Tetānus

[415] Tetānus (v. gr., Starrkrampf), Zustand der Muskelfaser, durch welche diese in eine gewaltsame u. anhaltende Zusammenziehung (Tonischen Krampf) mit Starrheit u. Unbeweglichkeit der Theile geräth, bisweilen verbinden sich damit aber auch Klonische Krämpfe (s.d.). Meist ist dieser Krampf auf einzelne Muskelpartien beschränkt, selten befällt er alle willkürlichen Muskeln (allgemeiner Starrkrampf, T. universalis, Todtenkrampf). Leicht kann er in Scheintod übergehen. Bisweilen kehrt er in bestimmten Zeiträumen wieder, der Kranke kann dann zuweilen kein Glied bewegen, nimmt aber alles, was um ihn vorgeht, bestimmt u. klar wahr; Athemholen u. Blutumlauf sind schwach, aber doch bemerkbar. Die einzelnen Arten des T., welche öfter mit einander abwechseln, sind: a) Kinnbackenkrampf (T. maxillae inferioris, Trismus), welcher in einer anhaltenden, meist schmerzhaften Spannung der Kaumuskeln besteht, wodurch der Unterkiefer entweder an den oberen fest angezogen wird (Mundklemme) od. auch abstehend von demselben unbeweglich ist (Mundsperre). Er kommt bes. bei Verwundungen vor, einzeln hauptsächlich bei Neugeborenen; zuweilen zeigt er sich hier epidemisch od. endemisch u. verräth sich zunächst durch das Unvermögen zu saugen u. zu schlingen. Seltener fügt er sich symptomatisch exanthematischen Fiebern bösartigen Charakters bei od. zeigt sich im Gefolge anderer Entwickelungskrankheiten beim ersten Zahnen. b) Der Rückenkrampf (Rückwärtsdreher, Opisthotonus, T. dorsalis, T. posticus), befällt die den Kopf u. Rücken nach hinten ziehenden Muskeln, wodurch der Körper nach hinten gezogen u. zuweilen in einem so hohen Grade gekrümmt wird, daß er einen halben, mit seiner Convexität nach vorn gerichteten Bogen beschreibt. c) Der Vorkrampf (Vorwärtsdreher, Emprosthotonus, T. anticus), tonischer Krampf der Muskeln an der Vorderseite des Rückgrathes u. derer, welche vom Kopfe bis zur Brust herabgehen u. ein Herabziehen des Kopfes gegen die Brust zur Folge hat. d) Der Seitenkrampf (Seitwärtsdreher, Pleurosthotonus, T. lateralis), befällt die den Körper auf die Seite ziehenden Muskeln, wodurch der Rumpf u. zuweilen auch die Gliedmaßen auf die eine od. andere Seite sichelförmig gebogen wird; od. der Körper ist, wenn Beuge- u. Streckmuskeln gleich contrahirt sind, gerade gestreckt (Orthotonus). Der Verlauf u. die Erscheinung des T. sind, nachdem er mehr acut od. chronisch ist u. bes. nach Verschiedenheit der Gelegenheitsursachen, sehr wechselnd. Gemeiniglich nimmt man drei Stadien an, welche sich jedochselten genau von einander trennen lassen. Das Übel beginnt bald plötzlich ohne Vorboten od. nach vorausgegangenen Schaudern, Zittern, Schwindeln, zusammenschnürender Empfindung in der Herzgrube, Steifheit od. Schmerzhaftigkeit der Kinnbacken od. Halsmuskeln. Die Zusammenziehungen beginnen meist in den Kau-, Schling-, Stimm- u. Gesichtsmuskeln. Die zusammengezogenen Muskeln fühlen sich hart an, die Gliedmaßen schmerzen heftig, der Puls ist bald voll u. frequent, bald zitternd, klein, langsam u. intermittirend, das Gesicht ist roth od. blaß, zuweilen auch gar nicht verändert od. auch durch Sardonischen Krampf u. andere Zuckungen entstellt, die Augen ragen hervor, stehen fest, sind stier od. werden convulsivisch verdreht; der Anfangs freie Athem wird schwer, beklommen, schnell, keuchend, mit Stickanfällen unterbrochen; das Schlingen ist unmöglich; die Kranken murmeln unverständliche Worte mit rauher Stimme; das Bewußtsein ist Anfangs gewöhnlich unverletzt, später wird es aber oft getrübt, u. es erfolgen Delirien, der Schlaf ist unterbrochen, unruhig, Stuhl- u. Urinabgang sind unterdrückt, die Haut ist trocken; bei Männern stellen sich zuweilen Erectionen u. Pollutionen ein. Geht die Krankheit in Genesung über, so mindern sich die Krampfzufälle, u. ein allgemeiner, reichlicher u. warmer Schweiß bricht aus. Bei unglücklichem Ausgange werden die Remissionen kürzer, die Zufälle heftiger u. anhaltender, kalter Schweiß u. Convulsionen brechen aus, an die Stelle der tonischen Anspannung tritt Lähmung u. der Tod erfolgt schon am dritten bis sechsten Tag, meistens durch Schlagfluß. In einigen Fällen dehnt sich die Krankheit mehre Wochen, selbst Monate aus. Leichenöffnungen am T. Gestorbener haben bis jetzt noch keine Aufklärung über sein Wesen gegeben; am häufigsten fanden Congestionen od. entzündliche Zeichen im Gehirn u. Rückenmark statt, bisweilen zeigen sich aber auch gar keine Veränderungen. Die nächste Ursache zum T. besteht in einer heftigen Reizung des Rückenmarks. Zu den prädisponirenden Ursachen gehören sehr heißes, feuchtes Klima, verdorbene Luft in Hospitälern, Wochen- u. Kinderstuben etc.; Gelegenheitsursachen sind Wunden des Hirns, Rückenmarks, der am Halse gelegenen Theile, bes. aber gerissene, gequetschte Wunden einzelner Nerven, Flechsen, Sehnen, Bänder, Unterbindung eines Nerven bei Anlegung einer Ligatur um eine Arterie, complicirte Wunden, wo vielleicht Knochensplitter od. äußere Körper noch in der Wunde befindlich sind u. auf einen Nerv od. eine Sehne einen fortwährenden Reiz ausüben, od. wo ein Nerv nicht ganz durchschnitten, sondern nur theilweise getrennt ist, so wie eine zu reizende Behandlung dieser Wunden. Man nennt dann diese Krankheit Wundstarrkrampf (T. traumaticus) u. findet sie häufig in großen Militärlazarethen, bes. in tropischen Gegenden. Ferner kann der T. auch entstehen in Folge von Erkältung (T. rheumaticus), Erhitzung[415] n. Sonnenstich, von heftigen Gemüthsbewegungen, Darmreizen (Würmer, Unverdaulichkeiten) u. bei Blutkrankheiten, wie Faulfieber, Scharlach u. bei Hysterie (T. hystericus), endlich in Folge von Vergiftung mit Strychnin u.a. Giften (T. intoxicationis). Der T. der Neugeborenen (T. neonatorum) entsteht in Folge schlechter Luft, vom Druck des Kopfes während der Geburt, in Folge schlechter Unterbindung des Nabelstranges, Erkältung, Anhäufung von Kindspech, oft aber ohne auffindbare Ursache endemisch u. epidemisch. Die Prognose des T. ist im Allgemeinen sehr schlimm; der größere Theil der Kranken stirbt, bes. gefährlich ist der Wundstarrkrampf. In heißen Zonen ist er weit tödtlicher, als in gemäßigten Landstrichen. Die Cur des T. zerfällt in die prophylaktische, welche eigentlich nur bei Wundstarrkrampf stattfinden kann, u. die der ausgebrochenen Krankheit. Den Ausbruch des T. sucht man zu verhindern bei Verwundeten durch angemessene chirurgische Behandlung der Wunde u. Entfernung etwaiger fremder Körper aus derselben. Der T. kommt als Kinnbackenkrampf auch bei Hausthieren vor, gegen welche allgemeine u. örtliche Blutentziehungen, Opium u. vor allem Chloroform, Einathmungen empfohlen werden. Vgl. Hirschkrankheit. Mildere Arten des T. sind: T. collaris (Halsstarrkramps), kommt plötzlich u. dauert nur kurze Zeit, der Kopf ist gewaltsam u. schmerzhaft umgedreht, seitwärts, vor- od. rückwärts gezogen u. läßt sich nicht gerade richten. T. femŏris (Starrkrampf des Schenkels), kommt u. vergeht schnell, der Schenkel ist unbeweglich, krampfhaft gestreckt od. gebogen, mit einem schmerzhaften Gefühle des Zusammenziehens, bei einer Kniebeugung wird oft der Fuß sogleich von den Muskeln stark gegen den Steiß gezogen; die Steifheit des Fußgelenkes u. der Wadenkrampf treibt die Zehen unterwärts u. hindert den Fuß flach aufzusetzen. T. ocŭli, vorübergehende, krampfhafte Unbeweglichkeit des Augapfels. T. utĕri, krampfige Zusammenziehung der Gebärmutter, wobei alle Theile derselben gleichzeitig ergriffen sind, meist in der Mitte der Geburt, wodurch das Kind zurückgehalten wird.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 17. Altenburg 1863, S. 415-416.
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