Uneheliche Kinder

[158] Uneheliche Kinder (natürliche, ledige, Unflaths-, früher auch Side-, Spelkinder, Wahnbürtige) sind alle außer der Ehe erzeugten u. vor Eingehung derselben geborenen Kinder, im Gegensatz der in stehender Ehe erzeugten u. in derselben od. doch in einem solchen Zeitraum nach Auflösung derselben geborenen, daß die Geburt auf eine Zeugung in stehender Ehe zutrifft (Liberi justi, legitime quaesiti, legitimi). Nach dem Römischen Rechte, in welchem neben der Ehe noch das Concubinat (s.d.) als eine dauernde erlaubte Geschlechtsverbindung vorkommt, unterschied man Liberi naturales, d.i. die im Concubinat erzeugten Kinder, u. Liberi vulgo concepti, vulgo quaesiti od. spurii, alle anderen unehelichen Kinder. Als besondere Arten der Letzteren werden aber noch ausgezeichnet: a) die von einer eigentlichen Hure (Meretrix), Geborenen (L. vulgo quaesiti im engeren Sinne); b) die in einem einfachen Stuprum erzeugten (L. spurii im engeren Sinne); c) die im Ehebruch erzeugten (L. adulterini) u. d) die aus einer blutschänderischen Verbindung entsprossenen Kinder (L. incestuosi). Die unehelichen Kinder aller Art galten bei den Römern als Liberi sine patre, d.h. sie standen zu ihrem Erzeuger in keiner rechtlichen Beziehung, mochte derselbe auch sonst gewiß sein, sondern kamen nur als Descendenten der Mutter in Betracht. Deshalb standen dieselben unter keiner väterlichen Gewalt, insofern nicht etwa die Mutter noch unter der Gewalt ihres Vaters sich befand; sie waren von Geburt regelmäßig sui juris u. wurden deshalb, so lange sie sich in unmündigem Alter befanden, bevormundet. Sie hatten deshalb auch gegen ihren Vater keinen Anspruch auf Alimentation u. kein Erbrecht, dagegen stand ihnen beides in gleichem Maße, wie den ehelichen, gegen die Mutter zu. Nur die Concubinenkinder machten hiervon eine Ausnahme, indem ihnen Kaiser Justinian sowohl einen Anspruch auf Alimentation, als auch auf ein beschränktes Erbrecht in der Weise einräumte, daß sie für den Fall, daß sie vom Vater anerkannt waren u. derselbe weder rechtmäßige Kinder noch eine rechtmäßige Ehegattin hinterließ, den Anspruch auf ein Sechstheil der Erbschaft hatten, wovon sie aber ihrer Mutter einen Kopftheil überlassen sollten. Dieses zunächst nur für die Concubinenkinder eingeführte Erbrecht hat die gemeinrechtliche Praxis, wenn auch nicht ohne Widerspruch, auf alle unehelichen Kinder ausgedehnt (Mayer, Die Intestaterben der Liberi naturales nach heutigem Römischen Rechte, Tüb. 1839), die neueren Particularrechte aber haben sich nur zum Theil dieser Praxis angeschlossen; andere (z.B. Österreich, Sachsen, Braunschweig) haben jeden Anspruch des Kindes auf das Erbvermögen des außerehelichen Vaters, abgesehen von testamentarischen Zuwendungen, abgeschafft. Nach dem Canonischen Rechte ist der Erzeuger außerdem auch schuldig (neben der Entschädigungsforderung, welche die Geschwächte gegen den Stuprator hat) allen aus einem Stuprum erzeugten u. von ihm anerkannten unehelichen Kindern, mit Einschluß der Adulterini u. Incestuosi, Alimente zu reichen, u. die Praxis hat die diesfallsige Klage dann ebenfalls selbst gegen den Erzeuger, welcher die Kinder nicht freiwillig anerkannt hat gegeben. Das Klagrecht wird dabei von den Rechtslehrern bald als eine Obligatio ex delicto, bald auf die natürliche Verwandtschaft begründet (Busch, Darstellung der Rechte geschwächter Frauenspersonen[158] u. der unehelichen Kinder, Ilmenau 1828; Gett, Die Rechtsverhältnisse aus der außerehelichen Geschlechtsgemeinschaft, München 1836; Arnold, Über Alimentations- u. Deflorationsklage, ebd. 1851). Die Klage (Actio de partu agnoscendo, Paternitätsklage) ist vom Vormund des Kindes anzustellen; zu beweisen ist dabei die Thatsache des außerehelichen Beischlafes u. die Geburt des Kindes innerhalb einer solchen Zeit, in welcher nach Naturgesetzen ein Zusammenhang zwischen Conception u. Geburt bestehen kann. Als kürzester Zeitraum von der Conception bis zur Geburt wird dabei nach der neueren Praxis das Ende des siebenten Monats od. der 210. Tag, als längster der Ablauf des zehnten Monats od. der 302., nach Particulargesetzen aber auch schon der 287. Tag betrachtet. Fällt die Geburt innerhalb dieses Nativitätstermins, so hat die Mutter od. der Vormund die specielle Übereinstimmung der Leibesfrucht nach ihrer eigenthümlichen Beschaffenheit mit dem angegebenen Zeitpunkt des Beischlafes u. der Conception nicht weiter zu beweisen. Die Verbindlichkeit zur Alimentation, welche in Vorauszahlungen zu geschehen hat, beginnt sogleich mit der Geburt des Kindes u. dauert so lange, bis das Kind sich selbst zu ernähren im Stande ist. Die Particularrechte haben für das Maß der Leistungen gewöhnlich feste Sätze eingeführt. Sehr bestritten ist noch das Gewicht des Einwandes von Seiten des Stuprators, daß die Mutter nicht blos mit Einem, sondern mit Mehren in der gleichen Zeit fleischlichen Umgang gehabt habe (Exceptio plurium constupratorum). Einige nehmen an, daß dann jede Berechtigung nicht blos der Mutter, sondern auch des unehelichen Kindes verloren gehe, weil damit ungewiß werde, von wem das Kind eigentlich herrühre; Andere gehen aber davon aus, daß jeder der mehren Concumbenten solidarisch verpflichtet sei, u. gestatten höchstens demjenigen, welcher in Folge einer wider ihn erhobenen Klage hat zahlen müssen, einen Regreß wider die anderen Concumbenten auf antheilige Beitragsleistung. Diese letztere Ansicht liegt auch den meisten deutschen Particulargesetzgebungen (Österreich, Preußen, Sachsen) zu Grunde. Ganz verschieden von dem Deutschen Rechte hat sich das Französische Recht in diesem Punkte ausgebildet, indem es nach dem Code Napoléon den unehelichen Kindern überhaupt gar keine Rechte wider ihren außerehelichen Vater einräumt. Über sogenannte Braut- od. Mantelkinder, die frühere Anrüchigkeit der unehelichen Kinder u. den damit zusammenhängenden Bastardanfall s.u. Concubitus; über die Legitimation derselben s. Legitimation. In socialer Beziehung ist es eine bemerkenswerthe Erscheinung, daß die Zahl der unehelichen Kinder in neuerer Zeit in auffallender Weise zugenommen hat. In manchen Gegenden, z.B. Baierns u. Mecklenburgs, ist regelmäßig schon das dritte geborene Kind ein uneheliches; ähnliche Verhältnisse zeigen sich bes. in den großen Städten. Im Durchschnitt der Jahre 1841–50 hatte die Lombardei 3,56 Procent uneheliche Geburten, Holland 5,05 Proc., Frankreich 7,13 Proc., Belgien 7,57 Proc., Böhmen 14,93 Proc., Sachsen 14,96 Proc.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 18. Altenburg 1864, S. 158-159.
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