Aneas

[81] Anēas, der Held, dessen Thaten der röm. Dichter, Virgil, in der Äneide, dem vollendetsten aller röm. Heldengedichte, besingt, war diesem zufolge der Sohn der Venus und des trojanischen Fürsten Anchises, von seiner Mutter und dem Apollo hochbegünstigt und nach Hektor der Tapferste und Kühnste unter den trojanischen Helden. In der Nacht, als die Griechen Troja einnehmen, erscheint ihm, wie Virgil erzählt, der Schatten des gefallenen Hektor und ermahnt ihn, mit den Götterbildern zu entfliehen, um der Stifter eines neuen Reichs zu werden. Doch erst nach muthigem Kampfe, da nichts mehr zu retten ist, folgt Ä. der Mahnung desselben und verläßt die brennende Stadt. Auf den Schultern trägt er seinen Vater Anchises, der, vom Blitze getroffen, nicht zu gehen vermag, ihm zur Seite geht seine Gemahlin Kreusa, an der Hand führt er den kleinen Sohn Ascanius. Zahlreiche Flüchtlinge folgen ihm. Glücklich gelangt er auf das Idagebirge; doch im Getümmel ist die Gattin von ihm getrennt worden und er muß die vaterländische Erde ohne sie verlassen. Mit seinen Gefährten und den aus den Flammen geretteten Götterbildern segelt er auf 20 Schiffen von Troja zunächst nach Thracien, wo er die Stadt Änos gründet. Durch eine Erscheinung erschreckt, verläst er dieses Land wieder und wendet sich nach der Insel Delos, um das dortige Orakel des Apollo zu befragen. Misdeutung des Orakelspruchs führt ihn nach Kreta, von wo ihn dann eine Pest vertreibt. An der Küste von Epirus findet er Hektor's Gattin, Andromache, die unterdeß mit dem Trojaner Helenus sich vermählt hat, der ihm über sein und seiner Gefährten Schicksal Vieles erzählt. Hierauf kommt er zu den Cyklopen am Ätna und dann nach dem Vorgebirge Drepanum, jetzt Trapani, wo Anchises stirbt. Als er von hier nach Italien hinüberfährt, verschlägt ihn ein Sturm, den Äolus, der Gott der Winde, auf Veranlassung der dem Ä. feindlichen Juno erregt, an die afrik. Küste. Hier hat Dido, eine aus Phönicien vertriebene Fürstentochter, die Stadt Karthago (in der Gegend des heutigen Tunis), gegründet; sie nimmt den Ä. sehr gastlich auf und gedenkt sich mit ihm zu vermählen; allein Jupiter sendet den Merkur mit dem Gebote an Ä. ab, daß er die Dido verlasse; dieser gehorcht und Dido stürzt sich aus Verzweiflung in die Flammen eines Scheiterhaufens. Ein neuer Sturm verschlägt Ä. nach Sicilien, wo er beim Gastfreunde Acestes seinem Vater zu Ehren Leichenspiele feiert. Als hier die ihn begleitenden, mit der Dauer des Zuges unzufriedenen Frauen die Schiffe in Brand stecken, beschließt Ä., die Weiber und Schwachen in Sicilien zurückzulassen. Denselben Rath gibt ihm auch Anchises, zu welchem er in die Unterwelt herabsteigt, um Belehrungen über sein und des zu stiftenden Staats Schicksal zu erhalten. Nach seiner Abfahrt von Sicilien gelangt er endlich in den Tiberfluß und landet im Lande des laurentinischen Königs Latinus. Die beabsichtigte Verheirathung des Ä. mit dessen Tochter Lavinia gibt zu Streitigkeiten Veranlassung; denn obgleich das Orakel der Lavinia einen Fremdling zum Gemahl verheißen hatte, so will doch ihre Mutter Amata sie mit Turnus, dem Könige der Rutuler, verehelichen. In Folge dieses beginnt um Lavinia's Hand der Kampf; Turnus und Ä. zeichnen sich durch Muth und Tapferkeit aus, endlich aber unterliegt Turnus und fällt im Zweikampfe durch die Hand des Ä., der nun die Lavinia heirathet. – Dies ist der Inhalt der Äneide des Virgil. Nach altröm. Sagen herrschte Ä. nur kurze Zeit über die Laurentiner; er fiel im Kampfe und ward darauf als Halbgott verehrt. Sein und der Lavinia Sohn, Äneas Sylvius, ward der Stammvater der Könige von Albalonga, und durch diese des Romulus und Remus, der Gründer Roms. Ascanius aber, des Ä. Sohn von seiner ersten Gemahlin, nahm den Namen Iulus an und von ihm leiteten die Römer das Julische Geschlecht ab, zu welchem auch Julius Cäsar gehörte.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 81.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien: