Pavīa [2]

[522] Pavīa, Hauptstadt der gleichnamigen ital. Provinz (s. oben), in einer fruchtbaren Ebene links am Ticino (77 m ü. M.), 7 km vor seiner Mündung in den Po, am Kanal von P. und an den Eisenbah nen Mailand-P.-Genua, P.-Cremona-Mantua und P.-Valenza sowie an den Dampfstraßenbahnen nach Mailand und Sant' Angelo. Über den Ticino führt eine 216 m lange, 1353 erbaute gedeckte Brücke von sieben Marmorbogen sowie eine 762 m lange Eisenbahnbrücke. Die Stadt hat teilweise noch aus dem Mittelalter erhaltene mächtige Wälle und Mauern mit zwölf Türmen. Unter den Plätzen sind die bedeutendsten. Piazza grande, mit Arkaden; Piazza d'Italia, mit der Marmorstatue der Italia; Piazza di Castello, mit dem Denkmal Garibaldis (von Pozzi, 1894), und Piazza Ghislieri, mit dem Denkmal Pius' V. Die an. sehnlichsten Straßen sind: der die ganze Stadt von N. nach S. durchschneidende Corso Vittorio Emanuele, der Corso Cavour und der Corso Garibaldi. Unter den Kirchen, im 14. Jahrh. angeblich 165, sind die bemerkenswertesten: der Dom, 1488 im Frührenaissancestil begonnen, aber nicht vollendet, mit Turm von 1330 und 1583 sowie moderner Fassade und Kuppel; die alte (schon 1100 erneute, 1875 restaurierte) Klosterkirche San Pietro in Ciel d'oro mit reichem gotischen Grabmal des heil. Augustinus von 1362; die auf alten Fundamenten im 11. Jahrh. errichtete romanische Basilika San Michele Maggiore (1860–76 restauriert), mit reichen Skulpturen an der Fassade und an den drei Portalen; Santa Maria del Carmine, ein Backsteinbau von 1390, San Francesco (gotisch, 13. Jahrh.) und die schöne kleine Kuppelkirche Santa Maria di Canepanova, von Bramante. Ferner sind hervorzuheben: das 1490 erbaute, später vergrößerte Gebäude für die 1361 gestiftete Universität, die aus einer schon im 11. Jahrh. bestehenden Rechtsschule hervorging; das Castello, 1360–66 von Galeazzo II. Visconti erbaut (jetzt Kaserne), mit schönem Arkadenhof; der Palast Malaspina, mit Gemälde- und Kupferstichsammlung, die beiden Theater und die Denkmäler der Familie Cairoli (von Cassi 1900), A. Voltas (von Tantardini 1878) und Ghislieris. Die Bevölkerung von P. belief sich 1901 auf 27,424, mit dem Gemeindegebiet auf 35,447 Einw. Die Industrie umfaßt Fabriken für Eisengußwaren, Maschinen, Instrumente, Orgeln, Zündwaren, chemische Produkte, Öl, Teigwaren, Seilerwaren, Hüte, Leder, Holzwaren, Reisschälereien, Buchdruckereien und Seidenraupenzucht. Der Handel hat hauptsächlich landwirtschaftliche Produkte zum Gegenstand. An Wohltätigkeitsanstalten besitzt P. das große Spital San Matteo, ein Taubstummeninstitut, Waisen- und Findelhaus. Ihre Bedeutung verdankt die Stadt hauptsächlich der Universität, an der unter andern Scarpa, Spallanzani, Tissot und Volta lehrten. Sie umfaßt Fakultäten für Jurisprudenz, Medizin, Mathematik und Naturwissenschaften, Philosophie und Literatur, außerdem Kurse für Pharmazie und Hebammenkunde, einen Botanischen Garten und eine Bibliothek, die 200,000 Bände, namentlich medizinische und naturwissenschaftliche Werke, enthält. Sie zählte 1903: 1519 Studierende (mehr als die Hälfte Mediziner). Andre Unterrichtsanstalten sind: ein Lyzeum und Gymnasium, ein Technisches Institut, eine Technische Schule, ein Seminar, eine Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalt, eine Zeichen- und Malschule. P. ist Sitz des Präfekten, eines Assisenhofs und eines Bischofs. 8 km nördlich von P. liegt an der Eisenbahn nach Mailand die berühmte Certosa (s. d.).

Geschichte. P., das alte Ticinum, seit der Langobardenzeit Papia (Pavia) genannt, war römisches Munizipium und wurde 452 von den Hunnen zerstört. 490 kam die Stadt an die Ostgoten, deren König Theoderich hier einen Palast erbaute. Von dem Langobardenkönig Alboin an, der P. 572 nach dreijähriger Belagerung eroberte, war es die Hauptstadt des langobardischen Reiches und blieb auch nach dessen Sturz 774 Krönungsstadt der italienischen Könige. Als 1004 nach der Krönung Heinrichs II. die Bürger sich gegen die Deutschen erhoben, wurde die Stadt durch eine Feuersbrunst zerstört; 1027 eroberte sie Konrad II. Im 11. und 12. Jahrh. kämpfte P. wiederholt mit den Mailändern, die es zu unterwerfen strebten, und gehörte infolgedessen in den ghibellinischguelfischen Streitigkeiten meist der Partei der Ghibellinen an. Im Anfang des 14. Jahrh. stritten sich die ghibellinische Familie Beccaria und die guelfische Familie Langosco um die Regierung der Stadt; die erstere erhielt 1313 durch Kaiser Heinrich VII. die Herrschaft, doch dauerten die innern Kämpfe fort. In diese griffen die Visconti ein und bemächtigten sich 1359 endgültig der Stadt, die nun mit Mailand vereinigt wurde, was Kaiser Karl IV. 1360 durch die Ernennung des Galeazzo Visconti zum Reichsvikar von P. bestätigte. In der Schlacht bei P., 24. Febr. 1525, wurde König Franz I. von Frankreich gefangen genommen (vgl. Aug. Huber in der »Baseler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde«, 1903). 1527 verheerten die Franzosen unter dem General Lautrec die Stadt, die in der Folge mit Mailand an die Spanier und nach dem Spanischen Erbfolgekrieg an Österreich kam. Am 9. und 10. Febr. 1848 kam es in P. zu einem Aufstande, der aber blutig unterdrückt ward und die Schließung der Universität zur Folge hatte. Nach einem neuen Aufruhr verließen am 21. die Österreicher die Stadt, worauf am 23. die sardinischen Freischaren einzogen. 1849 kehrten die Österreicher zurück, und 5. Nov. 1851 ward die Universität wieder eröffnet. Seit 1856 wurden die Festungswerke vergrößert. 1859 ward P. mit der Lombardei an das Königreich Sardinien abgetreten. Vgl. Robolini, Notizie appartenenti alla città di P. (Pavia 1826 bis 1838, 6 Bde.); Grumello, Cronaca pavese dal 1467 al 1529 (hrsg. von G. Müller, Mail. 1806).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 522.
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