Kassel

[574] Kassel, die Hauptstadt des Kurfürstenthums Hessen, liegt an der schiffbaren Fulda, über welche eine 273 Fuß lange steinerne Brücke führt. Sie wird von diesem Flusse in zwei Theile gesondert, in die Altstadt, die Keineswegs gut gebauet ist, auf dem linken Ufer, und die Ober- und Unter-Neustadt, welche nebst der leipziger Vorstadt so regelmäßig und geschmackvoll gebaut sind, daß K. zu den schönsten Städten in Deutschland gehört. Unter den 19 öffentlichen Plätzen und den schönsten Straßen nennen wir: den Paradeplatz, den kreisrunden Königsplatz mit einem Echo, den Bellevue- und den 1000 Fuß langen Friedrichsplatz; sodann die Königs-, Bellevue- und frankfurter Straße. Die ausgezeichnetsten Gebäude liegen meist in der Neustadt, welche gegen Ende des 17. Jahrhunderts von Franzosen angelegt wurde; dahin gehören: die katholische Martinskirche, mit dem Erbbegräbnisse des Herrscherhauses und einem Denkmale Philipp des Großmüthigen, das Museum, der Bellevuepalast, die Münze, das Rathhaus, das Ständehaus und der kurfürstliche Palast; in der Altstadt aber finden wir die Kattenburg, das Zeughaus, den Marstall, und mehre zu militairischen Zwecken benutzte Gebäude. Die Stadt hat viele Anstalten zur Beförderung von Wissenschaft und Kunst, z.B. ein Lyceum, eine Cadetten-, eine Bau- und Gewerbeschule, eine Akademie für Malerei, Bildhauerei und Baukunst, einen landwirthschaftlichen, Handels- und Gewerbeverein, einen solchen für Alterthümer, ein Museum mit Antikensammlung, eine Sternwarte, eine Bibliothek und eine Gemäldegalerie. Die Stadt erscheint wegen der vielen großen Plätze und breiten Straßen etwas menschenleer, doch beträgt ihre Einwohnerzahl nahe an 32,000; sie ist Residenz des Staatsoberhauptes, Sitz der Landstände und der obersten Behörden. Der Transitohandel ist bedeutend; es werden jährlich zwei Messen gehalten, und die Hut-, Seiden-, Woll-, Kattun-, Handschuh-, Tapeten-, Gold- und Silberwaaren-, so wie die Tabacks-, Wachstuch- und Wagenfabriken sind nicht unbeträchtlich. K. hat hübsche Umgebungen, z.B. die Aue, einen prächtigen Park mit Thiergarten und Fasanerie, und die Wilhelmshöhe, eines der herrlichsten Luftschlösser in Europa, das sich, etwa eine Stunde von der Stadt entfernt, auf einem Berge im Habichtswalde erhebt und mit K. durch eine Allee verbunden ist; der zu demselben gehörende Park hat eine Meile im Umfange. Bemerkenswerth ist das Octogon oder der sogenannte Winterkasten auf dem Karlsberge; es besteht aus drei Reihen Arcaden, die von 192 kolossalen Pfeilern gestützt werden; auf der Platform erhebt sich eine 96 Fuß hohe, aus Quadersteinen aufgeführte Pyramide, und auf dieser steht die 31 Fuß hohe Herculesbildsäule, gewöhnlich der große Christoph genannt; in der Keule desselben haben füglich sechs Personen Platz. Die berühmten Springbrunnen vor der Wilhelmshöhe treiben Wassersäulen bis zu 160 Fuß Höhe. Auf einem andern Berge, mitten im Walde, steht die Löwenburg, ein im Style der mittelalterlichen Burgen in neuern Zeiten aufgeführtes, aber nicht vollendetes Gebäude mit einem hohen Thurme und einer Rüstkammer. Etwas weiter von der Hauptstadt entfernt liegt bei Kalden das 1763 erbauete Lustschloß Wilhelmsthal.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 574.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien: