Guérin

[496] Guérin (spr. geräng), 1) Pierre Narcisse, Baron, franz. Maler, geb. 13. Mai 1774 in Paris, gest. 16. Juli 1833 in Rom, war Regnaults Schüler und zog zuerst die Aufmerksamkeit auf sich durch eine Darstellung des Opfers vor Äskulaps Bildsäule nach Geßners Idyll (im Louvre). Sein Tod Catos von Utica trug ihm (1797) einen Preis ein. Mehr noch aber wurde sein Marcus Sextus bewundert, der, Sullas Proskription entwichen, bei seiner Rückkehr die Gemahlin tot und die Tochter in Tränen zu ihren Füßen findet, ein Bild voll des großartigsten Pathos (1799, im Louvre). Geteilten Beifall fand dagegen sein Hippolyt und Phädra (1802, im Louvre), womit er sich der Bühnendarstellung zuwendete. Nachdem er 1802 Italien besucht hatte, ließ er sich in Paris nieder, wo er eine Reihe größerer Werke, unter andern Napoleon, den Rebellen in Kairo verzeihend, Andromache und Pyrrhos (1810), Äneas, der Dido seine Abenteuer erzählend (1817), und Klytämnestra im Begriff, Agamemnon zu ermorden (1817, alle[496] drei im Louvre zu Paris), ausführte. 1822 wurde er zum Direktor der französischen Akademie in Rom ernannt, in welcher Stellung er bis 1829 blieb. Seine von der Davidschen Richtung beeinflußten Gemälde zeichnen sich durch technische Meisterschaft der Behandlung, Korrektheit der Zeichnung und effektvolle Beleuchtung aus. Géricault, Sigalon, Delacroix und Ary Scheffer waren seine Schüler.

2) Jules, Mediziner, geb. 11. März 1801 in Boussu, gest. 25. Jan. 1886 in Hyères, studierte 1821–26 in Löwen und Paris, übernahm 1828 die »Gazette de la Santé« (die spätere »Gazette médicale de Paris«), erhob sie zu dem wichtigsten französischen Fachjournal und gewann dadurch bedeutenden Einfluß auf die Entwickelung des medizinischen Unterrichtswesens. Er gründete 1839 das orthopädische Etablissement La Muette de Passy und übte einen sehr hervorragenden Einfluß auf die Neugestaltung der Orthopädie. Einen 1837 von der Akademie ausgesetzten Preis für die beste orthopädische Arbeit gewann er durch ein an Untersuchungen und Beobachtungen ungemein reiches Werk »Determination rigoureusement scientifique des principes, méthodes et procédés de l'orthopédie« (16 Bde. mit 400 Tafeln). Dasselbe ist nie vollständig publiziert worden, doch kamen eine Reihe einzelner ausgewählter Kapitel bis 1841 zum Druck; unter diesen: »Die figmoide Extension und die Beugung in der Behandlung der seitlichen Abweichungen des Rückgrats« (1835); »Scheinbare Verkrümmungen der Wirbelsäule« (1836); »Allgemeine Charaktere der Rachitis« (1837); »Allgemeine Ätiologie des angebornen Klumpfußes« (1838); »Allgemeine Ätiologie der seitlichen Verkrümmungen des Rückgrats durch aktiven Muskelzug« (1839); »Neue Untersuchungen über veralteten Torticollis und die Behandlung dieser Difformität durch die subkutane Durchschneidung der verkürzten Muskeln« (1841); »Über die angebornen Verrenkungen« etc. Von seinen gesammelten »Œuvres« erschien nur der 1. Band (1880–82).

3) Léon de, franz. Schriftsteller, geb. 29. Nov. 1807 in Mortagne (Orne), gest. 25. Jan. 1886 auf den Hyèrischen Inseln, kam 1828 nach Paris, wo er das »Journal des enfants«, dann die »Gazette des enfants et des jeunes personnes« gründete und 1846 zum Geschichtschreiber der Marine ernannt wurde. Am bedeutendsten sind seine »Histoire maritime de France« (1842–43, 4. Aufl. 1863) und die Geschichte des Krimkriegs: »Histoire de la dernière guerre de Russie« (1858, 4 Bde.). Von seinen zahlreichen Jugendschriften, teilweise unter dem Pseudonym Léonide de Mirbel, sind am bekanntesten: »Le tour du monde«, »Les jeunes navigateurs«, »Les marins illustres de la France«, »Les navigateurs français«, »Veillées du vieux matelot« u. a.

4) Victor, franz. Forschungsreisender und Archäolog, geb. 1821 in Paris, gest. daselbst 21. Sept. 1891, war Professor der Rhetorik in verschiedenen Städten Frankreichs, zuletzt in Paris, und unternahm seit 1852 wiederholte Reisen nach Griechenland, Ägypten, Tunesien und Palästina. Er schrieb: »Description de l'île de Patmos et de l'île de Samos« (Par. 1856); »Études sur l'île de Rhodes« (1856, 2. Aufl. 1880); »Voyage archéologique dans la régence de Tunis« (1862, 2 Bde.); »Voyage dans l'île de Rhodes et description de cette ville« (1866); »Description géographique, historique et archéologique de la Palestine« (1869–80, 7 Bde.); »La Terre-Sainte, son histoire, ses souvenirs« (1881–1883, 2 Bde.); »Jérusalem, son histoire, sa description, ses établissements religieux« (1889) u. a.

5) Eugène, franz. Politiker, geb. 27. Juli 1849 in Carpentras, nahm am Kriege von 1870/71 teil, ließ sich dann in Carpentras als Advokat nieder und wurde auch Maire daselbst; 1890 zum Senator gewählt, war er vom April 1893 bis zum Januar 1895 Justizminister im Ministerium Dupuy.

6) Jules, franz. Politiker, geb. 14. Sept. 1860 in Madrid, betrieb 1885–96 sehr zweifelhafte Handelsgeschäfte; da er mehrfach Bankrott gemacht hatte, versuchte er sein Glück in der Politik und schloß sich dem Antisemiten Drumont an; er trat für die nationalistische Sache ein, beteiligte sich 1899 an Umtrieben gegen die Republik und den Präsidenten Loubet, und als er Mitte August deswegen verhaftet werden sollte, verbarrikadierte er sich in einem Haus in der Rue Chabrol zu Paris und konnte erst nach 38tägiger Belagerung 20. Sept. gezwungen werden, sich zu ergeben. Er wurde 3. Jan. 1900 wegen Beteiligung an einem Komplott gegen die Republik, Widerstands gegen die Staatsgewalt etc. zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 496-497.
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