Pulver

[687] Pulver (lat. Pulvis), 1) staubähnliche Substanz; 2) trockner, in sehr kleine Theile zertheilter Körper, welche selbst wie bei Räucherpulver noch gröblich sein können; 3) bes. ein auf mechanischem Wege in seine Theile zerlegter, zu Heilzwecken, entweder äußerlich (als Streu-, Zahn-, Niesepulver etc.), od. innerlich anzuwendender trockner Körper. Arzneien in Pulverform zu verordnen ist erst seit dem 15. Jahrh. üblich. Diese Form wird denselben durch die pharmaceutische Operation des Pulverns verliehen, welches durch Stoßen od. durch Reiben geschieht. P. zum innerlichen Gebrauch, auch zur äußern Anwendung bei Augenkrankheiten, müssen ganz sein sein; die allerfeinsten erhalten auch den Namen alkoholisirte P. Gestoßne P. werden durch Haar- od. Florsiebe, od. auch seine doppelte Leinwand, welche über hölzerne Büchsen, od. Zuckergläser gebunden ist, durchgestäubt. Harte Wurzeln u. Hölzer werden vor dem Pulvern sein zerschnitten od. geraspelt; harzigen. gummöse Körper, z.B. Asant u. Opium, werden im Winter bei großer Kälte gepulvert; Campher wird durch Zusatz einiger Tropfen Weingeist fähig gepulvert zu werden etc. Man unterscheidet einfache u. zusammengesetzte P. Zu letztern können durch Zumischung auch Stoffe benutzt werden, welche an sich keiner Pulverung fähig sind,[687] wie ätherische Öle (vgl. Elaeosaccharum), od. harzige u. klebrige Stoffe (wie Jalappenharz), die sich mit trocknen durch Zusammenreiben, mit u. ohne Vermittelung anderer Körper verbinden lassen. In Hindeutung auf den Zweck, wozu P. dienen sollen, bekommen sie auch besondere Namen, wie Husten-, Magen-, niederschlagende P. etc. In Verschreibung von P-n auf Recepten wird gewöhnlich, nach Angabe der zu denselben zu nehmenden Ingredienzen, die Andeutung, daß das zu bereitende ein P. werden solle, durch die Worte: Fiat pulvis, gegeben; dann aber kommt es darauf an, ob aus der Mischung mehre P., von denen jedes eine Dosis abgibt, gefertigt, od. ob die Mischung mehrmals bereitet u. so eine gewisse Zahl P. gegeben werden soll. Ersteres wird durch die Beifügung angedeutet: Dividatur in duas, tres, quatuor etc. partes aequales, Letztres durch die Beifügung: Dispensentur tales doses duo, tres, quatuor etc., od. auch: Detur in duplo, triplo etc. Zum Gebrauch werden die P. entweder in papiernen Kapseln (Pulverkapseln) gethan, od. in Schachteln od. Gläsern verabreicht, letzteres auf den Recepten durch: Detur ad scatulam, ad vitrum, bemerkt; 4) Zubereitung in Pulverform, welche zu ökonomischen u. andern Zwecken dienen, wie: Dinten-, Putz-, Limonadenpulver u.a. 5) (Schießpulver), eine Zusammensetzung aus Salpeter, Schwefel u. Kohle, welche, sobald ein Funken an dieselbe kommt, sich entzündet, mit großem Geräusch detonirt u. dann, vermöge der Expansivkraft der bei der Verbrennung entwickelten Gase, jeden verhältnißmäßigen Widerstand aus dem Wege räumt. Die Mischung des P-s ist verschieden. Zu dem preußischen Militärpulver werden 75 Theile Salpeter, 11,5 Theile Schwefel, 13,5 Theile Kohle von Faulbaum, auch Ellern, Linden, Pappeln, Hollunder, Weiden, Hanfstängeln, Haselstauden, genommen; das französische Militärpulver hält 75 Theile Salpeter, 12,5 Schwefel, 12,5 Kohle; das englische Militärpulver 75 Salpeter, 10 Schwefel, 15 Kohle; österreichisches Militärpulver 75 Salpeter, 12 Schwefel, 13 Kohle; schwedisches Militärpulver 75 Salpeter, 9 Schwefel, 16 Kohle; Berner Pulver 76, Salpeter, 10 Schwefel, 14 Kohle; französisches Jagdpulver 76,9 Salpeter, 9,6 Schwefel, 13,5 Kohle; französisches Sprengpulver 62 Salpeter, 20 Schwefel, 18 Kohle; österreichisches Sprengpulver 60,2 Salpeter, 18,1 Schwefel, 21,4 Kohle. Nach Berthollet ist eine Mischung von 75 Salpeter, 16 Kohle u. 9 Schwefel das wirksamste. Diese Mischung variirt nach dem Zwecke, wozu das Pulver dienen soll, u. man erhält dadurch, sowie durch die Art der Fabrikation verschiedene Pulversorten. Das schlechteste P. ist das Spreng- (Minen-) pulver, zum Sprengen in Minen od. Steinbrüchen; das Geschützpulver ist grob gekörnt; seiner gekörnt ist das Gewehr- od. Musketenpulver; die besten Sorten sind das F- od. Jagdpulver u. das Ff- od. Büchsen- (Bürsch-), Scheibenpulver, sie haben sehr seines Korn; Mehlpulver ist P., welches auf dem Abreibebrete, mit dem Laufer (Reibholz) durch Zerquetschen in Mehl verwandelt, dann rein ausgesiebt wird u. häufig in der Feuerwerkerei u. zum Einpudern des Geschützes etc. Anwendung findet. Knirschpulver ist halbgeriebenes Kornpulver. Farbenpulver ist P., welchem man statt der Kohle andere ähnliche Stoffe, z.B. faules Holz, das in einem grün, gelb, blau, roth etc. färbenden Absud gesotten worden ist, beimengt. Es dient als Curiosität, od. um zu verbergen, daß die Substanz P. ist. Die Wirkung des P-s gründet sich darauf, daß es bei der Verbrennung Plötzlich eine große Menge Gas liefert, durch dessen Expansivkraft das Geschoß aus dem Laufe fortgeschleudert wird. Der Theorie nach müßte das Schießpulver bestehen aus: 1 Äquivalent Salpeter, 1 Äquiv. Schwefel u. 3 Äquiv. Kohle, d.h. in 100 Theilen aus: 74,8 Salpeter, 11,8 Schwefel u. 13,4 Kohle; dasselbe gibt beim Abbrennen: Schwefelkalium, welches als Rückstand (Pulverschleim, Pulverkruste) zurückbleibt, Stickstoffgas u. Kohlensäure: KO, NO5 + S + 3C = KS + N + 3CO2. Der Sauerstoff des Salpeters verbrennt also den Kohlenstoff zu Kohlensäure, der Stickstoff der Salpetersäure wird frei u. der Schwefel bildet mit dem Kalium Schwefelkalium. Bunsen u. Schischkow fanden in dem Pulverrückstand schwefelsaures Kali, Schwefelkalium, kohlensaures Kali, Rhodankalium, salpetersaures Kali u. Kohle; unter den Gasen außer den angeführten noch Kohlenoxydgas, Schwefelwasserstoffgas u. Sauerstoff. Aus der obigen Formel findet man durch Rechnung leicht, daß 1 Cubikcentimeter dieses Pulvers 329 Cubikcentim. Gas von 0° C. u. 760 Millim. Barometerstand liefert. Dieser Raum wird beträchtlich größer, wenn man die hohe Temperatur in Rechnung bringt, welche beim Verbrennen des Pulvers entwickelt wird; Bunsen u. Schischkow fanden dieselbe zu 3340° C. Über die Fabrikation u. das Körnen des P-s s. u. Pulvermühle, über die Aufbewahrung desselben unter Pulvermagazin, über die verschiedene Weise es zu probiren unter Pulverprobe; über den Gebrauch des P-s zum Schießen s. Schießen. Schon das von dem Griechen Kallinikos 668 n.Chr. erfundene Griechische Feuer (s.d.) scheint Ähnlichkeit mit dem P. gehabt zu haben, denn es wird ausdrücklich gesagt, daß man mittelst desselben Steine auf die feindlichen Schiffe aus metallnen Röhren getrieben habe. Salpeter mit Naphtha, Harz u. dgl. gemischt u. geschmolzen sollen Bestandtheile desselben gewesen sein. Noch früher kommt das P. bei den Chinesen vor. Im 9. Jahrh. findet sich in einem Buch des Marcus Gracchus, welches sich auf der Bibliothek zu Oxford befindet, die Mischung des P-s vollständig angegeben; es sollen nämlich zwei Pfund Kohlen, ein Pfund Schwefel u. sechs Pfund Salpeter mit einander gemischt werden. Auch in einem im 13. Jahrh. in Ägypten verabfaßten arabischen Gedicht über die Kriegswerkzeuge, welches im Manuscript in der Bibliothek des Escurial ist, kommt das P. vor. Darin wird ein Feuerschloß beschrieben, dessen bewegende Kraft durch die Wirkung des P-s erzeugt wird, welches El barat genannt wird, ein Wort, das noch jetzt gebräuchlich ist. Von Ägypten kam das P. durch Afrika zuerst nach Spanien, wo es nach dem Bericht eines gleichzeitigen arabischen Geschichtschreibers 1247 bei der Belagerung von Nieba in seiner Wirksamkeit erscheint. Eben so geschieht seiner Erwähnung in einem andern arabischen Gedicht, dessen Verfasser 1272 in Granada lebte. Mehre Jahre vorher hatte der Engländer Roger Bacon in zwei seiner Werke zu verschiednen Malen von dem P. gesprochen, welches zur Verfertigung eines springenden Feuerwerks (nach der Beschreibung eine Art Schwärmer) gebraucht wurde, um Kinder damit zu belustigen. Obgleich er aber alle Wirkungen des P-s genau anzeigt, so mußte[688] doch das Recept zu dessen Verfertigung nur einigen Adepten bekannt sein, denn er nennt es nur anagrammatisch (Redwop). Die gewöhnliche Tradition nennt den deutschen Mönch Berthold Schwarz (s.d.) im 13. Jahrh. als Erfinder des P-s. Er soll eine eigenthümliche Mischung zu chemischen Versuchen in einem Küchenmörser eingeschlossen gehalten haben, wovon, als sie durch einen zufällig einfallenden Funken sich entzündete, die Mörserkeule mit einem darauf lastenden Steine bis an die Decke des Zimmers geworfen wurde. Andere schreiben die Erfindung dem jütländischen Mönch Lorenz Vola (1420) zu; Vincenz Bruno von Melfi nennt einen gewissen Altiral von Prag (1380), Kaspar Stradi einen Peter Lips (1380) als Erfinder. Die Kanone wurde zum ersten Mal in Spanien bei der Belagerung von Baza i. J. 1323 gebraucht; seit 1338 fand diese Waffe in Frankreich Eingang. Die Engländer bedienten sich der Kanonen in der Schlacht von Crécy (1346). Was Italien betrifft, so spricht ein Dialog Petrarcas, welcher zwischen 1358 u. 1360 geschrieben ist, von Kanonen, u. Actenstücke von 1359 geben Kunde von dem Gebrauch des P-s u. aller zur Geschützkunst erforderlichen Werkzeuge, so daß also die vor Chioggia gebrauchten Kanonen der Venetianer nicht die ältesten in Italien sind. 1356 kommt gekauftes Geschütz u. P. in den Nürnberger Stadtrechnungen u. ein Geschütz bei dem Markgrafen von Meißen vor; 1360 wurde das Gebäude der Oberkirchenbehörde in Lübeck durch die Nachlässigkeit der Arbeiter, welche P. zu den Karthaunen verfertigten, in Brand gesetzt, u. 1375 ließ der Rath von Augsburg 20 Kanonen gießen. 1370 wird mehrer Geschütze bei den braunschweiger Herzögen u. 1372 in Augsburg gedacht. In demselben Jahrewar das P. auch schon in Dänemark bekannt. In Schweden wurde es um 1408, in Rußland 1475 bekannt. Lange Zeit wurde das P. als Mehlpulver auf Handmühlen dargestellt, später in Stampf-, seit 1754 in Walzmühlen gefertigt. Zu Anfang des 16. Jahrh. wurde das Körnen des P-s erfunden, verdrängte aber nicht das Mehlpulver. Die langen Kriege Ludwigs XIV. führten zu Verbesserungen des P-s in dem Mengungsverhältniß des Satzes. Zur Zeit der Schlesischen Kriege arbeiteten Lavoisier u. Robins auf Verbesserung des P-s hin, 1792 Graf Rumford in München. Die Erfahrungen der Chemie der Neuzeit wendete man an auf Bereitung eines kräftigen gleichförmigen P-s; 1786 entdeckte der französische Chemiker Berthollet das chlorsaure Kali u. empfahl es statt des Salpeters für das Schießpulver. Die ersten Versuche mit dem aus Salz, Kohle u. Schwefel gefertigten muriatischen P. machte Riffault, doch greift es die Feuerwaffen zu stark an. Ein neuerdings in Preußen vom Hauptmann Schultze erfundenes P., dessen Vortheile größere Kraft u. Billigkeit sein soll, ist noch Gegenstand des Versuchs u. wird geheim gehalten. Ein eigenthümliches, in vielen Fällen höchst brauchbares Surrogat für P. ist die Schießbaumwolle (s.d.). Vgl. Botté u. Riffault, Anweisung das Schießpulver zu bereiten, deutsch von Wolff, Berl. 1816; Piobert, Mém. sur les effets des poudres etc., Par. 1830, 2. A. 1844; San-Roberto, Über Bereitung des Schießpulvers, deutsch von Teichert, Berl. 1853.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 13. Altenburg 1861, S. 687-689.
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