Bruch

[326] Bruch heißt im ärztlichen Sinne an Menschen und Thieren entweder das Zerbrechen eines Knochens oder das Hervortreten eines Eingeweides aus seiner natürlichen Höhle, wobei es mit der äußern Haut bedeckt bleibt und eine mehr oder weniger bedeutende, meist äußerlich wahrnehmbare Geschwulst bildet. Brüche letztgenannter Art kommen am häufigsten am vordern und untern Theile des Unterleibes vor, wo schon Öffnungen zum Durchgange von Gefäßen, Nerven und dergl. sind, sehr selten an der Brust und am Kopfe. Sie erhalten nach ihrer Lage und nach den Theilen, die sie enthalten, verschiedene Benennungen. Am Unterleibe unterscheidet man z.B. Leistenbrüche, die in der Weichengegend durch den Leistenkanal und Bauchring hervortreten; Schenkelbrüche, die in der Falte zwischen dem Unterleibe und Oberschenkel zum Vorschein kommen; Nabelbrüche, die durch das Offenbleiben der Nabelöffnung entstehen; Darmbrüche, wenn ein Darmstück in denselben befindlich; Netzbrüche, wenn eine Partie des Netzes vorgefallen ist u.s.w. Brüche kommen am gewöhnlichsten bei Kindern, jungen Leuten und Greisen und häufiger beim männlichen als beim weiblichen Geschlechte vor und können entweder von Geburt an vorhanden sein oder später entstehen. Tritt ein Eingeweide aus einer der vorn am Unterleibe vorhandenen natürlichen Öffnungen heraus, so drängt es die innere Bauchhaut, das Bauchfell, vor sich her und bildet sich so einen häutigen, mit dem Innern der Unterleibshöhle in Verbindung stehenden Behälter, welcher Bruchsack heißt. Die Größe der Brüche ist sehr verschieden, indem sie zuweilen den größten Theil der Eingeweide des Unterleibes enthalten und manchmal nur bei genauer Untersuchung zu entdecken sind. Entweder sind sie frei und beweglich, d.h. sie treten von selbst zurück, z.B. wenn sich der Kranke auf den Rücken legt, kommen aber durch Husten, Niesen und andere Anstrengungen leicht wieder zum Vorschein, oder können wenigstens durch angemessenen Druck in die Bauchhöhle zurückgebracht werden, oder das Gegentheil tritt ein, was gewöhnlich bei Verwachsung oder Einklemmung der Fall ist. Die letztere erfolgt durch ungewöhnliche Verengerung der Austrittsöffnung des Bruches, durch Vergrößerung desselben oder Zusammenwirkung beider Umstände, und ist stets ein lebensgefährliches Ereigniß, indem ohne schnelle und zweckmäßige Hülfe leicht Entzündung und Brand und in dessen Gefolge der Tod eintritt. Natürliche Anlage zu Unterleibsbrüchen ist vorhanden, wenn die Bauchwandungen ungewöhnlich erschlafft und die natürlichen Offnungen am Unterleibe vielleicht in Folge bedeutender Ausdehnung der Bauchhaut durch Schwangerschaft, Wassersucht, Fettleibigkeit und darauf folgendes schnelles Magerwerden weiter sind, als sie naturgemäß sein sollten. Ursachen, die zumal bei solchen Anlagen Unterleibsbrüche unmittelbar bewirken können, sind alle Gewaltthätigkeiten und Anstrengungen, die durch gleichzeitige starke Zusammenziehung der Bauchdecken und des Zwerchfells die Eingeweide zu heftig gegen die Bauchwand drängen, also heftige Stöße auf den Unterleib, Zusammenschnürung desselben, gewaltsame Anstrengung beim Aufheben schwerer Lasten, während der Geburt u.s.w.; ferner Erschütterungen des ganzen Körpers, wie sie Sprünge beim Fallen auf die Füße oder Kniee, das Reiten u.s.w. verursachen, heftiges Schreien, besonders bei Kindern, Husten, Niesen und dergl. Leute, die schwere Arbeit verrichten und Cavaleristen sind daher mit Brüchen mehr behaftet als andere Personen, indessen bilden sich auch zuweilen Brüche fast unmerklich, ohne daß sich eine besondere Veranlassung dazu auffinden läßt.

Ein plötzlich oder allmälig entstandener Bruch macht sich außer der erwähnten, meist schmerzlosen und anfänglich unbedeutenden Geschwulst, auf deren Oberfläche die Haut nicht verändert erscheint, zuweilen auch durch ziehende Schmerzen und Kollern im Leibe, Trägheit des Stuhlganges, Aufstoßen, Neigung zum Erbrechen und ähnliche Erscheinungen bemerklich. Daß aber ein Bruch eingeklemmt und bereits entzündet ist, ergibt sich in der Mehrzahl der Fälle durch heftige Schmerzen im Bruche und im ganzen Umfange des Unterleibes, der aufgetrieben und gegen jede Berührung außerordentlich empfindlich wird, durch Verstopfung, Erbrechen und fieberhafte Zufälle; sind Krampf oder Überfüllung der Därme Veranlassung der Einklemmung, so hat das Übel weniger auf sich. Mit Brüchen behaftete Personen müssen stets darnach trachten, den Bruch innerhalb der Bauchhöhle zurückzuhalten, wozu sie sich am zweckmäßigsten eines völlig passenden, elastischen Bruchbandes bedienen. Ein solches Bruchband besteht aus einer schmalen, flachen Stahlfeder, welche die Seite des Körpers umschließt, an welcher sich der Bruch befindet, aus der sogenannten Pelotte oder dem Knopfe, einer mit dem vordern Ende der Feder zusammengenieteten eisernen und an der innern Fläche gepolsterten Platte, die den Bruch unmittelbar zurückzuhalten bestimmt ist, und endlich aus einem Riemen, der an das hintere Ende der Feder befestigt, um die gesunde Seite des Körpers bis zur äußern Fläche der Pelotte herumgeführt und daselbst angehangen wird. Das ganze Bruchband muß mit weichem Leder überzogen und auf der innern Seite gefüttert sein, damit es nirgend drücken kann; nichtelastische Bruchbänder sind durchaus zu verwerfen. Das Tragen von Bruchbändern, wenn es auch unter günstigen Umständen, besonders bei Kindern und jungen Leuten, dauerhafte Heilung von Bruchschäden bewirken kann, ist indeß für sich allein zum Schutze vor Gefahr noch nicht hinreichend. Bruchkranke sind außerdem noch genöthigt, Alles zu meiden, was die Verrichtungen der Verdauungswerkzeuge stören kann und müssen deshalb eine sorgfältige Auswahl hinsichtlich der Speisen und Getränke treffen, auch müssen sie alle, körperliche Anstrengung erfodernde Geschäfte vermeiden und keine Kleider tragen, welche Brust und Unterleib zusammenpressen. – In England sind unter der arbeitenden Classe Brüche so häufig, daß in manchen Gegenden der fünfte Mann bruchkrank ist. Es bestehen daher seit 1805 und 1807 in London zwei Bruchbandgesellschaften als milde Anstalten, von [326] denen die letztere den König zum Patron hat und welche den an Brüchen leidenden mittellosen Personen unentgeltlich Hülfe und Bruchbänder zukommen lassen.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 326-327.
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