Visconti [1]

[189] Visconti, berühmte alte lombardische Familie. Der lateinische Name Vicecomites und der italienische V. bedeuten Vizegrafen und bezeichnen daher das[189] Amt, das die Vorfahren der V. in Mailand ursprünglich bekleidet haben werden. Diese sind mit einiger Sicherheit seit dem 11. Jahrh. nachweisbar, der erste, der bedeutender hervortritt, war Otto, der 1111 bei einem Aufstande der Römer den König Heinrich V. vor der Gefangenschaft rettete, dann aber selbst in die Hände der Feinde geriet und grausam getötet wurde. Von ihm stammte Tebaldo de' V., der 1271 als Gregor X. den päpstlichen Stuhl bestieg. Einem andern Zweige der Familie gehörte Otto an, geb. 1208 in Ugogne. der 1263 Erzbischof von Mailand ward. Als ihm Martin della Torre den Eintritt in Mailand ve. bot, warf sich Otto zum Parteihaupt auf, sammelte die Ghibellinen um sich und bemächtigte sich Aronas. Aber erst 1277 gelang es ihm, die Oberhand über die guelfischen della Torre zu gewinnen, worauf er sich die Herrschaft über die Stadt übertragen ließ. Er starb 1295, nachdem er schon 1287 seinen Neffen Matteo zum Capitan von Mailand halte ernennen lassen. Diesen, der Novara, Vercelli, Como, Bergamo und andre Städte sich unterwarf, ernannte 1294 Adolf von Nassau zum Reichsvikar. Er ward zwar 1302 vertrieben, kam aber 1311 durch Kaiser Heinrich VII. wieder zur Regierung und starb im Kirchenbann 1322, nachdem er die Regierung in die Hände seines Sohnes Galeazzo (geb. 21. Jan. 1277) niedergelegt hatte, der vom Kaiser 1313 zum Vikar von Piacenza ernannt worden war. Galeazzo wurde 1327 durch Ludwig den Bayern gefangen gesetzt, erhielt zwar 1328 auf Fürbitten der Ghibellinenhäupter seine Freiheit, starb aber schon 6. Aug. Sein Sohn Azzo, geb. 1302, ward 1329 gegen große Geldzahlungen von Ludwig dem Bayern zum Reichsvikar in Mailand ernannt und bemächtigte sich nach und nach fast der ganzen Lombardei. Im folgte, da er kinderlos war, 1338 sein Oheim Lucchino, Sohn von Matteo V., geb. um 1287, der mit blutiger Strenge seine Herrschaft in Mailand befestigte und die Macht seines Hauses auch über Piemont und die Lunigiana ausdehnte, daneben auch ein Freund der Wissenschaften war, wie er denn mit Petrarca in Briefwechsel stand und selbst dichtete. Er starb 24. Jan. 1349. Sein Bruder Giovanni, seit 1342 Erzbischof von Mailand, regierte milder, erwarb 1350 Bologna durch Kauf und erhielt 1353 auch die Signorie von Genua. Die Wissenschaften hatten an ihm einen eifrigen Förderer; er war ein Bewunderer Dantes und Gönner Petrarcas. Ihm folgten nach seinem Tode 5. Okt. 1354 seine drei Neffen Matteo II., Bernabo und Galeazzo II., die Mailand und Genua gemeinschaftlich besaßen, das übrige Gebiet teilt en. Galeazzo II. erhielt Como, Novara, Vercelli, Asti, Tortona und Alessandria und teilte nach Matteos Tode 1355 dessen Besitzungen (Bologna, Parma, Piacenza, Lodi) mit seinem Bruder Bernabo, der Cremona, Crema, Brescia und Bergamo empfing. Der Reichtum und die Macht des Hauses erweckten indessen den V. zahlreiche Gegner, und die Nachbarn taten sich zu einer großen Liga gegen die V. zusammen. Bologna und Genua konnten die Brüder nicht behaupten; dagegen verteidigten sie ihren übrigen Besitz mit Erfolg und sicherten ihn durch den Frieden von 1364. Galeazzo, der zuletzt seinen Sitz nach Pavia verlegt hatte, starb 4. Aug. 1378 und hinterließ seine Herrschaft seinem Sohne Giangaleazzo, Grafen von Virtù (Vertus), geb. um 1347, der die französische Königstochter Isabella von Valois geheiratet hatte. Dieser ließ, von den Mailändern zur Übernahme der Regierung aufgefordert, seinen Oheim Bernabo, der sich durch Verschwendung und Grausamkeit verhaßt gemacht, nebst seinen zwei Söhnen 1385 gefangen nehmen und vereinigte so alle Besitzungen des Geschlechtes wieder meiner Hand. Mil ihm erreichte die Familie V. den Gipfel ihrer Größe und ihres Glanzes. Er erkaufte 1395 vom König Wenzel die Erhebung zum Herzog von Mailand, erwarb Pisa, Siena, Perugia, Padua und Bologna, behauptete seine Machtstellung gegen Florenz und Venedig und 1401 auch gegen einen Angriff des deutschen Königs Ruprecht und bereitete sich vor, den Titel eines Königs von Italien anzunehmen, als er 3. Sept. 1402 plötzlich an einer Seuche starb. Auch er liebte die Wissenschaften, zog die berühmtesten Männer an seinen Hof, stellte die Universität zu Piacenza wieder her, stattete die zu Pavia reicher aus und begann große Bauwerke, wie den Mailänder Dom, die Certosa und die Tessinbrücke bei Pavia. Seine zwei rechtmäßigen Söhne Gian Maria und Filippo Maria und ein natürlicher Sohn, Gabriele, teilten nach seinem Tode seine Staaten. Doch führte, da sie alle drei unmündig waren, die verwitwete Herzogin die Regierung, unter der furchtbare Parteikämpfe ausbrachen; während dieser starb die Herzogin 1404. Gabriele ward 1408 in Genua hingerichtet; Gian Maria, der zu einem furchtbaren Wüterich heranwuchs, wurde 16. Mai 1412 in der Kirche des heil. Gothard von Verschwornen ermordet. Filippo Maria, geb. 1391, hatte nach seines Vaters Tode Pavia und die Umgegend erhalten, bemächtigte sich jedoch nach der Ermordung des Bruders seines Gebiets und eroberte mit Hilfe seines Feldherrn Franz von Carmagnola die ganze Lombardei. Er starb 13. Aug. 1447 in Pesaro ohne männliche Nachkommen, und die Herrschaft ging nun auf den Gemahl seiner natürlichen Tochter Bianca, Franz Sforza, über. Mehrere Nebenlinien der Familie bestehen noch jetzt. Vgl. Litta, Ritratti dei V. signori di Milano con le loro vite (Mail. 1847); Sickel. Das Vikariat der V. (Wien 1859); Belgiojoso, Il conte di Virtù (Mail. 1861, 2 Bde.); Sorbelli, La signoria di Giovanni V. a Bologna (Bologna 1901); G. Romano, Gian Galeazzo V. e gli eredi di Bernabò (Mail. 1891); Kagelmacher, Filippo Maria V. und König Sigismund (Berl. 1885); Seguso, Bianca V. e Francesco Sforza (Vened. 1877); F. Calvi, Bianca Maria Sforza-V., regina dei Romani e gli ambasciatori di Lodovico il Moro alla corte cesarea (Mail. 1888), und die Literatur bei dem Artikel »Mailand«.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 189-190.
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