Gottesgerichte

[252] Gottesgerichte, Gottesurtheile oder Ordalien, von dem altdeutschen Worte Ordel, d.h. Urthel, waren [252] ehemals gebräuchliche Gerichte, in denen man den Beweis, ob der eines Verbrechens Angeklagte schuldig oder nichtschuldig sei, der Gottheit anheimstellte, in Fällen, wo menschliche Klugheit zur Erforschung der Wahrheit nicht ausreichte. Man setzte den Angeklagten einer wirklichen oder vermeintlichen Gefahr aus in dem Glauben, daß der gerechte und liebende Gott dem Unschuldigen in seiner Noth beistehen, den Verbrecher aber verderben lassen werde. Sehr häufig wurde dem Ankläger und dem Angeklagten die Entscheidung, welcher von Beiden Recht habe, durch den Zweikampf überlassen. Der Zweikampf wurde in diesem Falle gerichtlich angeordnet und vor dem weltlichen Richter abgehalten; der erliegende Theil wurde für schuldig erachtet. War ein einzelner Ankläger nicht vorhanden, so foderte wol der Beklagte öffentlich Jeden zum Zweikampfe auf, der es wagen wollte, an seiner Gerechtigkeit zu zweifeln, um im Kampfe mit ihm seine Unschuld darzuthun. Bei kampfunfähigen Personen, namentlich bei Weibern, ließ wol auch das Gericht einen Aufruf ergehen, ob sich ein Streiter für die Unschuld derselben zum Kampf mit dem Kläger stellen wollte. Fand sich kein solcher Kämpfer, so bewies ' schon dieses die Schuld der Angeklagten. Bei den Gottesgerichten im strengern Wortsinne wurde jedoch nicht, wie bei den Zweikämpfen, der Körperkraft und Tapferkeit des Angeklagten ein Einfluß gestattet. Bei der Wasserprobe warf man den Angeklagten gewöhnlich in Gegenwart eines Priesters mit gebundenen Armen und Beinen in ein tiefes Wasser (Probe des kalten Wassers) und erklärte ihn für schuldig, wenn er untersank. Von Hexen glaubte man, daß sie leichter als Wasser wären, oder durch die Hülfe des Teufels schwämmen, und verurtheilte sie daher, wenn sie, ins Wasser geworfen, nicht untersanken. Bei der Probe des heißen Wassers mußte der Beklagte seine Arme, ohne verletzt zu werden, in heißes Wasser tauchen können. Bei der Feuerprobe mußte der Angeklagte ein glühendes Eisen in die Hand nehmen, über glühende Pflugschaare oder glühende Kohlen hinweggehen, oder angethan mit einem in Wachs getauchten Hemde zwischen brennenden Holzstößen hindurchgehen. Der geweihte Bissen wurde dem Verdächtigen von einem Priester gereicht und man glaubte, ein Schuldiger werde denselben nicht herunterzuschlucken vermögen oder von dem Genuß desselben erkranken. Die Probe des heiligen Abendmahls beruhte auf dem Glauben, daß der Schuldige am Genusse der geweihten Hostie sterben müsse. Beim Scheingehen mußte Der, welcher eines Mordes verdächtig war, die Hand der Leiche des Ermordeten fassen, beim Bahrrecht die Wunde des Ermordeten berühren und war schuldig, wenn Blut zu fließen begann oder die Leiche sonst ein ungewöhnliches Zeichen gab. Hexen pflegte man auch zu wiegen und zu verurtheilen, wenn sie zu leicht gefunden wurden. Zwischen Kläger und Beklagten suchte man auch den Schuldigen durch das Kreuzgericht zu entdecken. Man stellte Beide unter ein Kreuz und ließ sie die Arme kreuzweise ausstrecken; wer zuerst die Hände sinken ließ, war schuldig. Auch ließ man sie Würfel aus einem Beutel ziehen, von denen der eine mit einem Kreuz bezeichnet war und die Unschuld anzeigte.

Obgleich man auch bei vorchristlichen und noch jetzt bei nichtchristlichen Völkern Gottesgerichte findet, so kamen solche doch vornehmlich im Mittelalter in Gebrauch, so lange man noch keine vollkommener ausgebildeten Criminalgesetzgebungen hatte. Eine misverstandene Frömmigkeit lag denselben zum Grunde und man sieht leicht ein, wie durch dieselben das Leben eines unschuldig Angeklagten einem gefährlichen Zufall preisgegeben wurde und sehr leicht auch sich Betrug einmischen konnte, um den Schuldigen zu erretten, den Unschuldigen zu verderben. Indeß läßt sich nicht leugnen, daß wol auch die Gottesgerichte in einzelnen Fällen ihren Zweck erfüllen mochten, indem das Bewußtsein der Unschuld dem Menschen eine ungewöhnliche Kraft gibt und ebenso das Bewußtsein der Schuld die geistige und dadurch auch die körperliche Kraft des Missethäters vernichtet. Schon im Mittelalter sahen jedoch die aufgeklärtern Kaiser, sowie mehre Päpste die Widersinnigkeit der Gottesgerichte ein und erließen wiederholt strenge Verordnungen gegen dieselben. Aber erst mit der zunehmenden Bildung wurden sie im 14. und 15. Jahrh. seltener. kommen jedoch noch bis ins 18. Jahrh. hinein vor. An die Stelle der Gottesgerichte wurde durch das kanonische Recht der Reinigungseid gesetzt, doch kam durch die allgemeine Einführung des röm. Rechts in der Folter (s.d.) ein Gerichtsverfahren auf, welches das menschliche Gefühl nicht weniger als die Gottesgerichte empört.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 252-253.
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