Wintzingerode

[277] Wintzingerode, ein altes, aus W. auf dem Eichsfelde stammendes, seit dem 14. Jahrh. bekanntes, in der preußischen Provinz Sachsen, in Hannover u. in Kurhessen begütertes, freiherrliches (mit Ausschluß des Hauses Auleben, aus welchem nur der dermalige Senioratsverweser Eberhard den Freiherrentitel führt) u. in seiner Freiherrenwürde 1830 im Königreich Preußen bestätigtes u. in einem Zweige 1794 in den Reichsgrafenstand erhobenes Geschlecht, welches sich seit 1668 durch Heinrich Jobst u. Hans Ernst, Söhne des 1665 verstorbenen Adolf Ernst u. der Hedwig von Veltheim in zwei Linien theilt: I. Ältere Linie zu Bodenstein, Stifter: 1) Heinrich Jobst, geb. 1628, war mainzischer Oberkammerherr, mit Anna Susanna geb. von Barby vermählt u. st. 1677; von den durch seine drei Urenkel gestifteten drei Häusern erlosch das Haus Tastungen 1835, worauf Tastungen an das Haus Bodenstein fiel; noch bestehen: A) das Haus Auleben, Gründer: 2) Hans Sigismund, Urenkel des Vor. u. zweiter Sohn des 1743 verstorbenen Georg Ludwig, geb. 1717, war hessen-kasselscher Major, mit Albertine von Einert vermählt u. st, 1771; jetziger Repräsentant: 3) Alfred, Urenkel des Vor. u. Sohn des 1863 verstorbenen Ernst, geb. 1820. B) Haus Bodenstein u. Tastungen, seit 1794 reichsgräflich, Gründer: 4) Achaz Philipp, jüngster Bruder von W. 2), geb. 1722, war königlich britannischer u. hannoverischer Major, mit Eleonore von W. aus dem Hause Ohmfeld vermählt u. st. 1758. 5) Graf Georg Ernst Levin, Sohn des Vor., geb. 27. Nov. 1752, diente erst als Offizier in Hessen, wurde dann kurkölnischer Kämmerer u. 1794 in den Reichsgrafenstand erhoben; er trat dann in württembergische Dienste u. wurde 1801 Minister des Auswärtigen u. 1806 erster Minister u. Ordenskanzler, in welcher Stellung er sich um das Land sehr verdient machte (s. Württemberg, Gesch.). Unter König Wilhelm nahm er 1816 seine Entlassung, war 1820–25 württembergischer Gesandter in Berlin, Dresden. Hannover u. Kassel, lebte von 1825 an abwechselnd in Gotha u. auf seinem Schlosse Bodenstein im Eichsfeld u. st. 24. Oct. 1834. 6) Graf Heinrich Levin Friedrich Karl, Sohn des Vor., geb. 16. Oct. 1778, war württembergischer Gesandter in Karlsruhe, München, Paris, Petersburg u. Wien, so wie 1814 u. 1815 im Hauptquartier der Alliirten, dann württembergischer Staatsminister u. war als solcher 1820 auf dem Congresse zu Wien, wo er sich als Schützer der liberalen Grundsätze zeigte. Später zog er sich von den Geschäften auf das Schloß Bodenstein zurück u. st. daselbst 15 Sept. 1856. Jetziger Chef: 7) Graf Wilko, Sohn des Vor. aus der zweiten Ehe mit Äone von Hagen, geb. 12. Juli 1833, ist Lieutenant in einem Landwehrulanenregiment u. seit 1859 vermählt mit Marie geb. Gräfin von Keller. II. Jüngere Linie zu Adelsborn, Stifter: 8) Haus Ernst, Bruder von W. 1), geb. 1630, war gräflich Stolbergscher Oberhofmeister, erst mit Anna Marie von der Borch u. dann mit Dorothea von Mandelsloh vermählt u. st. 1690. Von den von seinen vier Söhnen gestifteten Linien starben die älteste, Tilleda, 1786, die zweite, Adelsborn, 1844 u. die dritte, älteres Haus Wehnda, 1776 aus u. besteht noch die Linie zu Ohmfeld, Stifter: 9) Wasmuth Levin, jüngster Sohn des Vor., geb. 1671, war holländischer, auch baierischer u. mainzischer General u. st. 1752; seine zwei Söhne theilten die Linie: A) Speciallinie Ohmfeld, Stifter: 10) Freiherr Wilhelm Levin, älterer Sohn des Vor., geb. 1738, war preußischer u. hessen-kasselscher Oberst u. Oberstallmeister des Herzogs Ferdinand Karl von Braunschweig, vermählt mit Eleonore von W. aus dem Hause Adelsborn u. st. 1781; jetziger Chef: 11) Freiherr Friedrich, Enkel des Vor. u. Sohn des 1813 verstorbenen Freiherrn Levin, geb. 25. Aug. 1799 in Hanau, war 1848–1851 nassauischer Staatsminister u. ist jetzt preußischer Oberpräsident der Provinz Brandenburg in Potsdam. 12) Freiherr Heinrich, Bruder des Vor., geb. 19. Nov. 1806, war herzoglich nassauischer Landespräsident in Wiesbaden, wurde Novbr. 1863 krankheitshalber beurlaubt u. st. 21. März 1864 in der Kaltwasserheilanstalt zu Gräfenberg. 13) Freiherr Ferdinand, Oheim der Vor. u. zweiter Sohn von W. 10), geb. 15. Febr. 1770, trat erst in hessische u. 1790 in österreichische u. 1792 wieder in hessische Dienste, wohnte dem Feldzug am Rhein 1793 bei u. ging dann abermals in österreichische Dienste; nach dem Frieden von Campo Formio trat er als Major in russische Dienste, doch machte er mit kaiserlicher Erlaubniß den Feldzug von 1799 als Freiwilliger bei der österreichischen Armee mit, wo er sich bei Stockach auszeichnete. 1802 wurde er Generalmajor u. Generaladjutant des Kaisers Alexander, ging im Juni 1805 als Gesandter nach Berlin, um Preußen zur Allianz gegen Frankreich zu bewegen, u. dann nach Wien, wo er den Coalitionsvertrag zwischen Österreich u. Rußland abschloß. Er zeichnete sich bei Dürrenstein aus u. war bei Austerlitz in der Umgebung des Kaisers Alexander, wo er mit Mühe der Gefangenschaft entging. Während des Feldzuges von 1809 trat er nochmals in österreichische Dienste u. wurde bei Aspern Feldmarschalllieutenant. 1812 trat er als Generallieutenant wieder in russische Dienste u. commandirte ein leichtes Corps, mit welchem er, bei Napoleons Abzug aus Moskau, am 22. Oct. zuerst in Moskau eindrang u. da er sich zu weit vorwagte, mit seinem Adjutanten[277] gefangen wurde. Auf dem Transport nach Kassel, wo Kriegsgericht über ihn gehalten werden sollte, wurde er zwischen Minsk u. Wilna durch Tschernyschews Kosacken befreit. Während des Feldzuges von 1813 wohnte er den Schlachten bei Kalisch u. Lützen bei u. nach dem Waffenstillstand erhielt er das Commando über ein Corps der Nordarmee, mit welchem er sich bes. bei Leipzig hervorthat. In Frankreich zeichnete er sich bei Soissons aus, u. als die alliirte Armee gegen Paris vordrang, erhielt er den Auftrag Napoleon mit 8000 Reitern zu folgen u. ihm den Marsch des Hauptheeres zu verdecken. W. wurde aber am 27. März bei Dizier von Napoleon angegriffen, geschlagen u. zum Rückzuge nach Bar le Duc u. Chalons genöthigt. Er st. 17. Juni 1818 in Wiesbaden. 14) Freiherr Ferdinand, Sohn des Vor., geb. 24. Juni 1809, ist russischer Generallieutenant u. Commandeur der zweiten Gardecavalleriedivision, auch Mitglied verschiedener Commissionen. B) Speciallinie Wehnda, Stifter: 15) Freiherr August Johann Friedrich, jüngerer Sohn von W. 9), geb. 1744, war hessen-kasselscher Oberlandforstmeister u. Kriegsrath, mit Luise von Kaufberg vermählt u. st. 1792; seine beiden Söhne gründeten das Haus Wintzingerode u. das Haus Adelsborn u. Wehnda des Jüngeren Astes Wintzingerode: a) Haus Wintzingerode, Gründer: 16) Karl Wasmuth, älterer Sohn des Vor., geb. 1772, war preußischer Geheimrath u. Oberlandforstmeister, mit Henriette geb. von Retzow vermählt u. st. 1830; jetziger Chef: 17) Freiherr August, Sohn des Vor., geb. 1801 in Wehnda, ist preußischer Oberforstmeister u. Regierungsrath; sein älterer Sohn Walther ist 1837 geboren. b) Haus Adelsborn u. Wehnda, Gründer: 18) Freiherr Wilhelm, jüngerer Sohn von W. 15), geb. 1782, war hessen-kasselscher Oberforstmeister, mit Marie geb. von Haynau vermählt u. st. 1819; jetziger Chef: 19) Freiherr Wilhelm, Sohn des Vor., geb. 1806, ist preußischer Landrath a. D. u. Mitglied des preußischen Herrenhauses auf Lebenszeit; sein ältester Sohn Levin ist 1830 geboren.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 19. Altenburg 1865, S. 277-278.
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