Industriepflanzen

[815] Industriepflanzen (hierzu die Tafel »Industriepflanzen I u. II« mit Text), Pflanzen, die für die Industrie wichtige Rohstoffe liefern. Zum Teil verwertet man nur die physikalischen Eigenschaften der vegetabilischen Substanz und benutzt das Material wegen seiner oft sehr großen Härte und Festigkeit in mannigfacher Weise. So liefern die stammbildenden Pflanzen eine große Mannigfaltigkeit von Hölzern für mehrere Industriezweige, wie Tectona grandis, Swietenia Mahagony, Diospyros Ebenaster (Tafel II) u. a. Harte Fruchtschalen, z. B. diejenigen der Kokospalme, verarbeitet man auf Gefäße, die harten Samen der Phytelephas macrocarpa (Tafel I) geben ein treffliches Surrogat des Elfenbeins etc. Manche Holzarten werden sein gespalten und als Flechtmaterial verwendet. In dieser Weise benutzt man namentlich auch die Stämme von Calmus-Arten (aus der Familie der Palmen, Tafel II), das Spanische Rohr, dann das halmartige Blatt der Stipa tenacissima (Esparto), die Blätter der Carludovica palmata (Panamahüte) etc. Vielseitigste Verwendung finden die Halme des Bambus (Tafel II). Geschmeidigere Fäden liefert der Bast vieler Pflanzen, und diesem reihen sich die zarten Pflanzenhaare (Baumwolle) an, die, wie die Bastfasern, das Rohmaterial für Spinnerei und Weberei liefern (Faserpflanzen, s. d.). Die Gewebe, die als solche verbraucht sind, wandern als Lumpen in die Papiermühle; der enorm gestiegene Papierbedarf zwingt aber, Pflanzenstoffe direkt auf Papier zu verarbeiten, und in dieser Beziehung sind für uns das Holz, Esparto und Stroh am wichtigsten. Viele Pflanzenfasern sind zu Geflecht und Gespinst weniger geeignet, bilden aber ein gutes Polstermaterial. Häufiger als die physikalischen Eigenschaften von Pflanzengeweben werden die chemischen Eigenschaften der Pflanzenbestandteile in Anspruch genommen. Früher verbrannte man kolossale Mengen Holz, um aus der Asche das kohlensaure Kali zu gewinnen; diese Industrie ist unter veränderten Verhältnissen fast ganz zugrunde gegangen, doch werden noch Tange (Fucus, Laminaria) gesammelt, um aus ihrer Asche (Kelp, Varech) Jod darzustellen. Diese Ausnutzung der mineralischen Bestandteile der Pflanzen ist unbedeutend gegenüber der ausgedehnten und vielseitigen Verwertung der organischen Substanz. Die Holzfaser selbst dient zur Darstellung von Oxalsäure und gelegentlich von Spiritus; Knollen, Stämme, Früchte liefern Stärkemehl und sind deshalb als Nahrungspflanzen (s. d.), aber, insofern die Stärke auf Dextrin und Spiritus verarbeitet wird, auch als I. von hoher Bedeutung. In großem Maßstab wird die Stärke auch in Traubenzucker verwandelt; sehr viel bedeutender aber ist die Rohrzuckerindustrie, für die das Zuckerrohr (Saccharum officinarum, Tafel I), die Runkelrübe (Beta vulgaris, Tafel I), in Nordamerika der Zuckerahorn (Acer saccharinum) und in den Tropen mehrere Palmen, besonders Phoenix sylvestris, das Material liefern. Auch die Stammpflanzen des Gummiarabikums (mehrere Akazien, wie Acacia Senegal, Tafel I) sind hier zu erwähnen. Pflanzen sind stets die hauptsächlichsten Öllieferanten gewesen, aber feste Fette entnahm man früher vorwiegend dem Tierreich; erst in neuerer Zeit sind vegetabilische Fette für Kerzen- und Seifenfabrikation wichtig geworden (s. Fette und Öle liefernde Pflanzen). Den Fetten schließen sich die Harze an, die meist aus den Stämmen von Holzgewächsen gewonnen werden. Für die Harzindustrie kommen in erster Linie die Koniferen in Betracht, von denen die Gattung Pinus das gemeine Harz, Trachylobium verrucosum, Agathis Dammara und Hymenaea Courbaril (Tafel I) Kopale liefern. Auch der Sandarachbaum und der Firnissumach (Tafel I) sind hier zu erwähnen. Wichtige I. sind auch jene duftreichen Gewächse, deren Blüten, Blätter, Rinden oder Früchte auf ätherisches Öl für Zwecke der Parfümerie verarbeitet werden. Diesen Stoffen stehen endlich in chemischer Beziehung das Kautschuk und die Guttapercha nahe (s. d.). Eine große Gruppe von Pflanzen liefert endlich Farbstoffe (Farbpflanzen, s. d.) und bildet dadurch die Basis vieler wichtiger Industriezweige, wie die gerbstoffreichen Pflanzen in der Gerberei Verwendung finden (Gerbmaterialien liefernde Pflanzen, s. d.). Anreihen kann man schließlich noch jene Pflanzen, die Gewürze und Genußmittel liefern (Gewürzpflanzen und Genußmittelpflanzen, s. d.), die erst durch technische Prozesse mannigfacher Art gewonnen werden (Weinstock, Kakao, Tabak), und jene, die eigentümliche, sonst im Pflanzenreich nicht vorkommende Körper enthalten und als Material zur Darstellung von Heilmitteln (Alkaloide) etc. (Arzneipflanzen, s. d.) verwertet werden. Die I. sind zum Teil Gegenstand der Kultur, und nur, wo dies der Fall ist, erscheint ihre Erhaltung gesichert; vielfach beschränkt man sich auf Ausnutzung der wildwachsenden Pflanze und hat dabei mehrfach die Erfahrung gemacht, daß bei starker Nachfrage nach einem bestimmten Material das rücksichtslose Vorgehen den Bestand der Art geradezu bedroht. Die Cinchonazeen, der Guttaperchabaum u. a. nahmen in bedenklicher Weise ab, als das Chinin und die Guttapercha in Gebrauch kamen, und erst seitdem die Kultur derartiger Pflanzen Platz gegriffen oder ein mehr schonendes Verfahren bei der Gewinnung des betreffenden Stoffeseingeführt wurde, erscheint die andauernde Beschaffung desselben für die Industrie gesichert. Auch die Kautschuk liefernden Bäume hat man in neuerer Zeit in Kultur genommen. Einige der wichtigsten I. sind auf den bei folgenden Tafeln abgebildet und beschrieben.[815]

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 815-816.
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