Diogĕnes [1]

[163] Diogĕnes (gr., d.i. der von Zeus Gezeugte), bei Homer Beiname von Königen, später gewöhnlicher Name. I. Byzantinischer Kaiser: 1) so v.w. Romanus. II. Philosophen u. Dichter: 2) D. Apolloniates od. der Physiker, aus Apollonia in Kreta, ionischer Philosoph zwischen 500 u. 460 v. Chr., lebte in Athen u. wurde daselbst verfolgt. Er nahm mit Anaximenes die Luft als den Grundstoff an, wollte aber daraus (vermittelst des Athmens) zugleich die Erscheinungen des Bewußtseins erklären; führte zuerst ein dialektisches Verfahren in die Physik ein, theils in der Nachweisung der Nothwendigkeit eines Grundstoffes,[163] theils in der Wiederlegung der Einwendungen gegen seine Identität des Athmens u. Bewußtseins. Vgl. Fr. Panzerbieter, De Diogenis Apoll. aetate et scriptis, Lpz. 1830; Fragmente seiner Schrift Περὶ βίων, δογμάτων ϰαὶ ἀποφϑεγμάτων τῶν ἐν φιλοσοφίᾳ εὐδολιμησάντων gesammelt außerdem von Schorn, mit Anaxagaras, Bonn 1830. 3) D., der Kyniker genannt, geb. 414 v. Chr. zu Sinope in Paphlagonien; wegen Falschmünzerei seines Vaters Ibesias floh er, mit diesem verwiesen, aus Sinope nach Athen. Hier wurde der Kyniker Antisthenes sein Lehrer, dessen strenge Grundsätze u. Lebensweise D. auf den höchsten Grad steigerte. Er unterwarf sich den härtesten Prüfungen, hungerte u. durstete, genoß geringe Nahrungsmittel u. übte die äußerste Enthaltsamkeit. Die einzige Tugend war ihm die Empfindungslosigkeit. Er ging mit langem Bart u. großem Stock ohne Schuhe u. Mantel einher, einen Quersack auf der Schulter u. schlief des Nachts in der Stoa Zeus, zuweilen in einem irdenen Faß (od. einem kleinen Hause) u. soll aus der Hand getrunken haben, nachdem er, da er einen Knaben mit der Hand Wasser schöpfen gesehen, seinen hölzernen Becher weggeworfen hatte. In Hinsicht darauf heißt auch die Hohlhand in ihrer Krümmung Patera Diogenis (Becher des Diogenes). Seine Nachahmer in Einfachheit des Lebens hießen Bachioniten, sie trugen nur einen Mantel u. einen Becher. Überall tadelte er ohne Scheu die Thorheiten seiner Zeitgenossen u. Mitbürger. Den Anstand übertrat er oft höchst auffallend, doch soll er, als einer seiner Schüler die Ehe auf der Straße vollziehen wollte, seinen Mantel darüber gedeckt haben. Auf einer Reise von Ägina von Seeräubern gefangen, wurde er an den Korinthier Xeniades verkauft, doch ließ ihn derselbe frei u. übertrug ihm die Erziehung seiner Kinder. Er lebte nun den Sommer in Korinth, den Winter in Athen. Alexander d. Gr., der ihn in Korinth zu sehen wünschte, traf ihn, als er sich gerade in den Sonnenschein gelagert hatte, knüpfte eine Unterredung mit ihm an u. hieß ihn zuletzt sich eine Gnade ausbitten. D. bat jedoch weiter nichts, als daß der König ihm möchte aus der Sonne treten, damit er die Wärme genösse. Alexander wurde überrascht u. rief verwundert aus: Wenn ich nicht Alexander wäre, wünschte ich D. zu sein! Auch erzählt man von ihm, er sei eines Tages bei Sonnenschein mit einer brennenden Laterne auf dem Markt in Athen umhergegangen, u. auf die Frage: was er suche, habe er geantwortet: einen Menschen (daher Laterne des D.). D. st. 324 v. Chr. auf der Straße bei Olympia. Er schr.: Briefe (früher 27 an der Zahl bekannt, von Boisonade noch 22 hinzugefügt, alle unecht), herausgeg. von Fr. Aretin, Bas. 1554, u. in der Sammlung griechischer Epistolographen; Grimaldi, La vita di Diogene, Neap. 1777. 4) D. Babylonius od. der Stoiker, aus Seleukia am Tigris, Schüler des Chrysippos, um 220 v. Chr. Die Athener schätzten den D., daher er 156 v. Chr. mit Karneades u. Kritolaos zu einer Gesandtschaft nach Rom auserlesen wurde. Hier machte er in seinen Vorträgen die Römer zuerst mit der griechischen Philosophie näher bekannt u. deshalb drang der ältere Cato auf seine u. seiner Gefährten Entfernung. Seine Anhänger Diogenisten u. Diogeneer. Er st. im 88. Jahre. 5) D. Önomaos, Dichter (einige Fragmente in Grotius Excerpta ex tragoediis), der sich bei der Befreiung von Athen von den 30 Tyrannen auszeichnete. 6) D. Laërtios, aus Laërte in Cilicien, um 210 n.Chr., Epikuräer; er schr.: Περὶ βίων, δογμάτων καὶ ἀποφϑεγμἀτων τών ἐν φιλοσοφίᾳ εὐδοκιμησάντων, eine Compilation über das Leben u. die Meinungen berühmter Philosophen in 10 Büchern; 1. Ausg., Bas. 1533; von Meibom u. Menage, Amst. 1692, 2 Bde., von Longolius, Hof 1739, 2 Bde.; von Hübner, Leipzig 1828–31, 2 Bde., u. Commentar, ebd. 1830–33, 2 Bde.; von Cobet, Par. 1850; deutsch von Snell, Gießen 1806, 2 Bde., von Borheck, Wien 1807, 2 Bde.; englisch von Yonge, Lond. 1853. Vgl. Rossi, Commentationes Laert., Rom 1788; Klippel, De Diogenis L. vita etc., Ihlefeld 1831.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 5. Altenburg 1858, S. 163-164.
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