Kirgisen

Kirgisen

[609] Kirgisen (die), ein Nomadenvolk, das in den Steppen des mittlern und nördl. Turkestan, östl. vom Uralflusse und dem kaspischen See bis zum Issi-Kul, einem See im chinesischen Reiche, umherstreift, zerfällt in die Buruts oder östlichen und die Kasacks oder westlichen Kirgisen.

Ihr Land besteht zumeist aus offenen trockenen Flächen; der Boden ist mit Salztheilen geschwängert; an Wald und Ackerland ist völliger Mangel, weshalb Dünger und dürres Rohr als Feuerungsmittel dienen. Dagegen aber sind eine Menge Weidestrecken vorhanden, welche für Pferde, Kameele, Schafe, Ziegen und Rindvieh nahrhaftes Futter liefern. Die Kirgisen bilden drei voneinander völlig unabhängige Horden, die kleine im westl., die mittlere im nördl. und die große Horde im östl. Theile des Landes, das im Ganzen einen Flächeninhalt von mehr als 30,000 ! M. einnimmt. Die beiden erstern Horden erkennen schon seit 1731 die Oberhoheit des Kaisers von Rußland an, die letztere aber hat sich erst 1819 dazu verstanden. Sie leisten den Eid der Treue, sind aber nicht russ. Unterthanen, zahlen auch keinen Tribut. Dagegen erhalten ihre Khane von Rußland sowol als theilweise von China, weil eine Anzahl Kirgisen auch innerhalb der Grenzen dieses Reiches umherzieht, Geschenke; auch müssen ihnen die von und nach Buchara, Taschkend und Chiwa handelnden Kaufleute, wenn sie die Karavanen nicht geplündert sehen wollen, eine gewisse Abgabe entrichten. Jeder Kirgise blickt auf alle Menschen, die feste Wohnsitze haben, mit Geringschätzung herab, weil er sich das Haus als ein Gefängniß vorstellt. Er wohnt in beweglichen Jurten und zieht mit seiner Heerde immer dahin, wo er Futter für sein Vieh findet. Ackerbau treibt Niemand, Hauptnahrung ist Fleisch und Milch; Fischfang und Jagd werden nur aus Liebhaberei getrieben; doch sind die Kirgisen in der letztern sehr erfahren und verstehen den Goldfalken (Berkut) vortrefflich abzurichten. Ihr ganzer Reichthum besteht in den Viehheerden; es gibt, namentlich in der mittlern Horde, einzelne Männer, die 10,000 Pferde, 300 Kameele, 400 Stück Hornvieh, 20,000 Schafe und 1000 Ziegen besitzen. Ein bedeutender Handelsartikel sind Schaf- und Lämmerfelle, welche in Orenburg, dem Haupthandelsplatze mit diesem Volke, sehr gesucht werden. Auch eine beträchtliche Menge von Pelzwerk geht dorthin, weil die Steppe reich an Wild ist. Die Russen liefern für jene Artikel alle Waaren, deren die Kirgisen bedürfen; denn. Handwerker, Schmiede ausgenommen, haben sie nicht. Sie bekennen sich zu Mohammed's Lehre und reden eine türkische Mundart. Der Kirgise bewohnt ein im Winter kaltes, dürres Land, über das eisige Nordwinde hinstreichen, während im Sommer die Hitze oft beinahe unerträglich wird. Bedienen läßt er sich von Sklaven; denn jeder Kriegsgefangene fällt der Sklaverei anheim. Alle freien Leute haben gleiche Rechte mit einander; erbliche Privilegien und Würden werden nicht anerkannt; streitige Fälle werden nach dem Koran, altem Herkommen und Billigkeit entschieden. Großen Einfluß haben die Familienältesten, sodann die Anführer, welche von den jungen Kriegern erwählt worden sind. Die Khane der einzelnen Horden sind daher keineswegs unumschränkt, und hängen von dem Rathe der Ältesten und der öffentlichen Meinung ab. Charakteristische Eigenschaften dieses Volkes, das mehr [609] als drei Mill. Seelen zählt, sind Raublust, Stolz, Wollust, aber auch Gastfreiheit, Tapferkeit und ein sehr zuvorkommendes Wesen; Blutdurst kennen sie nicht. Ihre Gesichtsbildung ist angenehm, ihr Körperbau kräftig. Die kleine Horde besteht aus 150,000, die mittlere, welche die stärkste ist, aus 160,000 Familien, und die große Horde kann etwa 10–15,000 streitbare Männer ins Feld stellen.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 609-610.
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