Hessen-Kassel [2]

[328] Hessen-Kassel (Gesch.) I. Die ältere Hessen-Kasselsche Linie 1458–1509 f. unter Hessen III. B). II. Hessen-Kassel seit der dauernden Theilung bis zur Wiederherstellung des Kurfürstenthums Hessen, 1567–1813. In der Theilung nach dem Tode des Landgrafen Philipp des Großmüthigen, 1567, erhielt der älteste Sohn Philipps, Wilhelm IV. der Weise, Niederhessen mit Kassel u. wurde der Stammvater der Kasselschen Linie; er erbte außer seinem Antheil an Rheinfels die Herrschaft Plesse, ein Stück von Hoya u. Henneberg durch Anfall, begründete den Wohlstand seines Landes, ordnete den Staatshaushalt, verschönerte die Städte durch Bauten u. st. 1592. Sein Sohn Moritz gerieth über den Marburgischen Erbantheil durch seinen Übertritt von der Lutherischen zur Reformirten Kirche mit den Agnaten der Darmstädtischen Linie in Successionsstreit, indem Ludwig III. testamentarisch bestimmt hatte, daß seine Nachfolger ihre Religion nicht ändern sollten, u. Darmstadt demnach auf die ganze Erbschaft Ansprüche machte; dieser Streit war in den ausgebrochenen Dreißigjährigen Krieg so verflochten, daß er erst 1647 fast gleichzeitig mit diesem ausgeglichen wurde. Die Union, welcher Moritz beigetreten war, mußte er bei der Annäherung des liguistischen Heeres verlassen; gleichwohl wurde sein Land von diesem überschwemmt, u. ein nachtheiliger Vergleich mit Tilly bewog ihn, die Regierung 1627 niederzulegen u. seinem Sohne Wilhelm V. zu übergeben; er st. 1632. Seine übrigen 3 Söhne aus zweiter Ehe, Hermann, Friedrich u. Ernst, stifteten die Nebenlinien zu Rothenburg (bis 1638), Eschwege (bis 1655) u. Rheinfels (die Jüngere Rheinfelsische in Bezug auf die ältere [s. Hessen, Gesch., III. B.] genannt), welche letztere sich wieder (1693) in Rheinfels-Rothenburg u. Rheinfels-Wanfried (bis 1755) theilte. Die Linie Rheinfels-Rothenburg nahm 1758 den Namen Rothenburg an u. st. auch 1834 aus, i. Hessen-Rothenburg. Moritzens Sohn aus erster Ehe, Wilhelm V. der Beständige, pflanzte die Kasselsche Linie fort, führte die Primogenitur ein u. nahm den thätigsten Antheil am Dreißigjährigen Kriege. Bereits 1630 schloß er ein Bündniß mit Schweden, vertheidigte nach der Eroberung von Magdeburg H. mit 10,000 Mann gegen Tilly u. führte diese nach der Schlacht bei Leipzig Gustav Adolf nach Frankfurt zu. Er blieb auch im Unglück den Schweden treu u. zögerte 1635 lange, dem Prager Frieden beizutreten; aber sein Land empfand die Rache der Kaiserlichen, Götz drang 1636 verheerend in Niederhessen ein, u. wenn gleich Bauer mit den Schweden es wieder nach dem Sieg bei Wittstock befreite, so folgten doch dem Elend des Krieges Hungersnoth u. Pest. Wilhelm V. selbst wurde in die Acht erklärt u. st. 1637 in Ostfriesland; seine Gemahlin, Amilia Elisabeth, geb. Gräfin von Hanau, führte mit Standhaftigkeit die vormundschaftliche Regierung. Sie setzte den Krieg nach dem Tode des Herzogs Bernhard gegen den Kaiser u. die Liguisten fort, war siegreich bei Kempten mit den Franzosen u. 1645 bei Allersheim, wo nach deren Niederlage die hessischen Truppen noch das Schlachtfeld behaupteten. Sie führte durch das Glück ihrer Waffen den Marburgischen Successionsstreit unter Vermittlung des Herzogs Ernst des Frommen von Sachsen-Gotha zur Ausgleichung u. war im Westfälischen Frieben vor allen übrigen Ständen allein so glücklich, ohne besondere Compensationsansprüche beträchtliche Entschädigungen an Land (Hersfeld, Gellingen, Schaumburg u.a.) u. baarem Gelde (6 Tonnen Goldes) zu erhalten. Sie übergab die Regierung 1650 ihrem Sohn, Wilhelm VI. dem Weisen; dieser machte sich bes. um die höheren Lehranstalten (Marburg, womit er die von seinem Vater in Kassel gestiftete Universität verband, u. Rinteln) verdient. Die Rheinische Allianz, welcher er (1658) beitrat, sollte die Ruhe im nördlichen Deutschland zu erhalten suchen; er st. 1663. Sein Sohn Wilhelm VII., während dessen Minderjährigkeit die Hessen die Türken besiegen halfen, starb 1670, ehe er selbst die Regierung angetreten hatte, u. ihm folgte sein Bruder Karl, Anfangs wie der Vorige, unter Vormundschaft seiner Mutter, Hedwig Sophie, Tochter des Kurfürsten Georg Wilhelm. von Brandenburg, u. 1675 selbständig; seine Regierung zeichnet sich durch die Sorge für den Glanz seines Hauses, so wie durch Waffenthaten aus; er gründete die französische Neustadt, errichtete das Collegium Carolinum, beide in Kassel, u. legte den Karlsberg (Weißenstein, jetzt Wilhelmshöhe) an. An den Reichskriegen gegen Ludwig XIV. u. gegen die Türken, welche Wien belagerten, nahm er persönlich Antheil, im Spanischen Successionskriege, wo er gegen englische u. holländische Subsidien Truppen stellte, zeichnete sich der Erbprinz Friedrich aus. Durch fortwährende Truppenlieferungen verbesserte er die Finanzen, brachte aber zugleich dem Lande durch Entvölkerung Nachtheil. Karls jüngerer Bruder Philipp stiftete die Nebenlinie zu Philippsthal, von welcher wieder durch Philipps zweiten Sohn, Wilhelm, die zu Philippsthal-Barchfeld sich abzweigte (s. Hessen-Philippsthal). Karls Nachfolger 1730 war sein Sohn Friedrich I. Schon als Erbprinz durch seine Gemahlin u. durch die Wahl der Reichsversammlung König von Schweden (1720), lseß er H. durch seinen Bruder Wilhelm VIII., den er als Statthalter einsetzte, regieren; u. als er selbst 28. März 1751 kinderlos starb, folgte ihm dieser als Landgraf von H.-Kassel, nahm 1736 nach dem Tode des letzten Grafen von Hanau, Johann Reinhard III., gegen die Ansprüche des Darmstädtischen Hauses, von Hanau Besitz u. veranlaßte hierdurch den Hanauischen Successionsstreit. Darmstadt erhielt zur Entschädigung u. zur Ausgleichung dieses Streites Hanau-Lichtenberg im Elsassischen. Im Siebenjährigen Kriege wurde H. von französischen Truppen besetzt; der Landgraf hielt sich währenddem, um den Unruhen zu entgehen, oft in Hamburg auf u. st. 1760. Friedrich II., sein Sohn (der schon als Erbprinz 1749 u. offenkundig 1754 katholisch geworden war), war ein die Kunst u. Wissenschaft liebender Fürst (er legte das Museum Fridericianum an), der seine Residenz zu einer der schönsten Städte Deutschlands machte; er liebte den äußeren Glanz u. hielt ein zahlreiches Militär, wovon er 12,000 Mann an England zum Kriege gegen Nordamerika überließ. Hierfür erhielt er 1776–84 21,276,778 Thlr. 1785 st. Friedrich II.; sein Sohn Wilhelm IX. fand eine Menge Mißbräuche abzuschaffen, die sein Vater hatte aufkommen lassen, er war sparsam u. gerecht, aber seine Gerechtigkeitsliebe artete oft in Härte, seine Sparsamkeit in Geiz aus; er vermehrte[328] seine Truppen, baute viel u. prächtig in Nenndorf, Hofgeismar, Kassel, auch 1788–1790 die Wilhelmshöhe etc. Als 1787 der Graf Philipp Ernst von Schaumburg-Lippe starb, besetzte der Landgraf das Land, indem er den unmündigen Grafen für regierungsunfähig erklärte, wurde aber vom Kaiser, von Preußen, England u. den Reichsgerichten genöthigt, dasselbe wieder zu räumen, den verursachten Schaden zu ersetzen u. alle Kosten zu tragen. 1790 deckte er in einem Lager bei Bergen mit 8000 Mann die Kaiserkrönung Leopolds II. u. 1792 stießen 8000 Hessen zu den Preußen, welche in Frankreich eindrangen, während in den folgenden Jahren ein anderes hessisches Corps zu den Engländern in Westfalen u. Flandern stieß, welches mit der Zeit bis auf 12,000 Mann anwuchs. Im August 1795 trat Wilhelm IX. dem Baseler Frieden bei u. erhielt 1803 für 3/4 QM. u. 2500 Menschen, welche er auf dem linken Rheinufer abtrat, die Reichsstadt Gelnhausen u. die Enclaven Fritzlar, Holzhausen u. Amöneburg, 5 QM., 14,000 Ew. u. die Kurwürde; er nannte sich nun Wilhelm I. u. folgte der preußischen Politik, hielt es aber doch, bei aller Feindschaft gegen Napoleon, 1806 für gerathen, eine bewaffnete Neutralität aufrecht zu erhalten. Er hatte deshalb seine Armee auf 20,000 Mann vermehrt, aber nach der Schlacht von Jena gab ihm Napoleon Schuld, nur deshalb so gerüstet zu haben, um im Fall des Sieges der Preußen den sich zurückziehenden Franzosen in Flanke u. Rücken zu fallen. Mortier zog in H. ein; der Kurfürst floh nach Dänemark u. begab sich von da nach Prag; am 1. Nov. wurde Kassel von französischen Truppen besetzt. Im Frieden von Tilsit kam Kurhessen zum Königreich Westfalen, Kassel wurde die Hauptstadt desselben u. es theilte nun das Schicksal dieses Reichs, s. Westfalen (Königreich Gesch).

III. Von der Rückkehr des Kurfürsten bis zur Ertheilung der Constitution, 1813 bis 1831. Erst 21. Nov. 1813, als Tschernyschew Kassel u. H. von den Franzosen gesäubert hatte, kehrte Wilhelm I. wieder nach Kassel zurück. Mit Thätigkeit ergriff er die Zügel der Regierung wieder u. stellte Alles auf alten Fuß. Auf dem Wiener Congreß sprach er für Wiederherstellung des deutschen Kaiserthums u. wollte dann den Königstitel an nehmen, behielt aber endlich den eines Kurfürsten bei. Das hessische Gebiet wurde auf dem Wiener Congreß so bestimmt, daß H.-Kassel mehrere Enclaven u. Grenzdistricte (letztere an Weimar) abtrat, dagegen den größten Theil des Fürstenthums Fulda, mehrere Enclaven im kurhessischen Gebiet u. einen Theil des Isenburgschen (was die Verbindung mit Niederhessen erhält), so wie mehrere, später (1815) wieder an Preußen abgetretene Gebietstheile: die niedere Grafschaft Katzenelnbogen, die Herrschaft Pleß u. einige diepenholzische Ämter erhielt. Die von Wilhelm I. versprochene Errichtung einer liberalen landständischen Verfassung verwickelte ihn in Conflicte, da er die Anforderungen der Zeit mit seinen Ansichten vom Fürstenrecht nicht vereinigen konnte, u. es entstand zwischen ihm u. den einberufenen alten Ständen, die 1815 u. 1816 in Kassel versammelt waren, ein Zwiespalt, welcher den Abschluß einer ihnen zur Berathung übergebenen Staatsverfassung hinderte, namentlich wirkte die Trennung des Staatsvermögens vom Hausvermögen, wie später (1821) auf Ertheilung eines Grundgesetzes hemmend ein. Der Landtag wurde ohne Landtagsabschied geschlossen, u. die Stände legten zum Schluß eine ausdrückliche Verwahrung ihrer Rechte ein. Mit Härte verfuhr Wilhelm I. gegen die Westfälischen Domänenkäufer, deren Käufe er nicht anerkannte, so wie gegen alle, welche dem König Hieronymus gedient hatten; er versetzte dieselben auf die Stellen zurück, die sie 1806 eingenommen hatten, u. ließ sie erst später wieder avanciren. Auch im Militärwesen zeigte er eine starre Anhänglichkeit am Alten, indem er nicht nur den alten Schnitt der Uniformen, sondern sogar Zöpfe, Puder, dreieckige Hüte u. Stöcke wieder einführte; dagegen sorgte er aber auch eifrig für strenge Rechtspflege u. das Gedeihen der Schulen u. war streng gegen jeden Beamtenunfug. Er gab das Haus- u. Staatsgesetz vom 4. März 1817, in welches einige Bestimmungen des beseitigten Constitutionsentwurfs aufgenommen wurden, u. st. 27 Febr. 1821.

Sein Sohn u. Nachfolger, Kurfürst Wilhelm II., entwarf eine neue Provinzialeintheilung, änderte die Civil- u. Militäreinrichtungen, indem er wieder die neupreußische Uniform u. Organisirung einführte, organisirte die Polizei neu u. stellte an die Spitze der Verwaltung ein Staatsministerinm von 4 Departements. Durch das Organisationsedict vom 29. Juni 1821, welches eine schnellere u. concentrirtere Verwaltung anordnete, hoffte er das Verlangen nach Zusammenberufung der Landstände zu beschwichtigen. Indessen war dies nicht der Fall, u. die Nichtbeachtung der deshalb angebrachten Gesuche der Ritterschaft, welche sogar die Bundesversammlung, obschon vergebens, um Hülfe bat, wirkte eben so übel auf die Volksstimmung, als die Zerwürfnisse in der kurfürstlichen Familie, die durch das Verhältniß des Kurfürsten zur Gräfin Reichenbach, welcher man Einfluß auf die Regierung zuschrieb, herbeigeführt wurden. Ein Drohbrief, welcher durch Post an den Kurfürsten, während er 1823 im Bad zu Nenndorf war, kam u. ihn u. die Gräfin Reichenbach, wenn diese nicht binnen Jahresfrist entfernt u. nicht eine Constitution gegeben würde, durch eine angebliche Gesellschaft junger Leute mit dem Tode bedrohte, führten zu strengen Untersuchungen u. polizeilichen Sicherheitsmaßregeln. Indessen hatten diese Maßregeln, so wie daß im Mai 1826 die Kurfürstin u. im Sept. der Kurprinz in Folge der häuslichen Zerwürfnisse von Kassel nach Berlin abreisten, die Mißstimmung des Volkes dermaßen vermehrt, daß es im Sept. 1830 zu drohenden Auftritten kam. Gleich nach der französischen Julirevolution hatten sich nämlich in Kassel Bürgerzusammenkünfte gebildet, um die öffentlichen Angelegenheiten u. Adressen, die um Einberufung der Stände baten, zu berathen. Ein über die Brodtheuerung am 6. Sept. 1830 entstandener Tumult gab die Veranlassung, daß die Bürger am 7. Sept. eine provisorische Bürgergarde bildeten. Während dieser Vorfälle war der Kurfürst Wilhelm II. im Karlsbade, u. als er den 12. Sept. mit dem Kurprinzen, mit welchem er sich wieder ausgesöhnt hatte, in Kassel eintraf, vernahm man es mit Freude, daß die Gräfin Reichenbach in Eisenach zurückgeblieben sei; dennoch gab es an diesem u. den folgenden Tagen mehrere Scenen der Aufregung, nach denen der Kurfürst am 15. Sept. einer Petition der Kasseler Bürger u. den Bitten des Magistrats um Einberufung der [329] Landstände nachgab u. in dieselbe willigte. Noch vor dem Zusammentrit: der Stände gab es zu Anfang October in Kassel, Hanau, Felsberg, Wolfhagen u. Fulda neue Aufregungen u. Aufläufe, welche sich auch in Kassel im October wiederholten. Am 16. Oct. trat versprochnermaßen der Landtag nach den drei althessischen Curien zusammen, doch wurden Abgeordnete der Grafschaft Schaumburg, der Fürstenthümer Hanau, Fulda u. Isenburg, welche bisher nicht vertreten waren, mit einberufen. In den ersten Sitzungen des Landtags erklärte der Kurfürst, daß die Cabinetskasse die Schulden des ganzen Staates übernehme u. sonach vom 1. Jan. 1831 die Landesschuldensteuer aufhöre; dann wurde die Auseinandersetzung des Staats- u. kurfürstlichen Hausvermögens bewirkt, wegen der Aufstände eine allgemeine Amnestie erlassen u. endlich der Verfassungsentwurf von 1816 etwas mehr ausgebildet vorgelegt, von einem Ausschuß von 7 erwählten Ständemitgliedern umgearbeitet, als kurhessische Verfassungsurkunde am 2. Jan. 1831 angenommen, am 5. Jan. vom Kurfürsten genehmigt, am 8. Jan. übergeben u. von den Ständen, dem Militär, den Staatsdienern u. den Bürgergarden beschworen. Die Grundzüge derselben u. der unmittelbar darinfolgenden Bestimmungen s.u. Hessen-Kassel (Geogr.). Der letzte Landtag nach alter Weise wurde am 9. März 1831 geschlossen.

IV. Von Ertheilung der Constitution bis zur Revolution, 1831–1848. In der Hoffnung, daß das hessische Volk in seiner Freude über die neue Constitution u. über die Rückkehr der geliebten Kurfürstin die Abneigung gegen sie vergäße, war die Gräfin Reichenbach am 11. Jan. nach Wilhelmshöhe zurückgekehrt, aber schon am 12. Jan. 1831 entstand deshalb ein Tumult. In Folge davon reiste zwar die Gräfin am 13. Jan. wieder ab, aber der Kurfürst nahm dies so übel auf, daß er im März Kassel verließ u. erst in Frankfurt a. M. u. dann in Hanau seine Residenz aufschlug. Alle Mittel, ihn zur Rückkehr zu bewegen, waren vergebens, u. nach mehreren Verhandlungen setzte er durch Proclamation vom 30. Septbr. 1831, bis zu seiner Rückkehr nach Kassel, den Kurprinzen Friedrich Wilhelm zum Mitregenten ein, doch behielt er sich das Einkommen des Hausschatzes u. das Schatullenvermögen, sowie die Schlösser in Hanau u. Philippsruhe vor. Der Kurfürst blieb nun in Hanau, lebte aber später in Frankfurt, von einem kleinen Hofstaat umgeben, als Privatmann. Die Einsetzung des Regenten fiel in die Zeit des ersten Landtags, der verfassungsmäßig in Einer Kammer gehalten u. am 11. April 1831 eröffnet wurde; Hauptaufgabe war die Regulirung der Rechtspflege u. der Gesetzgebung. Am 11. Oct. erfolgte, in Folge der Regierungsübernahme des Kronprinzen, ein Ministerwechsel, indem statt des Ministers von Schenk, der seit dem Nov. 1830 die Geschäfte geleitet hatte, Wiederhold erst Justizminister, später Ministerialpräsident wurde. Zu dieser Zeit fand auch eine Verstimmung zwischen der Kurfürstin u. dem Kurprinzen wegen dessen Verheirathung statt, u. als man die Kurfürstin beleidigt glaubte, so brach am 7. Dec. 1831 wieder ein Tumult aus, der durch Einschreiten des Militärs gestillt wurde. Im Febr. 1832 starb der Minister Wiederhold, u. Hassenpflug erhielt dessen Stelle erst als Justizminister, dann zugleich als Minister des Innern. Mit seinem Eintritt in das Cabinet änderte sich auch das System, Schärfe trat in den Regierungsmaßregeln ein u. in Folge der Berathung über die Bundestagsbeschlüsse von 1832 löste der Kurprinz am 26. Juli 1832 die Kammer auf. Die Landstände hatten während diesem ersten Landtage die Rechtspflege gesichert, den Wirkungskreis der Bürgergarden bestimmt, eine Ablösung der Grundlasten u. ein Recrutirungsgesetz berathen u. den Zollanschluß an Preußen, der 1832 erfolgte, vorbereitet. Den 8. März 1833 wurde ein neuer Landtag eröffnet, aber da er sich mißfällig über Urlaubsverweigerungen u. andre Maßregeln der Regierung ausgesprochen hatte, am 17. März wieder aufgelöst, doch ertheilte die Ständeversammlung noch zuvor ihrem Ausschusse Vollmacht zur Anklage Hassenpflugs, die auch wirklich erfolgte, aber von dem Oberappellationsgericht wegen angeblichen Mangels an Legitimation zurückgewiesen wurde. Zu dem am 3. Juni 1833 eröffneten dritten Landtag wurden fast dieselben Mitglieder wie zu dem zweiten gewählt; dieser regulirte das Budget, doch hatten die vielen gemeinnützigen Anstalten seit 1830 so viel Geld in Anspruch genommen, daß in der ersten, jetzt zu Ende gehenden Finanzperiode die jährliche Ausgabe die Einnahme um 250,000 Thaler überstieg, weshalb eine Anleihe von mehr als 1,600,000 Thaler aufgenommen werden mußte. Eine neu aufgelegte Klassensteuer u. Ersparnisse aller Art sollten diesen Ausfall künftig decken. Außerdem bewilligte der Landtag den Juden (jedoch mit Ausnahme der Schacherjuden) Parität mit den Christen. Der Landtag wurde den 31. Oct. 1833 geschlossen. Am 11. November trat ein Landtag für die zweite Finanzperiode zusammen, wurde zwei Mal vertagt u. zuletzt am 6. April 1835, indem man sich über die Form des Abschieds nicht einigen konnte, ohne Landtagsabschied entlassen. Auch hierüber erfolgte eine neue Anklage Hassenpflugs, die jedoch wieder angebrachtermaßen vom Oberappellationsgericht abgewiesen wurde. Dieser Landtag hatte ein Budget aufgestellt, wo nur 100,000 Thaler jährliches Deficit blieb, u. eine neue Gemeindeordnung discutirt. Im November 1834 war der Landgraf Victor Amadeus von H.-Rothenburg, einer hessischen Nebenlinie, gestorben u. hinterließ Grundbesitzungen, die etwa 40,000 Thaler jährliches Einkommen betrugen. Dies veranlaßte, abgesehen von Differenzen, welche wegen des Allodes mit den Testamentserben (s. Hessen-Rheinfels 2) entstanden, Streitigkeiten mit den Ständen über die Rothenburger Quart (s. ebd.). Die Regierung verlangte sie nämlich für das kurfürstliche Hausvermögen, die Stände für den Staat. Für die Stände sprach der Umstand, daß die Regierung 1831 gewissermaßen, als sie eine Ablösung des der Rothenburger Linie zustehenden Antheils an dem Hoheitsrecht über die Quart aus Staatsmitteln zu bewirken vorschlug, das Anrecht des Landes auf dieselbe anerkannte; indessen gestand die Regierung ihre veränderte Ansicht der Sache offen ein u. weigerte sich entschieden, dieselbe herzugeben, ließ die Quart getrennt vom Staatsvermögen als Fideicommißgut von einer besondern Domänenkammer verwalten u. lehnte es ab, ein angetragnes Schiedsgericht anzunehmen od. die Anrufung des Bundesschiedsgerichts zu gestatten. Am 22. November 1837 wurde der Landtag[330] zur dritten Finanzperiode vom Kurprinzen in Person eröffnet. Dieselben Streitigkeiten erneuten sich, u. zweimalige Vertagung, selbst das Abtreten Hassenpflugs im Juni 1837, änderte wenig. An Hassenpflugs Stelle trat von Hanstein, von Motz blieb Finanzminister, von Lepel wurde Minister des Äußern u. v. Loßberg Kriegsminister. Die Rothenburger Quart war wieder der Streitpunkt; vergebens trugen die Stände auf das Bundeschiedsgericht an, u. als sie endlich kurzweg die Einkünfte der Quart mit zum Budget schlugen, wurde die Ständeversammlung am 10. März 1838 aufgelöst. Die neuen Wahlen zu dem am 28. April zu eröffnenden Landtage brachten fast dieselben Mitglieder. Man beschäftigte sich fast nur mit dem Budget, konnte sich jedoch auch darin mit der Staatsregierung nicht einigen. Die Stände wurden daher am 12. Juli 1838 ohne Landtagsabschied entlassen. Das diesmalige Budget gab statt Deficit 28,000 Thaler Überschuß. Der neu erwählte Landtag zur vierten Finanzperiode, der am 25. November 1839 zusammentrat, hatte etwas mehr Stimmen für die Regierung; die Rothenburger Quart war auch hier wieder Gegenstand der Verhandlungen. Am 19. Februar 1841 starb die Kurfürstin, worauf der Kurfürst die Gräfin Reichenbach im Juli 1841 zu seiner Gemahlin in morganatischer Ehe erhob, doch starb sie schon im Februar 1843. Der Kurfürst entschloß sich nun, nuch ferner in Frankfurt a. M. seinen Aufenthalt zu behalten.

Am 1. Nov. 1842 trat der Landtag zur fünften Finanzperiode zusammen. Die Wahlen fielen in Folge der größten Anstrengung von Seiten des Ministeriums noch mehr im Sinne der Regierung aus. Der Finanzstand wurde wieder befriedigend gefunden, ein Expropriationsgesetz für künftig zu bauende Eisenbahnen gegeben u. ein Gesetz über die gemischten Ehen angenommen. Es war dies der erste Landtag, auf welchem das Ministerium bisweilen eine. Majorität hatte. Eine Folge davon war, daß der Militäretat um etwa 80,000 Thaler jährlich erhöht wurde. Der Minister von Hanstein wurde Ende 1841 verabschiedet, u. an seine Stelle trat Koch. Die fortdauernde Meinungsverschiedenheit zwischen Ständen u. Regierung über die Rothenburger Quart führte die Vertagung der Ständeversammlung am 1. Juli 1843 herbei. Die Wiederöffnung erfolgte erst am 3. October. Zu Stande kamen die Gesetze über Besteuerung des Runkelrübenzuckers u. gegen Forstfrevel; dagegen wurde dem im Decbr. 1843 eingebrachten Grundsteuergesetze die landesherrliche Sanction versagt. Zu einem völligen Zerwürfniß zwischen Regierung u. Ständen schien es wegen der Eisenbahnfrage kommen zu wollen, da die Regierung für die Bestimmung in dieser Angelegenheit eine unbedingte Vollmacht von den Ständen forderte u. das Verlangen der Kammer nach genaueren Nachweisen über Umfang, Richtung u. Kosten des Unternehmens von dem Landtagscommissär für unangemessen erklärt wurde. Schließlich gab jedoch die Regierung nach u. legte einen über 6 Millionen beanspruchenden Plan einer Eisenbahn von Kassel nach Frankfurt vor, der genehmigt wurde. Die deshalb beabsichtigte 31/2 procentige Anleihe sollte bis zum Betrage von 2 Millionen im Laufe der nächsten Finanzperiode, soweit nöthig, aufgenommen werden; vorbehalten blieb dabei, daß der Bau nicht eher begonnen werde, als bis die Thüringische Bahn gesichert sei. Die Verabschiedung des Landtags erfolgte am 3. April 1844. Für die Eisenbahnbauten nahm die Regierung 1845 durch Rothschild ein Anlehen von 6,700,000 Thalern auf. Der Landtag für die sechste Finanzperiode, 1846 bis 1848, der am 9. Decbr. eröffnet wurde, wurde auch sofort nach der Eidesleistung wieder vertagt, u. erst am 13. März 1846 traten die Stände wieder zusammen; wegen eines Conflicts mit dem Finanzministerium jedoch erfolgte am 14. Juli eine neue Vertagung u. nach der Wiedereröffnung des Landtags am 13. Octbr. wegen der Debatten über die Angelegenheit der Deutschkatholiken, welche von Seiten der Regierung eine strenge Beurtheilung erfuhren, die gänzliche Auflösung, doch wurde die verlangte Ermächtigung zur Steuererhebung bis Juli 1847 gewährt. Hinsichtlich der Wahlen für die neue Kammer ließ die Regierung kein Mittel unversucht, um sich die Majorität zu sichern, was ihr im Ganzen auch gelang; im Mai 1847 wurde der Landtag einberufen, u. nachdem er eine Verlängerung der Steuererhebung bis Ende des Jahres bewilligt hatte, alsbald auf 3 Monate vertagt. Am 20. Novbr. 1847 starb der Kurfürst Wilhelm II. in Frankfurt, ohne Kassel wieder gesehen zu haben Doch war in der letzten Zeit eine Art Versöhnung zwischen ihm u. dem Lande eingetreten.

Auf Wilhelm II. folgte sein einziger Sohn u. seit 1831 Mitregent, Friedrich Wilhelm I. Da er bei seinem Regierungsantritt, dessen Bekanntmachung ohne Gegenzeichnung eines Ministers geschehen war, erklärte, es müßten Veränderungen in der Verfassung vorgenommen werden, so sprach sich der Landtag, statt den verfassungsmäßig von jedem Kurfürsten bei seinem Regierungsantritt abzulegenden Eid auf die Verfassung zu fordern, dahin aus, daß der von Friedrich Wilhelm als Kurprinz-Mitregent auf die Verfassung geleistete Eid für dessen ganze Lebensdauer verbindlich sei. Selbst in dem Ministerium fand der Kurfürst keine Stütze für seine Änderungspläne. Den Ausschlag gab jedoch das Verhalten des Offiziercorps, welches an dem ihm vorgelegten neuen Diensteid, worin der Verfassung nicht gedacht war, Anstand nahm, da das Militär nach dem früheren Diensteid ausdrücklich auf Aufrechthaltung der Verfassung verpflichtet war. So scheiterte der Plan zu einer einseitigen Abänderung des Staatsgrundgesetzes. Die Ständeversammlung war in der letzten Zeit mit der Regierung gegangen; sie hatte selbst Zurücknahme der den Juden 1833 zugestandenen Begünstigungen beantragt. Das Finanzgesetz von 1846–48 wurde nur wegen der Hofdotation, die nach dem Tode Wilhelms II. in gleicher Höhe belassen werden sollte, beanstandet, die Forterhebung der Steuern bis Juni 1848 genehmigt. Am 22. Februar, drei Tage vor der Februarrevolution, wurde der Landtag wiederum vertagt.

V. Die Revolution mit ihren Folgen, 1848–51. Am 27. Febr. 1848 trafen die ersten Nachrichten von den Ereignissen in Paris in Kassel ein; die Regierung verhielt sich unthätig. Um so bewegter wurde es in den südlichen Theilen des Landes, namentlich in Hanau, wohin von Bundeswegen einiges Militär gesendet worden war. Die am 3. u. 4. März von dorther in Kassel eintreffenden Deputationen regten nun auch die Residenzstadt zu[331] eignen Schritten an, u. am 6. März wurden dem Kurfürsten Petitionen von dem Inhalt der damaligen Volkswünsche überreicht. Die augenblicklichen Zugeständnisse befriedigten wenig, doch erschien am 7. März eine landesherrliche Proclamation, durch welche Aufhebung der Censur bei Besprechung innerer Landesangelegenheiten u. Zurückziehung der den Dissidenten bisher aufgelegten Beschränkungen verkündet, Gesetze über Preßfreiheit, Öffentlichkeit u. Mündlichkeit mit Geschwornengerichten, Mitwirkung der Landstände bei Besetzung des Oberappellationsgerichtes in Aussicht gestellt waren. Die nach Scheffers Rücktritt noch übrigen Mitglieder des früheren Ministeriums (v. Motz, Schmidt, v. Dörnberg) wurden entlassen u. durch Schwedes für Finanzen, Weiß für Krieg, v. Trott für Äußeres ersetzt. In Hanau, das bereits in den ersten Tagen des März zum Mittelpunkt einer allgemeinen u. weiter gehenden Bewegung ausersehen war u. wo sich durch bewaffneten Zuzug aus den benachbarten Ortschaften ein förmliches Volksheer gebildet hatte, stieg die allgemeine Aufregung durch die für ganz ungenügend befundenen Zugeständnisse vom 6. März auf's Höchste. Am 8. März trat eine bewaffnete Volksversammlung zusammen, deren Resultat ein an den Kurfürsten zu stellendes Ultimatum war. Für den Fall der Ablehnung hatte man sich für den Anschluß an Darmstadt entschieden. Am 11. März übergab die Hanauer Deputation ihr Ultimatum. Der Kurfürst widerstrebte Anfangs jedem Zugeständnisse, gab jedoch endlich nach. Am 12. März erschienen die ertheilten Zulagen als landesherrliche Verkündigungen: Besetzung der Ministerien durch Männer des allgemeinen Vertrauens, Amnestie, volle Religions- u. Gewissensfreiheit, Petitions-, Vereins- u. Versammlungsrecht, Verwendung für Nationalvertretung bei dem Bundestage, Preßfreiheit mit Preßgesetz. Von der Forderung der Auflösung der bisherigen Ständeversammlung war die Hanauer Deputation selbst abgestanden. Die erste Zusage ging sofort in Erfüllung; Minister Lotz u. v. Trott resignirten, die von den Volksdeputationen verlangten Männer, Eberhard u. Wippermann, wurden ins Ministerium gezogen, u. man erwartete nun eine befriedigende Weiterentwickelung der öffentlichen Zustände. Aber Ruhestörungen kamen noch häufig vor u. erschwerten die Stellung des Ministeriums. An vielen Orten richteten sich gesetzwidrige Angriffe gegen mißliebige Beamte, adelige Grundherren u. Juden, die Waldungen waren argen Beschädigungen ausgesetzt, im Hanauischen konnte die jährliche Recrutirung wegen Widersetzlichkeit der Pflichtigen nicht vor sich gehen. Das Militär mußte, um dem dortigen Geiste entzogen zu werden, entfernt werden, worauf von den Bürgern die Waffen des Zeughauses unter die Turner u. Freicorps vertheilt, das Zeughaus zur Nationalturnbahn, die Caserne zu einem Nationalschulhaus bestimmt wurden. Die gesetzliche Macht war solchem Treiben gegenüber meist kraftlos, zumal da das Ministerium die Anwendung harter Maßregeln vermied. Kassel war im Ganzen am ruhigsten gewesen, bis am 9. April in Folge von Gerüchten von reactionären, hinter dem Rücken des Ministeriums betriebenen Machinationen allerhand laute Demonstrationen hervorgerufen wurden, wogegen eine Anzahl Garde du Torps einschritt. Da wurden aller Orten Barrikaden errichtet u. die Gardereitercaserne förmlich belagert. Noch in der Nacht mußte die Garde die Stadt verlassen u. am andern Morgen erfolgte die Auflösung derselben.

Inzwischen war die zum 11. März einberufene Ständeversammlung schon vielfach thätig gewesen. Durch Austritt einzelner Mitglieder u. durch Meinungsänderung Anderer hatte dieselbe eine überwiegend liberale Farbe angenommen; Präsident war v. Baumbach geworden. Die vereinte gesetzgeberische Thätigkeit der Regierung u. der Stände erstreckte sich auf Folgendes: Amnestiegesetz vom 10. April; Preßgesetz vom 26. August; Gesetz vom 19. Juli, das Petitions-, Vereins- u. Versammlungsrecht betreffend; das Gesetz vom 17. Juni, die Mitglieder des Oberappellationsgerichts betreffend, wodurch die Selbständigkeit des obersten Gerichtshofes gesichert wurde; die Gesetze vom 31. October über Einführung der Schwurgerichte, Umbildung des Strafverfahrens, neue Organisation der Gerichte u. der Staatsbehörde bei den Gerichten; Gesetz vom 29. October über Religionsfreiheit u. Einführung der Civilehe; Gesetz über Bildung neuer Verwaltungsbezirke u. Einführung von Bezirksräthen; ferner über die Polizei- u. Zunftgerichtsbarkeit. Die Agrargesetzgebung erhielt eine wesentliche Vervollständigung durch das nicht ohne Differenzen zwischen Regierung u. Ständen zu Stande gekommene Jagdgesetz vom 1. Juli u. das Lehns- u. Meiergesetz vom 26. Aug. (unter geringen Entschädigungen wurden fast alle Lehen in freies Eigenthum verwandelt). Um den Finanzen aufzuhelfen, wurde die Beitreibung der Staatseinkünfte gesetzlich besser gesichert, die Branntweinsteuer erhöht Rückzahlung eines bedeutenden Vorschusses an die Hofkasse erwirkt, für 1 Million Thaler Papiergeld geschaffen u. namentlich der Ertrag der Rothenburger Quart dem Staate wieder zugewendet. Diese von allen früheren Ständeversammlungen stets vergeblich angeregte Frage fand diesmal eine den Wünschen des Landes entsprechende Erledigung, indem der Kurfürst sämmtliche Einkünfte der Quart der Staatsfinanzverwaltung überwies (allerdings vorbehältlich der Geltendmachung seiner Ansprüche im Rechtswege), wodurch schon jetzt der Staatskasse eine jährliche Mehreinnahme von 60,000 Thalern erwuchs. Auf die Rückzahlung der seit 1834 der Hofkasse zugeflossenen Revenüen aus der Quart verzichtete man, aber die bezüglichen Verwahrungen u. Entschädigungsansprüche der Landgrafen von H.-Philippsthal u. Philippsthal-Barchfeld ließ man unberücksichtigt. Eine förmliche Revision der Verfassung verschob die Ständeversammlung bis auf die Vollendung der Reichsverfassung; doch erhielt die Landesverfassung in einzelnen Punkten wenigstens eine weitere Ausbildung. So wurde eine neue Geschäftsordnung für den Landtag geschaffen, mehrere Wahlbeschränkungen beseitigt, namentlich die Urlaubseinholung für die Staatsdiener, u. ein neues Wahlgesetz provisorisch angenommen. Am 31. October 1848 wurde die Ständeversammlung geschlossen.

Unterdessen waren auch bereits wieder einige Veränderungen im Ministerium erfolgt; der Kriegsminister Weiß trat schon Anfang August zurück; ihm folgten in kurzen Zwischenräumen v. Bardeleben, v. Urff, d'Orville, v. Roques; Ende August wurde Wippermann an Schwedes' Stelle Finanzminister,[332] das bisher von v. Meyer interimistisch verwaltete Ministerium des Äußern übernahm Anfang September von Schenk zu Schweinsberg. Das Ministerium war sehr thätig, es leitete Verbesserungen im Volksschulwesen ein, bahnte die Trennung der Kirche vom Staate durch Niedersetzung geistlicher Commissionen an, förderte die Eisenbahnbauten, hinsichtlich der auswärtigen Beziehungen ordnete es sich der Centralgewalt unter. Als Vertrauensmann zum Bundestage wurde Jordan abgesandt, später Wippermann, nachdem Jordan Bundestagsgesandter geworden war. Die Sache Schleswig-Holsteins fand bei Volk u. Regierung die wärmste Theilnahme; dem allgemeinen Wunsche, den präsumtiven Thronfolger, Landgraf Wilhelm von Hessen, u. seinen Sohn, Prinz Friedrich, aus Dänemark zurückzurufen, wurde entsprochen; Landgraf Wilhelm kam auch wirklich nach Kassel u. erkannte die Verfassung an, nicht so Prinz Friedrich. Der Heckersche Aufstand fand nur geringen Anklang im Volke; kurhessisches Militär nahm an seiner Unterdrückung Theil. Die Wahlen zur Nationalversammlung fielen auf freisinnige Männer. Am 6. August erfolgte die militärische Huldigung des Reichsverwesers, woran der Kurfürst Theil nahm. Der Beschluß der Nationalversammlung hinsichtlich des Malmöer Waffenstillstandes blieb jedoch nicht ohne tiefe Einwirkung auf das Volk. Die constitutionelle Partei, einst rühriger u. stärker, als irgend wo (in Kassel war der Centralverein für ganz Deutschland), wurde verstimmt u. wich immer hoffnungsloser vor der, seit Juli bes. in den südlichen Provinzen, außerordentlich angewachsenen republikanischen Partei zurück.

Während die Vorfälle in Wien u. Berlin u. in Folge davon die Furcht vor einer Reaction das Land in steter Bewegung hielten, auch Excesse verschiedener Art noch immer nicht zu den Seltenheiten gehörten, erfolgte am 29. November der Zusammentritt der neugewählten Ständeversammlung. Schwarzenberg wurde zum Präsidenten gewählt. Abgesehen von den Verhandlungen wegen Verminderung der Hofdotation, in welche der Kurfürst nicht willigen wollte, bildete den Hauptgegenstand der anfänglichen Berathungen das neue Wahlgesetz, dasselbe wurde endlich am 2. Februar 1849 angenommen. Die Publication der Grundrechte geschah in der Gesetzsammlung vom 3. Januar, obschon bekannt war, daß der Kurfürst erklärt hatte, dieselben niemals gesetzlich sanctioniren zu wollen. Währenddem beschäftigte sich das Ministerium mit Einführung der neuen organischen Einrichtungen. Im Januar fanden die ersten schwurgerichtlichen Sitzungen statt, am 1. Februar trat die neue Verwaltungsorganisation mit veränderter Bezirkseintheilung ins Leben. Das in Rücksicht auf die Zeitumstände nur auf ein Jahr hinaus vorgelegte Budget wurde von den Ständen ohne wesentliche Abänderungen angenommen. Hinsichtlich der deutschen Frage hielten Ministerium u. Ständeversammlung in ihrer Majorität noch zu der Nationalversammlung, am 5. Januar sprach man sich für die Übernahme der Reichsregierung durch den König von Preußen u. in Folge der preußischen Circularnote vom 23. Jan. für die Reichsverfassung aus. Auch nachdem der König von Preußen die Kaiserwürde abgelehnt hatte, schloß sich die Regierung der bekannten in Frankfurt abgegebenen Erklärung vom 14. April (s.u. Deutschland [Gesch.] XIII. C) d) an den preußischen Bevollmächtigten bei der Centralgewalt an u. verkündete unter dem 30. April die Reichsverfassung u. das Reichswahlgesetz in der Gesetzsammlung. Unterdessen war aber auch im Lande die Bewegung schon hoch gestiegen. Am 7. April erklärte sich die Kasseler Bürgerwehr für die Reichsverfassung; am 12. faßte eine Versammlung von Abgeordneten demokratischer u. constitutioneller Vereine des Landes in Bezug auf Durchführung der Verfassung eine Reihe sehr excentrischer Beschlüsse, deren Durchführung bei der vorherrschenden, jeder Gewaltthätigkeit abgeneigten Stimmung im Lande unmöglich war. Da die Stände sich für Aufrechthaltung der Reichsverfassung erklärten, wurden sie am 14. April vertagt. Auch das Ministerium trat den radicalen Forderungen u. Demonstrationen entgegen, erkannte das Rumpfparlament nicht mehr an u. verhinderte einen in dessen Interesse auf den 23. Juni ausgeschriebenen demokratischen Congreß. Zur Unterdrückung des Aufstandes in Baden rückte auf Requisition der Reichsgewalt auch kurhessisches Militär in's Feld, während die Hanauer Turnerschaar zur Unterstützung det Aufständischen auszog. Am Schleswiger Kriege hatte gleichfalls schon seit Mitte März ein. kurhessisches Truppencorps unter General Bauer rühmlichen Antheil, namentlich bei den Düppeler Schanzen, genommen. Die Landtagswahlen nach dem neuen Wahlgesetze, am 24. April ausgeschrieben, gingen während der politischen Sturmzeit im Juni u. Juli vor sich, u. die neue Ständeversammlung zählte eine entschiedene constitutionelle Mehrheit. Bei der Eröffnung der Kammer am 14. Juli klang durch die Eröffnungsrede bereits die Hinneigung der Regierung zu dem Bündniß vom 26. Mai, in welchem sie das für jetzt einzig Erreichbare finden zu können glaubte, u. am 31. Juli wurde der Anschluß an das Dreikönigsbündniß gutgeheißen, welchen der Kurfürst am 6. August ratificirte, nachdem am 4. August die Vertagung der Ständeversammlung erfolgt war. Unmittelbar hiernach trat wegen der von Preußen verlangten, vom Kurfürsten aber verweigerten Stellung von hessen-kasselschen Truppen zu einem bei Hanau zusammenzuziehenden Truppencorps eine Ministerkrisis ein. Die Minister gaben ihre Entlassung ein, die der Kurfürst zwar am 8. August annahm; aber er knüpfte mit dem abgetretenen Ministerium wieder an, u. dasselbe trat, mit Ausnahme Schenks, am 18. Aug. wieder ein. Am 18. Octbr. übernahm von Wintzingerode das Ministerium des Innern, am 22. Oct. erfolgte der Wiederzusammentritt der Kammer. In derselben hatte bei der deutschen Frage das Ministerium, gegenüber der Agitation der demokratischen Partei gegen das Maibündniß, eine compacte Majorität; so wurde auch das Wahlgesetz für das Volkshaus angenommen. Der Convention vom 30. September über Bildung einer provisorischen Centralgewalt trat die kurhessische Regierung bedingt bei. In den innern Angelegenheiten traten aber diesmal zwischen Regierung u. Ständen vielfache Differenzen ein; eine ziemliche Anzahl der vorgelegten Gesetze stießen auf entschiedenen Widerspruch in der Kammer. Das Finanzgesetz mit dem Voranschlage für 1850 u. 1851 kam wegen der dann eintretenden Ereignisse gar nicht zur Berathung. Die Ernennung der Mitglieder[333] zum Staatenhause gab den Grund zu einer neuen Ministerkrisis ab; am 23. Februar 1850 nahmen sämmtliche Minister ihre Entlassung.

An der Spitze des neuen Ministeriums stand als Ministerpräsident u. Minister des Innern u. der Justiz der vormalige, durch das ganze Land unbeliebte Minister Hassenpflug, Lometzsch für Finanzen, von Baumbach für das Auswärtige, v. Haynau für den Krieg. Bereits am 26. Febr. trat Hassenpflug mit seinem Programm vor die Ständeversammlung, welche ein Mißtrauensvotum wider ihn abgab, u. da sie am 12. März eine von dem Ministerium eingebrachte Creditforderung, namentlich für außerordentliche Militärbedürfnisse, am 15. abwies, wurde sie vertagt. Sowohl auf dem Unionsparlament in Erfurt, als auf dem Fürstencongreß in Berlin suchte Hassenpflug das Zustandekommen der Verfassung möglichst zu vereiteln. Formell wurde allerdings das Maibündniß noch nicht aufgegeben, zugleich aber doch ein Bevollmächtigter zu der von Österreich auf den 10. Mai nach Frankfurt berufenen Bundesplenarversammlung abgesendet. Am 16. Mai trat die Ständeversammlung wieder zusammen. Zur Deckung der früher beanspruchten u. jetzt unverändert wiederholten Summen wurde die Ausgabe von Kassenscheinen im Betrag von 760,000 Thalern durch die Regierung beantragt. Am 7. Juni wurde dieser Gesetzentwurf verworfen; hierauf brachte die Regierung, da die Steuern u. Abgaben schon vom 1. Juli 1850 an nicht ohne neue Bewilligung der Stände forterhoben werden konnten, am 7. Juni einen Gesetzentwurf ein wegen einstweiliger Forterhebung der Steuern u. Abgaben bis Ende December 1850. Da eine Vereinigung nicht zu Stande kam, so erfolgte sofort die Auflösung. Hassenpflug war während dieser kritischen Zeit meist in Frankfurt als Bevollmächtigter bei der Bundesversammlung. Die Regierung ersuchte nun den ständischen Ausschuß um seine Zustimmung zu Forterhebung der indirecten Steuern u. Abgaben für den Monat Juli. Der Ausschuß gab seine Einwilligung, jedoch unter der Bedingung. daß die eingehenden Beträge bis zu dem Beschlusse der nächsten Ständeversammlung hierüber aufbewahrt bleiben sollten. Das Ministerium ging darauf ein. Die Wahlen für die neue Ständeversammlung riefen eine lebhafte Agitation im Lande hervor. Die demokratische u. constitutionelle Partei machte sich den Sieg so streitig, daß von jeder fast eine gleiche Zahl gewählt wurde, während die Partei Hassenpflugs gänzlich unvertreten blieb. Am 26. Aug. wurde die neue Ständeversammlung durch den Finanzminister eröffnet; die etwas stärkere demokratische Partei setzte Bayrhoffer als Präsident durch. Die erste Regierungsvorlage bestand in einem Gesetzentwurfe wegen einstweiliger Forterhebung der Steuern für Monat September; aber am 31. August wurde die Forterhebung der directen Steuern nicht bewilligt, die der indirecten dagegen genehmigt, nur wieder unter der Bedingung, daß die eingehenden Beträge vorerst nicht verausgabt werden sollten. Am 2. Sept wurde die Ständeversammlung aufgelöst, u. nach mehrfachen erfolglosen Verhandlungen mit dem ständischen Ausschuß erschien am 5. September eine kurfürstliche Verordnung, wonach die Fort- u. Nacherhebung sämmtlicher in dem Finanzgesetz vom 5. April vorigen Jahres überwiesenen Steuern u. Abgaben für so lange vorgeschrieben war, bis mit den baldigst einzuberufenden Landständen weitere Vereinbarung getroffen sei; zugleich wurde der Beschluß der Ständeversammlung vom 31. August als Verfassungsbruch u. erster Schritt zur Rebellion bezeichnet. Der ständische Ausschuß erklärte noch am 5. September die Steuerverordnung als verfassungswidrig, forderte das Finanzministerium zur Zurücknahme derselben auf u. gab den oberen Finanzbehörden von diesen Schritten Nachricht, worauf letztere dem Ministerium erklärten, daß sie die Verordnung vom 4. September weder befolgen, noch zu deren Befolgung mitwirken könnten. Gleiches thaten nach u. nach die Verwaltungs- u. richterlichen Behörden. Fünf Obergerichte u. das Oberappellationsgericht beschlossen den Stempel einstweilen nur zu notiren. Als nächste Folge hiervon erschien am 7. September eine landesherrliche Verordnung, wodurch der Kriegszustand in allen seinen Consequenzen über das ganze Land ausgesprochen u. Militärcommandanten für die einzelnen Verwaltungsbezirke des Landes ernannt wurden. Der Ständeausschuß begnügte sich mit einer protestirenden Erklärung u. Anrufung der Gerichte; doch wurden sowohl die bei dem Obergerichte als auch bei dem Oberappellationsgerichte angebrachten Anklagen gegen die Minister später aus formellen Gründen abgewiesen. Mit wenigen Ausnahmen verweigerten auch die Behörden u. Beamten ihre Mitwirkung zum Kriegszustande, als streitend gegen ihren Eid. Bald schritten auch die Gerichte aus einem blos passiven Verhalten selbstthätig hervor. Auf eine, vom ständischen Ausschuß gegen einen Polizeicommissär wegen Gewaltmaßregeln gegen die Presse erhobene Anklage wurde sofort eine Untersuchung eingeleitet u. dessen Verhaftung angeordnet u. ausgeführt. Hiermit erreichte der Kriegszustand thatsächlich sein Ende, indem nun der Oberbefehlshaber in Rücksicht auf das richterliche Urtheil die Bewachung der Pressen aufhob.

Nach diesen Vorgängen überließ man sich schon allgemein der Hoffnung auf eine günstige Wendung der Dinge: als plötzlich am 13. Sept. der Kurfürst aus Kassel abreiste, weil sich in den einberufenen Kriegsreservemannschaften ein revolutionärer Geist kundgegeben hatte. Derselbe reiste, von drei Ministern begleitet, über Münden u. Göttingen nach Hannover u. von da nach Frankfurt; die Residenz wurde im Schlosse Philippsruh bei Hanan aufgeschlagen, während das Schloß Wilhelmsbad durch Verordnung vom 17. Sept. zum Sitze der Regierung bestimmt wurde. Hauptstadt u. Land blieben ruhig, die Behörden führten die Geschäfte fort, soweit dies bei der völligen Geschäftsstockung in den Ministerien möglich war. Inzwischen war seit dem 1. Sept. in Frankfurt der sogenannte Engere Rath zusammengetreten, dessen Anerkennung u. Beschickung nur Preußen u. seine Verbündeten verweigerten, während sich. die hessische Regierung schon seit August offen der österreichischen Politik zugewandt hatte. Der Bundestag forderte in Folge eines an ihn ergangenen Antrags hinsichtlich der landesherrlichen Verhältnisse durch Beschluß vom 21. Sept. die Regierung auf, alle einer Bundesregierung zustehenden Mittel anzuwenden, um die bedrohte landesherrliche Autorität wieder herzustellen u. über die von ihr ergriffenen Maßregeln u. über deren Erfolg Mittheilung zu machen. Die Hoffnung[334] des Landes ruhte auf Preußen, welches den Bundesbeschluß vom 21. Sept. nicht zur Vollziehung bringen lassen würde u. auch durch Zusammenziehung preußischer Truppen bei Wetzlar, Paderborn u. in Thüringen diese Hoffnung zu bestärken schien. Inzwischen war das Ministerium mit energischeren Maßregeln gegen das Land vorgegangen. Durch Verordnung vom 28. Sept. wurde den Gerichten u. Behörden jede Beurtheilung von Regierungsmaßregeln verwiesen; gegen die Glieder der oberen Behörden wurden Disciplinarstrafen bei Widerstand gegen die Septemberverordnungen ausgesprochen; die Bürgergarde wurde durch den neu ernannten Oberbefehlshaber, General Haynau, aufgelöst, der Oberbürgermeister der Residenz suspendirt u. das landesherrlich angeordnete permanente Kriegsgericht eingesetzt. Der bleibende ständische Ausschuß erhob, neben einem Protest gegen die Verordnung vom 28. Sept., nun gegen den Oberbefehlshaber wegen gesetzwidrigen Vorschreitens bei dem Generalauditoriat, Anklage. Diese wurde angenommen, u. dem Garnisonsgerichte Auftrag ertheilt, die Untersuchung gegen den Angeklagten einzuleiten; zugleich waren die Verordnungen vom 7. u. 28. Sept. als verfassungswidrig u. unverbindlich erklärt. Eine vom ständischen Ausschusse beantragte Verhaftung erfolgte, als der militärischen Disciplin zuwiderlaufend, nicht. Dagegen wurden von Seiten der Regierung am 8. Oct. die Maßregeln gegen die Presse verschärft u. das Generalauditoriat suspendirt. Am 9. Oct. bat das Offiziercorps der in u. bei Kassel stehenden Truppen um seinen Abschied u. erklärte zugleich, daß es, bis es diesen erhalten hätte, sich nicht zur Durchführung verfassungswidriger Maßregeln brauchen lassen werde. In den nächsten Tagen folgten diesem Beispiele fast alle Offiziere der in u. um Hanau u. in Fulda befindlichen Truppen nach. So bestand im ganzen Lande kaum noch eine Autorität, die sich nicht gegen das Ministerium erklärt hätte. Dessen ungeachtet blieb dasselbe, u. auf dessen Antrag beschloß der Bundestag am 25. Oct., H.-K. militärisch zu besetzen.

Am 1. Nov. rückte das baierische Executionscorps durch ein Bataillon österreichischer Jäger verstärkt in Kurhessen ein u. besetzte Hanau mit 6000 M., wogegen Tags darauf auch ein preußisches Corps unter Generallieutenant v. d. Gröben die kurhessische Grenze überschritt u. in Eilmärschen nach Fulda rückte, während ein anderes in Kassel eintraf. Die Regierung legte hiergegen Verwahrung ein u. rief ihren Gesandten von Berlin ab. Die Bundestruppen unter Fürst von Thurn u. Taxis, etwa 25,000 M. stark, gingen von Hanau nach Fulda vor, während die Preußen sich in Fulda festsetzen zu wollen schienen u. einige Truppen gegen Hanau vorschoben. Hierbei kam es am 8. Nov. zu einem Vorpostengefecht bei Bronnzell, wobei einige österreichische Jäger verwundet wurden. Schon am 9. Nov. räumte v. d. Gröben auf erhaltenen Befehl Fulda u. nahm eine feste Stelle bei Hersfeld ein; Fulda wurde sofort von Bundestruppen besetzt. In Folge der Besetzung des Landes wurden die Einwohner entwaffnet, die polnischen Vereine verboten, die Beamten, welche die Septemberverordnungen nicht anerkannten, mit starker Einquartierung bedacht. Die kurhessischen Truppen waren inzwischen ins Hanauische gezogen u. dort sofort nach ihrer Ankunft bis auf die Cadres beurlaubt worden; eine Anzahl Offiziere erhielt den verlangten Abschied. Nach den Bestimmungen der Olmützer Conferenz, Ende November, zwischen Österreich u. Preußen, sollte der Action der vom Kurfürsten herbeigerufenen Truppen von Preußen kein weiteres Hinderniß in den Weg gelegt werden, u. ein Bataillon derselben mit einem Bataillon Preußen zur Aufrechthaltung der Ruhe u. Ordnung in Kassel bleiben. Als Bundescommissäre fungirten österreichischer Seits Graf von Leiningen, preußischer Seits General von Peucker. Am 22. Dec. wurde Kassel von 6000 M. Executionstruppen besetzt u. mit den Maßregeln, wie an andern Orten des Landes, vorgeschritten. Durch Befehl vom 28. Dec. wurde die Thätigkeit des bleibenden Ständeausschusses suspendirt u. dem Oberappellationsgericht u. den übrigen Behörden eine stricte Erklärung hinsichtlich der Befolgung der Septemberverordnungen abverlangt. Am 27. Dec. kehrte der Kurfürst nach Kassel zurück u. am 28. folgte die Regierung ebendahin. Am 8. Januar 1851 konnte die Execution beendigt werden; die Steuerverordnung wurde befolgt, der Widerstand war gebrochen. Nun begannen die Militärgerichte ihre Thätigkeit. Da die Bundesmilitärgerichte sich weigerten, über Vergehen, die vor dem Einrücken der Bundestruppen verübt worden waren, zu entscheiden, so wurde ein permanentes Kriegsgericht vom 30. September 1850 von Neuem eingesetzt, u. zu seiner zweiten Instanz das jetzt zuverlässige Generalauditoriat bestimmt. Der ständische Ausschuß wurde, weil er, trotz seiner Suspension, gegen den Ministerpräsidenten bei dem Oberappellationsgerichte wegen verfassungswidriger Verzögerung der Landtagswahlen Anklage erhoben hatte, auf Befehl des Grafen Leiningen am 7. März verhaftet u. erhielt vorerst seine Freiheit nur gegen Caution. Nachdem das Kriegsgericht durch Verordnung vom 6. März angewiesen war, seine Thätigkeit auch auf alle Renitenzfälle auszudehnen, u. sogar der Verordnung vom 28. Sept. rückwirkende Kraft beigelegt worden war, wurden Untersuchungen wider die verschiedensten Beamten erhobenen; nicht wenige wurden zu mehrmonatlicher Festungs- od. Gefängnißstrafe verurtheilt. Im Januar waren alle kurhessischen Truppen allmälig in ihre Standquartiere zurückgekehrt. Im Februar wurden die baierischen Truppen bis auf 5000 Mann vermindert; im Mai verließ das preußische Bataillon Kassel. Der preußische Bundescommissär v. Peucker wurde im März seiner Stellung enthoben u. durch den vormaligen Staatsminister v. Uhden ersetzt, der nun auch zu den Geschäften der Bundescommission zugezogen. wurde. Die Offiziere, welche voriges Jahr ihren Abschied verlangt hatten, nahmen dies Gesuch größtentheils wieder zurück. Am 26. Juni erschienen drei neue Verordnungen; nach denselben wurde das Militär seines Eides auf die Landesverfassung entbunden u. nach einer neuen Formel ohne Bezug auf die Verfassung beeidigt; das Gesetz über den obersten Militärchef wurde aufgehoben u. endlich eine Amnestie, mit vielen Ausnahmen, verkündigt. Ein Erlaß vom 2. Aug. untersagte dem bleibenden ständischen Ausschuß bis auf Weiteres jedes amtliche Zusammentreten, sowie jede amtliche Thätigkeit überhaupt. Anfang August verließen die letzten Executionstruppen das Land; mit denselben siedelten auch die Bundescommissäre nach Frankfurt über.[335] VI. Geschichte der neuesten Zeit, 1852 bis 1859. Die finanzielle Lage des Landes war durch die neuesten Ereignisse sehr mißlich geworden, da schon bei dem Eintritt des neuen Ministeriums ein Deficit von nahe zu zwei Millionen vorgelegen u. die neuesten Ereignisse die Schuldenmasse noch außerordentlich vermehrt hatten. Am 1. Nov. trat die neue Gerichtsorganisation in Kraft u. hatte bes. im höheren Richterpersonale viele neue Besetzungen zur Folge. Anfang October trat auch H.-K. dem Deutsch-österreichischen Postvereine bei. Dem Jahre 1852 war es endlich bestimmt, die Verfassungswirren zu einem, wenn auch nur erst vorläufigen Abschluß zu bringen. Nachdem nämlich von Seiten Preußens u. Österreichs am 7. Jan. dem Bundestage zwei Denkschriften der für Kurhessen bestellten Bundescommissäre vorgelegt worden waren, beschloß derselbe am 27. März: die Verfassungsurkunde vom 5. Jan. 1831 nebst den in den Jahren 1848 u. 1849 hinzugekommenen Erläuterungen u. Abänderungen sammt dem Wahlgesetze vom 5. April wird außer Wirksamkeit gesetzt; die kurfürstliche Regierung wird aufgefordert, eine dem Resultatder Berathung zwischen derselben u. den Bundescommissären entsprechende revidirte Verfassung nebst Wahlgesetz u. Geschäftsordnung alsbald als Gesetz zu publiciren. Sonach erschien unter dem 13. April die neue octroyirte Verfassung für Kurhessen (vgl. oben Geogr.). Sofort nach Erlaß derselben wurden die landständischen Beamten ihres Dienstes enthoben u. das ständische Archiv mußte von den darüber gesetzten Beamten an die Regierung ausgeliefert werden.

Durch Ausschreiben vom 15. April wurden die landständischen Wahlen angeordnet, worauf dann der Landtag auf den 30. Juni einberufen wurde. Die Eröffnung selbst aber verzögerte sich, da die Beschlußfähigkeit der ersten Kammer längere Zeit nicht zu Stande kam, die zweite Kammer aber durch Proteste gegen die Rechtsbeständigkeit der Verfassung u. durch Eidesverweigerungen sich selbst beschlußunfähig machte, u. erfolgte erst am 16. Juli durch den Kurfürsten persönlich. Die nächsten, bis zum Schlusse des Jahres durch öftere Vertagungen unterbrochenen Ständeverhandlungen bewegten sich vorzugsweise um finanzielle Fragen, neben dem Budget u. einem neuen Steuergesetz, um den Regierungsantrag auf die ständische Genehmigung zum Abschluß eines, durch das neuangewachsene Deficit (3,393,613 Thlr.) nothwendig gewordenen Anlehens von 11/2 Mill. Thalern u. wurde Ende August bewilligt. Die ganze bisherige Haltung auch dieses Landtages gab übrigens wenig Hoffnung auf Erlangung eines befriedigenden Einverständnisses mit der Regierung. Inzwischen währten die Strafmaßregeln der Regierung wegen des im Jahre 1850 gegen sie behaupteten Widerstandes auch in diesem Jahre fort; erst Ende Juli trat die Auflösung der Kriegsgerichte ein. In kirchlicher Beziehung wurde den Consistorien blos die Sorge für Erhaltung u. Verwendung der Kirchengüter, sowie das Recht des Vorschlags an das Ministerium bei Besetzung geistlicher Stellen, jedoch nur nach vorher eingeholtem Gutachten der Superintendenten, gelassen, alle übrigen Angelegenheiten dagegen den drei Landessuperintendenten zugewiesen. Daneben erregten die Versuche des Vorstandes im Cultusministerium, Vilmar, die Reformirte hessische Landeskirche in eine Lutherische umzuwandeln, eine allgemeine Mißbilligung im Lande. Die Befürchtungen wegen einer Auflösung des Zollvereins (Ende 1852) riefen auch hier Gesuche von mehreren der bedeutendsten Industriellen um die Erhaltung des Zollvereines an die Regierung hervor. Durch Verordnung vom 3. März 1853 wurde die Wiedervereinigung der durch die Märzgesetzgebung den Gemeinden übertragenen Localpolizei mit der Staatspolizei verfügt. Die bürgerliche Ehe war schon früher im Verordnungswege aufgehoben worden. Im Mai erfolgte eine allgemeine Aufhebung der Gesangvereine. Die Untersuchung gegen die Mitglieder der vormaligen Ständeversammlung wurde unausgesetzt betrieben, dagegen auch von den Prinzen der beiden Philippsthalschen Nebenlinien des Regentenhauses, sowohl in ihrer Eigenschaft als Glieder des fürstlichen Hauses, als auch in Beziehung auf den Inhalt der Verfassung, Zusammensetzung der Landstände, Wahlgesetz etc., bei der Bundesversammlung gegen die neue Verfassung Protest erhoben. Im Landtage nahm die zweite Kammer nach ihrem im Anfang April erfolgten Wiederzusammentritt bei den Budgetberathungen die Anträge der Regierung meist ohne Schwierigkeit an, u. namentlich erlangte der Antrag auf Negociruug eines Anlehens von 1,200,000 Thalern bei dem Hause Rothschild schließlich die Zustimmung beider Kammern. Um vieles weniger willfährig zeigte sich der Landtag nun aber nach seiner, auf den 9. October ausgeschriebenen Wiedereinberufung. Zwar erhielten endlich die Gemeindeordnung u. das Grundsteuergesetz, wenn auch modificirt, ebenso das Stempelgesetz die Zustimmung beider Kammern; dagegen wurde das Branntweinsteuergesetz, obgleich schon von der zweiten Kammer angenommen, von der ersten Kammer verworfen, u. wiederum lehnte die zweite Kammer das von der ersten genehmigte Jagdgesetz ab. Die wesentlichsten Schwierigkeiten erwuchsen jedoch erst mit dem Beginne der Berathungen über die octroyirte Verfassung. Da sich beide Kammern für mehrfache Abänderungen derselben aussprachen, u. ein Einverständniß mit der Regierung nicht erreicht werden konnte, so wurde der Landtag plötzlich am 4. Jan. 1854 für entlassen erklärt. Der hierbei vorbehalten gebliebene Landtagsabschied erschien am 9. Februar u. sprach sich dahin aus, daß die Kammern von der Regierung nur als berathende Körperschaften betrachtet würden u. daß dieselbe betreffs der Verfassung wie anderer Gegenstände das ihr angemessen Scheinende eintreten lassen werde. Das 1848 aufgehobene Jagdrecht auf fremdem Grund u. Boden wurde wieder hergestellt, das Budget nach der Vorlage der Regierung u. nur unter Andeutung der abweichenden Kammerbeschlüsse veröffentlicht, mehreren Druckereien die Concession entzogen (die ihnen jedoch im Mai 1855 zurückgegeben wurde) etc. Die Untersuchung gegen die Mitglieder der Ständeversammlung von 1850 wegen Steuerverweigerung, Hochverrath u. Majestätsbeleidigung war inzwischen von dem Criminalgericht zu Kassel fortgeführt worden u. endete am 31. Mai mit einer allgemeinen Entbindung von der Anklage. Zwar wurde gegen dieses Erkenntniß alsbald von der Staatsanwaltschaft der Recurs an den Criminalsenat des Obergerichts angemeldet, nachdem jedoch der Criminalsenat durch Erkenntniß vom 17. Febr. 1855 die Appellation als unbegründet zurückgewiesen,[336] die Staatsbehörde aber auch hiergegen die Nichtigkeitsbeschwerde erhoben hatte, wurde diese nun schließlich auch durch oberinstanzliche Entscheidung vom Criminalsenat des Oberappellationsgerichtes am 30. Juni für unbegründet erklärt. Durch Verordnung vom 19. Dec. wurde der Kriegszustand aufgehoben. Eine gleichzeitige Verordnung brachte eine Vollziehungsvorschrift zu dem bereits früher publicirten Bundespreßgesetz. In kirchlicher Beziehung währte der Streit zwischen den verschiedenen protestantischen Bekenntnissen fort, während sich die Regierung dem katholischen Bischof gegenüber mindestens zu einer Concession, der Gewährung der vollen Ausstattung für das Bisthum Fulda, herbeiließ. Wegen der vom Bunde angeordneten Kriegsbereitschaft wurden zu Anfange des Jahres die erforderlichen Erlasse u. Anordnungen veröffentlicht. Die Bonifaciusfeier wurde katholischer Seits auch im Kurfürstenthume (s. Hessen-Darmstadt) vom 5. bis 12. Juni mit außerordentlichem Pompe zu Fulda begangen. Dagegen fand die Bitte der evangelischen Geistlichkeit um Gestattung einer Bonifaciusfeier in der Evangelischen Kirche keine Genehmigung. Inzwischen hatten die Verhandlungen zwischen der Regierung u. dem Bundestage über die Verfassungsangelegenheit beständig fortgewährt. Am 26. Mai ordnete ein Ministerialschreiben neue landständische Wahlen an, u. die Regierung rief durch Ausschreiben vom 24. August die Stände auf den 4. Sept. ein. Da die früheren Kammermitglieder fast ohne Ausnahme wiedergewählt worden waren, so fielen die Präsidentenwahlen wieder auf Oppositionsmitglieder; doch erhielten sie die landesherrliche Bestätigung, wie die Regierung auch diesmal darauf einging, daß jede Beziehung auf die Verfassungsurkunde aus dem vorgeschriebenen Eide hinwegbleibe. Als nächste Aufgabe der am 19. Sept. eröffneten neuen Ständeversammlung wurde in der Thronrede die Entgegennahme der von der Regierung auf die zu den bisherigen landständischen Erklärungen über die Verfassung bei dem Bundestage eingereichten Eröffnungen, sowie die Berathung über die Beschaffung der Mittel für die Kriegsbereitschaft bezeichnet. Danach wurden beide Kammern, um den Ausschüssen Zeit zur Vorberathung der Entwürfe zu lassen, bereits am 29. Sept. wieder beurlaubt, während am 8. Oct. das gesammte Ministerium Hassenpflug zurücktrat. Die Geschäfte versahen nach der Entlassung des Ministeriums auf längere Zeit die interimistisch mit Verwaltung der Departements betrauten Referenten. Die Kammern blieben inzwischen vertagt; selbst die Ausschüsse wurden am 29. Oct. mit Ausnahme des Verfassungsausschusses, u. am 24. Dec. auch dieser noch beurlaubt. Der Schluß des Jahres brachte aber noch einige, theilweis wichtige Verordnungen, wie eine solche vom 15. Nov. über Reorganisation der Landgendarmerie, eine vom 6. Dec. gegen fremdes Papiergeld, bes. aber die vom 22. Nov. über die Aufhebung der im Jahre 1850 eingesetzten Rechnungscommission, deren Geschäfte nun an die Abtheilungen des Finanzministeriums für Domänen u. directe Steuern übergingen. Die Bildung des neuen Ministeriums vollendete sich in den ersten Monaten des Jahres 1856 nur sehr allmälig; v. Sternberg, dann aber Scheffer erhielt das Portefeuille des Innern, Wiederhold u. dann v. Hanstein-Knorn das der Finanzen, Rohde das der Justiz, v. Kaltenborn das des Kriegsministeriums, v. Meyer das des Äußern. Mit Befriedigung wurde die Verordnung der neuen Regierung vernommen, nach welcher die absolute Herrschaft der Superintendenten wieder beschränkt u. der Mittelpunkt der kirchlichen Gewalt in die Consistorien zurückverlegt wurde, wodurch dem reformirten Bekenntniß wieder eine freiere Bewegung gestattet wurde.

Bei den Verhandlungen über die Verfassungsangelegenheit zwischen den Ständen u. der Regierung handelte es sich hauptsächlich um die Regentschaftsfrage, um die Zusammensetzung der Kammern, ihre Wirksamkeit bei der Gesetzgebung u. beim Staatshaushalt, die Rechte der Mitglieder der Kammer, die Competenz der Gerichte u. die Gewähr der Verfassung. Wie nun hierüber eine Vereinbarung mit den im Sommer 1856 zusammenberufenen Ständen nicht zu Stande kam, einigte man sich auch nicht über wichtige Gesetzgebungsgegenstände, über Zusammenlegen der Grundstücke u. gegen deren Zersplitterung. Vom 5. Mai 1856 trat eine neue Organisation der Finanzverwaltung in's Leben (eine Oberfinanzkammer für die Domänen, ein Obersteuercollegium für die directen Steuern, eine Oberzolldirection für die indirecten Steuern, ein Oberforstcollegium für Forstwirthschaft, eine Oberberg- u. Salzwerksdirection für die Berg- u. Salzwerke), die aber eigentlich nur die Wiederherstellung der vor 1850 bestandenen Collegien war, deren Übelstände durch die Finanzeinrichtungen am Jahre 1850 hatte beseitigt werden sollen. Wegen des Baues einer Eisenbahn von Halle über Nordhausen nach Kassel, welche die Strecke zwischen Kassel u. Halle im Vergleich zur Thüringer Bahn um mehr als 10 Meilen abkürzt, wurde mit der preußischen Regierung lebhaft verhandelt. In dem Budget für die Jahre 1855–57 waren die Ausgaben zu 5,147,830 Thlr. jährlich veranschlagt, die Einnahme um 336,356 Thlr. weniger, ein Ausfall, der durch Erhöhung der Grundsteuer gedeckt werden sollte, während die Kammern größere Sparsamkeit im Staatshaushalte anriethen. Die politischen Processe gingen fort; die frühern Mitglieder des landständischen Ausschusses, Bayrhofer u. Kellner, beide schon 1852 u. 1853 in ihrer Abwesenheit zu Zuchthausstrafen verurtheilt, wurden (1857) wegen noch anderer politischen Vergehen zu fernern Strafen verurtheilt u. zugleich aufgefordert sich zur Verbüßung dieser Strafe zu stellen. Auch gegen die Hanauer Turner (s. oben) wurde, wegen ihrer Betheiligung am Badenschen Aufstande 1849, im September 1857 strafgerichtliches Verfahren eingeleitet, dieselben aber von den Geschwornen, als des Umsturzes der Verfassung im Kurfürstenthum H. nicht schuldig, freigesprochen. Dagegen ermäßigte die Regierung das unbedingte Verbot des Wanderns nach der Schweiz von Handwerksburschen dahin, daß die Erlaubniß dazu von der Bewilligung der Ortsobrigkeit abhängig gemacht wurde. Der von den meisten deutschen Staaten unter sich abgeschlossene Vertrag über das Münzwesen vom 24. Jan. 1857 wurde von der Ständeversammlung dieses Jahres genehmigt. Dieselbe wollte auch in den einzelnen Zweigen der Staatsausgaben Ersparung machen; allein die Regierung verwahrte sich dagegen, als habe die Ständeversammlung das Recht, jede einzelne Ausgabe zu[337] genehmigen; eine Genehmigung u. Bewilligung Seiten der Stände sei überhaupt nur dann erforderlich, wenn zur Deckung der Staatsausgaben eine Erhebung der bestehenden, od. die Einführung neuer Steuern nothwendig werde; sonst habe die Regierung freie Hand. In Bezug auf die Verfassungsangelegenheit hatten sich endlich nach mehreren Nachgiebigkeiten von Seiten der Regierung die beiden Kammern über die Erklärung verständigt, welche sie nach Maßgabe des Bundesbeschlusses am 27. März 1852 dem Bundestage vorzulegen hatte. Sie überreichte sie mit der Bitte, die Übersendung derselben an die Bundesversammlung zu bewirken, obgleich die Regierung noch keineswegs damit befriedigt war. Einer Regierungsvorlage wegen Beschaffung der Mittel zum Bau einer Eisenbahn von Bebra nach Schweinfurt (Rhönbahn) ertheilten die Stände ihre Zustimmung. Im Landtagsabschied (December 1857) behielt sich die Regierung ausdrücklich das Weitere in Bezug auf die Verfassungsangelegenheit vor u. sandte Abée als Bevollmächtigten (15. Juli 1858) mit sämmtlichem Material zur festzustellenden Verfassung an den Bundestag. Außerdem bereitete auch die Regelung der Rechtsverhältnisse der Standesherren der Regierung Verlegenheit, da diese sich mit den von derselben aufrecht erhaltenen Zuständen nicht beruhigen wollten, sondern Beschwerde führend an den Bundestag sich wandten. Im Jahre 1858 wurden den Mitgliedern der aufgehobenen Bürgerwehr die Waffen mit Ausnahme der Musketen zurückgegeben, ferner die polizeiliche Überwachung der Religionsübungen in Bezug auf die sogenannten Taufgesinnten aufgehoben, in Bezug auf andere sectirerische Religionsgesellschanen aber beibehalten. Auf der andern Seite wurde die Kirchenbuße der in der Anstalt zu Marburg niederkommenden Frauenzimmer, sowie statt der in neuerer Zeit gerichtlich angewandten Eidesformel die ältere feierlichere wieder eingeführt. Im Landrathsamt wurden die Söhne u. Töchter der Juden durch Auflage von Geldbuße od. Gefängnißstrafe gezwungen sich als Dienstboten zu vermiethen od. ein Handwerk zu wählen, da in der Verfassung von 1852 nicht die Bestimmung enthalten ist, daß Jeder seinen Beruf frei wählen kann. Eine landesherrliche Verordnung verbot den Verkehr mit sogenannten Promessen od. Zusicherungsscheinen in Bezug auf Anlehnloose, deren Zurückzahlung mit einer Prämienverloosung verbunden ist. Im Mai 1858 baten die Minister des Innern, Scheffer, des Kriegs, v. Kaltenborn, u. der Justiz u. Finanz, Rohde, um ihre Entlassung, nachdem die auch nach der Verfassung von 1852 schon im November 1857 einzuberufenden Stände nicht versammelt worden waren, was nunmehr im Juni geschah. Unter den Regierungsvorlagen befanden sich wieder das Verkoppelungsgesetz u. das Gesetz über Schluß u. Umsatz der Güter, sowie eine neue Vorlage über den Bau der Bahn von Bebra über Fulda nach Schweinfurt, jedoch zugleich mit von Fulda nach Hanau. Die Wahrnehmung, daß in jedem der 21 Landrathsämter jährlich sich 25–50 durch heimliche Auswanderung nach Amerika der Heerdienstpflicht entziehen, veranlaßten die Ausarbeitung eines Entwurfes über Erwerbung u. Verlust der Staatsangehörigkeit, wodurch die Auswanderungsfreiheit beschränkt werden sollte, der aber dennoch mit geringer Mehrheit von den Ständen angenommen wurde. Das Budget für die Jahre 1858–60 veranschlagte die Einnahme mit 15,300,840 Thlrn., die Ausgabe mit 15,205,620 Thlrn., mithin einen Überschuß von 95,220 Thlrn. in drei Jahren. Unter diesen Umständen lehnten die Stände die beantragte Gehaltserhöhung der Beamten ab u. riethen vielmehr an, durch Vereinfachung der Verwaltung Ersparnisse herbeizuführen. Das Gewicht des Deutschen Zollvereins wurde mit Zustimmung der Stände als Landesgewicht eingeführt. Die Regierung schlug auch die Einführung der deutschen Wechselordnung, jedoch mit Abänderungen, vor, auf welche die Kammern nicht eingingen. Der Entwurf eines Jagdstrafgesetzes wurde angenommen. Außerdem beantragten die Stände, daß die von der Regierung ohne Mitwirkung der Stände 1851 erlassenen provisorischen Gesetze ihnen noch nachträglich zur Berathung u. Genehmigung vorgelegt werden möchten. Zu den beim Bundestage schwebenden kurhessischen Fragen kam noch der Streit des Kurfürsten mit den Agnaten wegen eines ihnen zukommenden, aber vom Kurfürsten verweigerten Antheils an den Einkünften der heimgefallenen Rothenburger Herrschaft, weshalb diese beim Bundestage Klage einreichten. In Folge der von Frankreich angenommenen kriegerischen Haltung im Winter u. Frühjahr 1859 wurde auch in Kurhessen eifrig gerüstet. Die Kammern bewilligten einstimmig. die Mittel zur Beschaffung der für eine sofortige Mobilmachung des Heeres noch benöthigten Gegenstände, nebst einem Credit für eine etwa erst später eintretende Kriegsbereitschaft, u. genehmigte die Abänderung des Aushebungsgesetzes dahin, daß die Militärpflicht der drei Altersklassen auf weitere drei Monate ausgedehnt werde. Am 27. April wurde die Kriegsbereitschaft von der Regierung ausgesprochen. Aufsehn in ganz Deutschland erregte es, daß die Kurfürstliche Leih- u. Commerzbank ihre Zahlungen im Mai 1859 einstellte. Zu derselben Zeit erlangten endlich nach einer lange andauernden Ministerkrisis der Minister des Innern, Scheffer, u. der des Kriegs, v. Kaltenborn, ihre Entlassung. Der Kurfürst ernannte Staatsrath Rhode zum Finanzminister, den Präsident des Oberappellationsgerichtes Abée zum Justizminister, den Obrist von Ende zum Kriegsminister u. den Geheimenrath von Stiernberg zum Minister des Innern. Vgl. Wippermann, Kurhessen seit den Freiheitskriegen, Kassel 1850; Ötker, Minister Hassenpflug u. die kurhessische Volksvertretung, 1850; Gräfe, Der Verfassungskampf in Kurhessen, Lpz. 1851; Pfaff, Das Trauerspiel in Kurhessen, Braunschw. 1851; Röth, Geschichte von H.-Kassel, 1856 ff.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 8. Altenburg 1859, S. 328-338.
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