Theiß

[462] Theiß (magyar. Tisza, lat. als Grenzfluß Daciens Tissus, Tisia oder Patisus, nicht Tibiscus), der größte Nebenfluß der Donau und nächst dieser der Hauptfluß Ungarns, entspringt in den nordöstlichen Waldkarpathen im Komitat Máramaros, nahe der galizischen Grenze. Ihre Quellflüsse, die Schwarze T., die bei Körösmezö, und die Weiße T., die durch Vereinigung zahlreicher Gebirgsbäche bei Bogdan entsteht, vereinigen sich unweit Rahó. Zunächst fließt die T. südwärts in wildromantischem, engem Tal und wendet sich nach Aufnahme des Vissó, der Iza, des Taracs und Talabors west- und nordwestwärts über Máramaros-Sziget nach der Talenge von Huszt. Bei Nagy-Szöllös betritt sie die niederungarische Tiefebene und bildet, nachdem sie rechts den Nagy-Ag und die Borsova, links die Tur und den Szamos aufgenommen, mit dem Bodrog die Bodroginsel, berührt bei Tokai zum letztenmal die Ausläufer der Karpathen, nimmt dann den Sajó, Hernád, Eger und die Zagyva auf und wälzt ihre schlammigen Fluten fortan träge in großen Windungen über Szolnok gegen Szegedin. Zwischen diesen Orten erhält sie von links die dreifache Körös, bei Szegedin die schnelle Maros. Von Szegedin behält sie ihre südliche Richtung bis zu ihrer Mündung in die Donau bei Slankamen (unterhalb Titel) bei. Ihr Flußgebiet beträgt 157,186 qkm, der direkte Abstand der Quelle von der Mündung nur 455 km, dagegen mit den zahlreichen Krümmungen 958, nach andrer Berechnung sogar 1411 km. Ihre Breite beträgt im Unterlauf durchschnittlich 130–7100 m, an der Mündung 302 m. Für Flöße ist sie von Tiszaujlak ab schiffbar. Dampfschiffe verkehren jetzt von Titel bis Szolnok. Der Wasserstand ist sehr großen Schwankungen (bis 8 m) unterworfen; bei Titel wechselt die Tiefe von 4,2–9,7 m, bei Szolnok von 3,2–10,1 m, von Tokai bis Csap von 2,4–9,8 m. Mit der Donau ist sie durch den Franzenskanal (s. d.) verbunden, mit Temesvar durch den Begakanal. Eine Kanalverbindung mit der Donau (etwa zwischen Budapest und Szolnok) ist schon lange in Aussicht genommen. Seit undenklichen Zeiten hatten die Uferlandschaften der T. von ihren Überschwemmungen zu leiden. In der ersten Hälfte des 19. Jahrh. suchte man auf Betreiben des Grafen Széchenyi und meist nach den Plänen der Ingenieure Vásárhelyi und Paleocapa ihr Flußbett zu regulieren. Lange Zeit trotzte sie aber den kostspieligen Versuchen der 37 Regulierungsgesellschaften, bis 1886 die meist nur Lokalinteressen verfolgenden Gesellschaften der Kontrolle der Regierung unterstellt wurden. Verursacht wurden die Überschwemmungen zunächst durch das geringe Gefälle des Mittel- und Unterlaufes. Dazu kommt, daß die Betten mehrerer Nebenflüsse (besonders der Maros) sowie der Donau höher liegen als jenes der T. und die Wassermengen dieser Flüsse beim Zusammenfluß die Gewässer der T. weit aufwärts stauen. Mit riesigen Geldopfern (über 200 Mill. Kronen) wurde in den letzten Jahrzehnten die Regulierung durchgeführt, wodurch 2,2 Mill. Hektar der Überschwemmungsgefahr entrissen wurden. Die Zahl der Durchschnitte beträgt 112, deren Länge 136 km, die durchschnittliche Höhe der Dämme 7,6 m. Als Maximum der Breite des Inundationsgebietes wurden im Unterlauf 500 m festgesetzt. – Die T. ist noch heute ein fischreicher Fluß; auf den morastigen und flachen Ufern finden zahllose Wasservögel Schlupfwinkel und Brutplätze. Eigentümlich ist ihr die Theißblüte (s. Eintagsfliegen). Von den ungarischen Dichtern, insbes. von Petöfi, wurde die T. als der eigentliche Nationalfluß oft verherrlicht. Vgl. K. Hieronymi, Die Theißregulierung (Budap. 1888); St. Hanusz, An der blonden T. (magyar., Kecskemét 1896), und P. Bujević, Die T. (in Pencks »Geographischen Abhandlungen«, Bd. 7, Leipz. 1906).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 462.
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