Gerbsäuren

[222] Gerbsäuren. In vielen, nach Pettenkofer nur in perennirenden Pflanzen kommen eigenthümliche Verbindungen vor, deren besonderes Kennzeichen es ist, sich mit Leim u. leimgebenden Geweben in constanten Verhältnissen zu vereinigen u. neue Stoffe darzustellen, die sich durch ihre Unlöslichkeit in Wasser ihre Eigenschaft nicht zu faulen auszeichnen. Die G. besitzen einen herben od. adstringirenden Geschmack u. keinen Geruch; bei gewöhnlicher Temperatur sind sie fest u., mit Ausnahme der Moringerbsäure, nicht krystallisirbar. Das Leder, welches dadurch bereitet wird, daß man Häute unter gewissen Bedingungen mit jenen Stoffen in Berührung bringt, nennt man gegerbt, u. den Stoff, der dies bewirkt, Gerbstoff (Tannicum, Tannin). Letzter ist in den verschiedenen Pflanzen verschieden, od. es gibt vielmehr mehrere G., welche zu einem gemeinschaftlichen Genus gehören, von welchem sie besondere Species bilden. Die G. besitzen die Eigenschaft, mit verschiedenen Metalloxyden verschieden gefärbte Niederschläge zu geben; namentlich aber zeichnen sie sich durch ihr Verhalten gegen Eisenoxydsalze aus, welche von der einen Klasse schwarz od. blau, von der anderen grün gefärbt werden. Man hat deshalb früher die G. in eisenschwärzende u. eisengrünende G. eingetheilt. Die eisenschwärzende Gerbsäure hat vorzugsweise den Namen Gerbsäure erhalten. Man hat bis jetzt folgende G. unterschieden: a) Gallusgerbsäure, C56H22O34, findet sich in den gewöhnlichen u. chinesischen Galläpfeln, in allen Theilen von Quercus infectoria, ferner im Sumach u. im Thee, sie ist weiß u. nicht krystallinisch, löst sich wenig in Alkohol, röthet Lackmus, wird aus ihrer concentrirten Lösung durch Mineralsäuren gefällt; Eisenoxydulsalze in verdünnten Lösungen werden von ihr nicht, Eisenoxydsalze schwarzblau gefällt, Oxyde edler Metalle durch dieselbe reducirt. An der Luft od. durch die Einwirkung von Säuren u. Alkalien geht sie über in Gallussäure (s.d.); bei der trockenen Destillation gibt sie eben so wie die letztere Pyrogallussäure, C12H6O6. Mit concentrirter Schwefelsäure behandelt, gibt sie eine carminrothe Lösung, aus der aber keine Rothgallussäure abgeschieden werden kann. Das gallusgerbsaure Bleioxyd, sogenannte Tanninblei Plumbum cytodephicum s. tannicum) erhält man durch Fällen eines Eichenrindenabsuds durch essigsaures Bleioxyd, es ist gegen Aufliegen in langwierigen Krankheiten empfohlen worden. Mit Leim verbindet sich die Gallusgerbsäure in drei Verhältnissen zu unlöslichen, durch Fäulniß nicht zerstörbaren Verbindungen. Durch Zusatz von Kali zu ihrer wässerigen Lösung wird sie zu Rothgerbsäure (Tannoxylsäure) oxydirt. Die Tanningenamsäure, C42H20N3O23, eine amidähnliche Verbindung, entsteht, wenn zu der rein geistigen Lösung von Gerbsäure Ammoniak u. schwefelsaures Ammoniak gesetzt werden; sie ist krystallisirbar, in kochendem Wasser löslich u. wird durch eine Spur von Eisen blau gefärbt. Eine der Gallusgerbsäure sehr ähnliche Säure ist die Eichengerbsäure (Acidum quercitannicum), welche sich in Quercus robur u. den auf derselben wachsenden Galläpfeln findet; sie unterscheidet sich von der Gallusgerbsäure hauptsächlich dadurch, daß sie keine Gallussäure liefert. Man nennt aber sowohl die Gallusgerbsäure als die Eichengerbsäure in der Regel vorzugsweise Gerbsäure od. Tannin. Was die Darstellung der Gerbsäure betrifft, so erhält man sie am reinsten, wenn man die gepulverte Substanz im sogenannten Verdrängungsapparat mit wasserhaltigem Äther extrahirt; das erhaltene Extrat bildet zwei Flüssigkeitsschichten, von denen die untere eine concentrirte Lösung von Gerbsäure in Äther u. Wasser ist, während die obere nur aus Äther besteht, welcher wenig Gerbsäure gelöst enthält; die erste Flüssigkeit dampft man im Vacuum zur Trockne ein u. erhält die Gerbsäure als eine glänzende, amorphe, etwas gelblich gefärbte Masse, welche durch wiederholtes Lösen in wasserhaltigem Äther gereinigt werden kann. b) Moringerbsäure (Acidum moritan nicum), C18H8O10 diese in der neuesten Zeit von Wagner in dem Gelbholz (Morus tinctoria) entdeckte Gerbsäure findet sich häufig in der Mitte der Gelbholzblöcke in krystallinischen, gelblichen od. fleischrothen Stücken abgelagert. Sie erscheint im reinen Zustande als schwefelgelbes Pulver, das süßlich zusammenziehend schmeckt, sich wenig in kaltem Wasser, leicht in heißem, in Alkohol u. Äther löst. Bleisalze werden von der wässerigen Lösung gelb gefällt, ebenso Chinin, zum Theil auch Brechweinstein. Die wässerige Lösung wird durch Säuren nicht gefällt. Bei der trockenen Destillation liefert sie ein krystallinisches Product, die Brenzmoringerbsäure od. Phensäure, C12H6O4, welche mit dem Brenzcatechin identisch ist. Mit concentrirter englischer Schwefelsäure in der Kälte behandelt, bildet die Moringerbsäure eine eigenthümliche Säure, die Rufimorinsäure, C14H7O8, welche durch Alkalien carminroth gefärbt wird u. viel Eigenschaften mit der Carminsäure gemein hat. c) Die Catechugerbsäure (Acid. mimotannicum), wird aus dem Catechu (von Acacia catechu) gewonnen, ist hellgelb, nicht krystallisirbar, in Wasser, Alkohol u. Äther löslich; ihre wässerige Lösung fällt Leim, Brechweinstein nicht, u. gibt mit Eisenoxydsalzen ein graugrünes Präcipitat. Bei der trockenen Destillation liefert sie Brenzcatechusäure; unter denselben Umständen, unter denen die Gallusgerbsäure übergeht, verwandelt sich die Catechugerbsäure in Catechinsäure. d) Die Kaffeegerbsäure (Chlorogensäure), C14H8O7, findet sich in den Kaffeebohnen, in dem Paraguaythee (Ilex paraguayensis) u. in der Wurzel von Chococca racemosa. Sie trocknet zu einer gummiartigen Masse ein, die im leeren Raume aufbewahrt, nach längerer Zeit spröde wird. Die Salze dieser Säure verändern sich an der Luft sehr schnell u. färben sich grün u. braun. Das Ammoniaksalz gibt mit essigsaurem Bleioxyd einen gelben, mit Eisenoxydsalzen einen schwarzgrünen Niederschlag. Eine Lösung des kaffeegerbsauren Ammoniaks geht über an der Luft in das Ammoniaksal; der Viridinsäure, C14H6O7, HO. e) Die China [222] gerbsäure (Chinagerbstoff, Acid. cinchotannicum) findet sich in den Chinarinden mit Chinin u. Cinchonin verbunden; sie bildet eine hellgelbe, nicht krystallinische Masse, die sich in Wasser, Alkohol u. Äther löst u. Eisenoxydsalze grünschwarz fällt. An der Luft zieht sie Sauerstoff an u. wird rothbraun (Chinaroth). Die Zusammensetzung der Chinagerbsäure ist nicht bekannt. f) Die Kinogerbsäure (A. coccotannicum) findet sich im Kino (von Pterocarpus u. Coccoloba uvifera) u. erscheint als schön rothe, metallisch glänzende Masse, löst sich leicht in Wasser u. Alkohol, nicht aber in Äther, gibt bei der trockenen Destillation keine Brenzgallussäure, die wässerige Lösung gibt mit essigsaurem Bleioxyd einen röthlichen, mit Eisenoxydsalzen einen schwärzlich grünen Niederschlag. Brechweinstein bewirkt keine Fällung. An der Luft od. durch Hindurchleiten von Sauerstoffgas setzt sich aus der wässerigen Lösung das Kinoroth ab. g) Callutannsäure, C14H6O8 + HO, findet sich in der Calluna vulgaris, ihre Lösung fällt Eisenoxydsalze grün, Bleisalze gelb; man kann sie zum Gelbfärben benutzen. Mineralsäuren verwandeln sie in Calluxanthin, einen rothgelben, in heißem Wasser löslichen Farbstoff. Außer diesen genannten G. finden sich in mehreren anderen Pflanzen noch ganz ähnliche Säuren, so in der Rinde von Quercus tinctoria der Quercitrongerbstoff; in den Blättern von Rhododendron ferrugineum die Rhodotannsäure, C14H6O7 + HO; in der Wurzel von Cephaëlis ipecacuanha die Ipkakuanhasäure, C14H8O6 in den Nadeln von Pinus sylvestris die Pinitannsäure, C14H8O8, u. die Oxypinitannsäure, C14H8O9 in der Asperula odorata die Aspertannsäure, C14H8O8 im Kraute von Galium verum u. apparine die Galitannsäure, C14H8O10, etc.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 7. Altenburg 1859, S. 222-223.
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