Raumverhältnisse nicht nothwendig u. durchaus mit den wirklichen zusammenfallen, darauf machen schon die mannigfaltigen Täuschungen aufmerksam, denen wir in der Auffassung der letzteren ausgesetzt sind; die Unterscheidung der psychologischen u. metaphysischen Frage nach dem R. ist eigentlich nur eine Verallgemeinerung u. Vertiefung der in dieser jedem zugänglichen Thatsache liegenden Frage. Immer aber ist der Raum nur der allgemeine Begriff der Möglichkeit des Außereinander, welcher ohne die Beziehung auf die bestimmten Verhältnisse des Außereinander, von denen er abstrahirt ist, jede verständliche Bedeutung verliert; während es andrerseits sehr natürlich ist, daß, nachdem man diese bestimmten Verhältnisse wirklich wahrgenommen hat, man die Möglichkeit derselben, d.h. eben den R., nicht wegdenken kann. 2) Der tiefste innere Ladungsraum eines Schiffes, vom untersten Deck bis zum obersten Kohlschwien, u. zwar vom Vor- bis zum Achtersteven; auf Kauffartheischiffen wird der größte Theil der Ladung darin gestaut; auf Kriegsschiffen enthältder Raum alle Kriegs-, Mund- u. sonstigen Schiffsbedürfnisse. Daher Raumanker, s. u. Anker.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 13. Altenburg 1861, S. 851-852.
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