Täler

[293] Täler (hierzu Tafel »Talbildungen I u. II«), verschieden gestaltete Einsenkungen der Gebirge und Durchfurchungen des Plateaus. Ist die Entfernung der begrenzenden Bergwände (Talwände), der Gehänge (die als rechtes und linkes im Sinn eines mit dem Gesicht dem Talausgang zugekehrten Beobachters unterschieden werden), eine geringe, und ist der Winkel, unter dem die Talwände ansteigen, ein großer, dem rechten sich nähernder, so entstehen Schluchten, Gründe, Klammen, Cañons (s. d., Tafel I, Fig. 1, 2 u. 3). Die beiden Gehänge laufen häufig selbst bei gewundenen Tälern einander parallel, so daß ein ausspringender Teil des einen Gehänges (Talsporn) einem einspringenden des andern (Talwinkel) entspricht. Nähern sich die beiden Gehänge, so entstehen Talengen (Talsperren); verlaufen sie annähernd in einer Kreislinie, so entstehen Talweitungen (Bassins, Becken, Zirkus) und, wenn die Gehänge steil abfallen, Talkessel. Der allgemeine Lauf der Gebirgstäler steht entweder ungefähr senkrecht zur allgemeinen Erstreckung des Gebirgskammes, und da bei vielen Gebirgen das Streichen der Schichten demjenigen der Kämme parallel geht, auch senkrecht zur allgemeinen Streichrichtung (Quertäler, T. erster Ordnung), oder es laufen die T. etwa parallel zu dem Hauptkamm des Gebirges (Längstäler, T. zweiter Ordnung). T., deren allgemeine Erstreckung eine zwischen diesen beiden vermittelnde Richtung einhält, hat man Diagonaltäler genannt. – Ein bei der Bildung der T. nie ganz fehlendes, mitunter allein wirkendes Agens ist der erodierende Einfluß des strömenden Wassers (Erosionstäler). Im obern Teil des Tales, im Berggebiet, schäumt der Bergstrom auf stark geneigter Talsohle dahin, zertrümmert das ihm entgegenstehende Gesteinsmaterial und führt es hinweg. Im untern Teil, dem Talgebiet, wird der Fluß, in weniger geneigtem Terrain langsamer dahinfließend, einen Teil des im Oberlauf fortgeführten Materials wieder absetzen und seine erodierende Tätigkeit im wesentlichen nur bei Hochwasser und nur im Sinne der Erweiterung, nicht der Vertiefung des Tales äußern (s. Fluß). In solchen breiten Tälern läßt sich neben dem im eignen Material eingewaschenen Flußbett ein Inundationsgebiet, von Terrassen (Hochufern, s. Hochgestade) begrenzt, unterscheiden, das Produkt gelegentlicher Hochwasser (Tafel I, Fig. 4). Je länger die erodierende Tätigkeit anhält, desto größere Strecken wird die Ausbildung des Talgebiets annehmen, desto weiter nach rückwärts, dem Kamm des Gebirges näher, wird der Oberlauf mit seiner starken Neigung der Talsohle (des Talbettes) sich eingraben. Im obersten Wasserlauf, nahe dem Kamme des Gebirges, ist ein weiter Talkessel, oft mit steilen, fast senkrechten Felswänden, vorhanden (in den Pyrenäen Oules geheißen), über die sich nicht selten Wasserfälle in die Tiefe stürzen (Tafel II, Fig. 1). Der Ausgang aus dem Kessel ist gewöhnlich stark verengert, schluchtartig, und erst nach abwärts erweitert sich dann das Tal in der Region des nicht mehr stürmischen, sondern ruhigen Wasserlaufs. Nur. wo härtere Gesteine, die der Erosion (s. d.) stärkern Widerstand leisten, das Tal durchqueren, wird es sich verengern; hier werden sich Wälle (sogen. Talriegel, Taldämme) bilden, hinter denen sich das Wasser seeartig ausbreitet (Talsee), bis der Wall durchnagt ist und der Fluß in Stromschnellen die vorher sperrende Schwelle durcheilt. Wo härtere und weichere Gesteine mehrfach wechsellagern, werden die härtern im allgemeinen scharf vorspringende Gesimse an den Gehängen bilden, während den weichern Schichten Schuttmassen mit sanftern Böschungen (Felsterrassen) entsprechen. Im Talgrund (Talboden) wird das härtere [293] Material durch Unterwaschung stückweise abbrechen und nachsinken und die Talschwelle (Talstufe) ruckweise nach dem Oberlauf zu weiter und weiter zurückweichen. Ein oft zitiertes Beispiel für solche Verhältnisse bietet der Niagara dar; im kleinen beobachtet man sie in allen Quertälern. Wenn dagegen Längstäler vorliegen, die der Streichungsrichtung des Gesteins folgen, fehlt der mannigfache Wechsel in der Lagerung und Beschaffenheit der Gesteine; aber jede Schichtfuge bietet der Erosion einen natürlichen Angriffspunkt. Daher verlaufen die Längstäler mitunter die Grenze zwischen zweierlei Schichten entlang, die gegen den Kamm des Gebirges zu ansteigen. Es zeigen diese letztern (Scheidetäler, isoklinale T., Komben) an den beiden Gehängen verschiedenes Gestein und nur auf dem einen Abhang einen steilen Absturz, während der Sinn des Einfallens der Schichten rechts und links der gleiche ist. Die große Furche, in der die Rhone von der Quelle bis Martigny nach SW., die Reuß im Urserental und der Rhein bis Chur nach der entgegengesetzten Richtung fließen, bietet das beste Beispiel eines Längst als, die Flüsse, die von den Berner Alpen nach NW. strömen, verfolgen Quertäler. Andre Alpenflüsse, wie z. B. der Inn, besitzen einen aus abwechselnden Längs- und Quertälern zusammengesetzten Lauf, der im ganzen genommen das Gebirge schräg (diagonal) durchschneidet. Bei manchen, große Kettengebirge diagonal durchsetzenden Tälern (Durchbruchstälern) läßt sich übrigens eine gewisse Unabhängigkeit vom Gebirgsbau nachweisen; die das Gebirge schräg durchströmenden Flüsse sind dann älter als die letzte Gebirgserhebung, also älter als das Gebirge selbst. So durchbricht z. B. der Dunajec in den Karpathen die sogen. südliche Klippenreihe da, wo aus derselben ein gewaltiger, aus harten Kalken bestehender Berg, der Pienin, hervorragt, während unmittelbar rechts und links nur ganz weiche, leicht erodierbare Sandsteine und Schiefertone vorliegen (Tafel II, Fig. 2). Das ist nur erklärlich, wenn das Bett des Flusses schon vor der Ausrichtung der Ketten vorhanden war; denn sonst hätte derselbe sicherlich den leichtern Weg gewählt. Dagegen macht sich eine vollständige Abhängigkeit vom Gebirgsbau bei manchen Längstälern geltend. So folgen im Juragebirge, in der Schweiz und im östlichen Frankreich viele Flüsse und T. den durch die Faltung der Schichten bedingten Ketten, und die T. entsprechen sehr oft dem tiefsten Teile synklinaler Falten (Muldentäler, Senkungstäler, Einbruchstäler, synklinale T., s. Schichtung). Weit seltener sind die sogen. Gewölbtäler (Hebungstäler, antiklinale T.), die der Sattellinie eines Sattels (s. Schichtung) parallel verlaufen und zuweilen vielleicht durch Zerreißung der obersten Schichten bei der Dislozierung, in den meisten Fällen aber wohl durch einfache Erosion entstanden sind. Auch diejenigen Quertäler, die wirklichen Verwerfungsspalten im Gebirge entsprechen (Spaltentäler, Bruchtäler), gehören zu den Seltenheiten; weitaus in den meisten Fällen sind die Quertäler einfache, durch Erosion gebildete T. (Klusen, Klausen, s. Cluse). Die zwischen zwei parallel verlaufenden Verwerfungsspalten (zumal in Schichtgräben, Grabenversenkungen) verlaufenden T. nennt man auch wohl Einbruchstäler, Grabentäler. Sehr häufig veranlaßt die zwischen zwei ungefähr parallel verlaufenden Gebirgen (oder Lavaströmen) vorhandene Einsenkung die Bildung eines interkollinen Tals. Besondere Talformen zeigen auch einzeln stehende Berge vulkanischen Ursprungs. Nach Erlöschen der vulkanischen Tätigkeit senkt sich häufig an der Stelle des zentralen Kegels ein tiefes Kesseltal (Caldera, Caldeira) ein, von dem aus mitunter ein den Ringwall durchbrechendes Haupttal nach außen führt, und gleichzeitig wird auch der äußere Mantel von radial ausstrahlenden Rillen (Barrancos) durchfurcht werden (vgl. Vulkane). Über die sogen. Trockentäler s. Wadi. Vgl. Rütimeyer, Über Tal- und Seebildung (2. Ausg., Basel 1874); Supan, Talbildungen des östlichen Graubündens etc. (Wien 1877); Bodmer, Terrassen und Talstufen der Schweiz (Zürich 1880); Löwl, Über Talbildung (Prag 1884); E. Richter, Geomorphologische Untersuchungen in den Hochalpen (Ergänzungsheft 132 zu Petermanns Mitteilungen, Gotha 1900).

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Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 293-294.
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