Skepsis [1]

[165] Skepsis (v. gr.), heißt Zweifel, zweifelnde Überlegung, u. Skepticismus ist die Denkart, welche die Ungewißheit u. den Zweifel für das Resultat des Nachdenkens über irgend eine Frage der Wissenschaft od. des praktischen Lebens erklärt. Er bezeichnet die Verzichtleistung auf ein sicheres Wissen über den Gegenstand der Untersuchung, u. es kann daher z.B. ebensowohl eine historische, als eine theologische u. philosophische S. geben. Die zweifelnde Überlegung, ob etwas in der That sich so verhalte, wie eine gewisse Behauptung aussagt, ist nun zwar die Bedingung jeder wissenschaftlichen Forschung, ohne welche diese gar nicht in Gang kommen würde, u. namentlich ist sie der Anfang jeder philosophischen Untersuchung, welche ohne sie keine Veranlassung haben würde, an der Stelle der bisherigen Ansichten andere u. besser begründete zu suchen; aber der Skepticiamus als principielle Denkungsart, deren äußerste Consequenz in dem sich selbst aufhebenden Satze liegt: es lasse sich überhaupt gar nichts als gewiß erkennen, nicht einmal dieser Satz selbst, würde alles philosophische Streben als thöricht erscheinen lassen. In der Geschichte der Philosophie tritt daher der Skeptitismus entweder nur als eine Vorarbeit auf, um die unzweifelhaften Anfangspunkte u. Grundlagen der Erkenntniß zu finden, od. als Kritik der gerade herrschenden Systeme, od. als Zeichen der Erschlaffung des speculativen Forschungstriebes. In der Geschichte der griechischen Philosophie trat der Skepticismus als principielle Denkart zuerst auf bei Pyrrho (s.d.) aus Elis, welcher die sokratische Verzichtleistung eines Wissens über die Natur der Dinge u. dessen Bestreitung des Scheinwissens zu der Behauptung ausdehnte, daß überhaupt nichts gewußt werden könne, u. nach welchem daher ein entschiedener Skepticismus auch Pyrrhonismus genannt wird. Der Skepticismus der jüngern Akademie bestand hauptsächlich in dem Zweifel, ob es ein sicheres Kennzeichen (Kriterium) der Wahrheit gebe, u. in einer vorsichtigen Zurückhaltung in Beziehung auf Fragen, welche die Erfahrung überschreiten. Das sinkende Interesse an der philosophischen Speculation u. der fruchtlose Kampf der verschiedenen Systeme gaben seit der zweiten Hälfte des 2. Jahrh. n. Chr. dem Skepticismus, wie er durch Änesidemus, Agrippa u. Menodotus vertreten wurde, eine weitere Verbreitung. Dieser Skepticismus war vor allem auf die Frage gerichtet, ob die Dinge so beschaffen seien, wie sie sich der sinnlichen Empfindung darstellen, u. die Gründe, aus welchen diese Frage verneint u., da uns kein anderes Mittel der Erkenntniß zu Gebote stehe, die Dinge für unerkennbar erklärt werden müssen, faßten diese Skeptiker unter 10 Gesichtspunkte, die sog. Skeptischen Argumente zusammen, welche größtentheils nur verschiedene Wendungen des Hauptgedankens enthalten, daß alle unsere sinnlichen Wahrnehmungen relativ sind u. daß eben so die zufälligen Zustände u. die Stellung des auffassenden Subjects, als die Veränderungen in den Beziehungen der Objecte unter einander ihre Erscheinungsweise dergestalt modificiren, daß es unmöglich ist zu sagen, was die Dinge abgesehen von diesen Verhältnissen sind. Andere stellten fünf solche allgemeine Zweifelsgründe auf: a) die Verschiedenheit der Meinungen; b) die Unmöglichkeit für einen Beweis einen absolut ersten Ausgangspunkt zu finden; c) die Relativität der Erscheinungen; d) die nur hypothetische Geltung jedes für gewiß angenommenen Beweisgrundes; e) die Unmöglichkeit Zirkelbeweise zu vermeiden. Den kürzesten Ausdruck für diese Denkart enthält die von Einigen aufgestellte Formel: alles, was erkannt werden soll, muß entweder durch sich selbst, od.[165] durch etwas anders erkannt werden; daß nun durch sich selbst nichts erkannt werden kann, beweist die Verschiedenheit u. der Streit der Ansichten u. Meinungen; folglich kann auch nichts durch anderes erkannt werden. Diese Skeptiker nannten sich auch Aporetiker, d.h. solche, welche alles unbestimmt lassen, u. Ephektiker, d.h. solche, welche sich jedes Urtheils enthalten; die vollständige Darstellung ihrer Lehren u. deren Anwendung auf die einzelnen Wissenschaften enthalten die Schriften des Sextus Empiricus (s.d.). Während des langen Stillestandes selbständiger philosophischer Forschung im Mittelalter findet sich kaum eine Spur des Skepticismus als einer durchgeführten wissenschaftlichen Denkart; auch der Arzt Franz Sanchez (s.d. 4) ist im 16. Jahrh. mit seinem entschiedenen Skepticismus eine isolirte Erscheinung. Der allgemeine Zweifel, welchen Cartesius (s.d.) für den Anfang der Philosophie forderte, war für ihn nur eine Vorarbeit, um in der Thatsache des Selbstbewußtseins (dem Cogito, ergo sum) einen festen u. unzweifelhaften Ausgangspunkt zu finden, u. der Skepticismus des Mich. Montaigne u. des Pierre Charron (s. b.) bezeichnet mehr ein kühles Mißtrauen gegen die Ansprüche des philosophischen Dogmatismus, als eine consequent durchgeführte Verzichtleistung auf die Möglichkeit alles Wissens überhaupt. Sam. Sorbiere u. Sim. Foucher (s.d.) suchten die Denkart der jüngeren Akademie wieder zu beleben. Der Skepticismus des Franç. La Mothe le Bayer, Bl. Pascal, Dan. Huet u. Hier. Hirnhaym (s.d. a.) hat die Tendenz, durch die Nachweisung der Unsicherheit des menschlichen Wissens das Gewicht des religiösen Glaubens an die Offenbarung zu verstärken, wie überhaupt namentlich die Katholische Kirche aus diesem Grunde sich häufig gegen die Philosophie skeptisch verhalten hat, um das philosophische Element im Protestantismus zu bekämpfen (vgl. J. la Placette, De insanabili ecclesiae Romanae scepticismo, Amsterd. 1626; Franc. Turretinus, Pyrrhonismus pontificius, Leyden 1692); eine Erscheinung, welche sich der Philosophie gegenüber auch innerhalb der Protestantischen Kirche später bisweilen gezeigt hat. Die skeptische Richtung des P. Bayle (s.d.) hat den Charakter einer von großer Gelehrsamkeit u. eindringendem Scharfsinn unterstützten Kritik entweder populärer Vorurtheile od. der damals herrschenden philosophischen Systeme. Die skeptische Denkart des Dav. Hume (s.d.) ist bes. dadurch einflußreich geworden, daß er, worauf schon früher Jos. Glanvill u. zum Theil schon die antiken Skeptiker hingewiesen hatten, die objective Gültigkeit des Causalitätsbegriffs läugnete u. dadurch Kant zu seinen kritischen Untersuchungen über das menschliche Erkenntnißvermögen anregte. Kant selbst erklärte den Kriticismus für die endgültige Entscheidung zwischen dem Dogmatismus u. dem Skepticismus; er selbst nannte den transscendentalen Skepticismus die kritische Untersuchung der Frage, ob es überhaupt eine objective Erkenntniß der Dinge nicht blos wirklich gebe, sondern vermöge der Organisation des menschlichen Erkenntnißvermögens geben könne. Übrigens ist die Beantwortung der Frage, welche die niedere S. beschäftigt, ob die Dinge ihrem Wesen nach so beschaffen sind, wie sie unserer sinnlichen Auffassung erscheinen, den Ergebnissen der Naturwissenschaften u. der philosophischen Reflexion gegenüber kein Gegenstand des Zweifels mehr; die Frage der höheren S., ob überhaupt etwas u. was den Vorstellungen u. Gedanken des Subjects gegenüber existirt u. ob es möglich sei durch reflectirendes Denken über die Natur der Dinge ein zuverlässiges Wissen zu erreichen, fällt innerhalb der speculativen Gegensätze des Idealismus u. des Realismus u. würde ihre Entscheidung in einer durchgeführten Theorie der Erkenntniß suchen müssen. Val, Münch, De notione et indole scepticismi, Altenb. 1797, Zeender, De notione et generibus scepticismi, Berl. 1795; Weiß, De scepticismi causis et natura, Lpz. 1804; Siedler, De scepticismo, Halle 1827; Hartnack, Historia scepticismi, Stettin 1665; Stäudlin, Geschichte u. Geist des Skepticismus, Lpz. 1793; Tafel, Geschichte u. Kritik des Skepticismus u. Irrationalismus, Tüb. 1837; P. Mersenne, La verité des sciences contre les sceptiques, Par. 1825; I. de Silhon, De la certitude des connaissances humaines, Par. 1662; P. de Villemandy, Scepticismus debellatus, Leyden 1697; Ant. Muratori, Della forza del intendimento umano osia il Pirronismo confutato, Vened. 1740, 3. Ausg. 1756; Crousaz, Examen du Pyrrhonisme, Haag 1753 (deutsch von Haller, Gött. 1756).

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 16. Altenburg 1863, S. 165-166.
Lizenz:
Faksimiles:
165 | 166
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Fantasiestücke in Callots Manier

Fantasiestücke in Callots Manier

Als E.T.A. Hoffmann 1813 in Bamberg Arbeiten des französischen Kupferstechers Jacques Callot sieht, fühlt er sich unmittelbar hingezogen zu diesen »sonderbaren, fantastischen Blättern« und widmet ihrem Schöpfer die einleitende Hommage seiner ersten Buchveröffentlichung, mit der ihm 1814 der Durchbruch als Dichter gelingt. Enthalten sind u.a. diese Erzählungen: Ritter Gluck, Don Juan, Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza, Der Magnetiseur, Der goldne Topf, Die Abenteuer der Silvester-Nacht

282 Seiten, 13.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon