Thomas von Aquino

[419] Thomas von Aquīno, einer der ausgezeichnetsten Philosophen und Theologen des Mittelalters, stammte aus dem Geschlechte der Grafen von Aquino und wurde 1224 auf dem Schlosse Roccasicca im Neapolitanischen geboren. Er studirte, nachdem er von seinem fünften Jahre an von den Mönchen auf Monte Casino erzogen worden war, zu Neapel die Philosophie und trat dann ohne Vorwissen und gegen den Willen seiner Ältern 1243 in den Dominikanerorden. Da er auf die Vorstellungen seiner Ältern das Kloster nicht wieder verließ und der Orden ihn gegen Nachstellungen nicht sicher genug glaubte, so wollte er ihn nach Frankreich bringen lassen, aber diese Flucht wurde von zweien seiner Brüder vereitelt, die Thomas auf dem Wege auflauerten und ihn mit Gewalt in das väterliche Haus zurückbrachten. Nach einer zweijährigen Gefangenschaft bei den Seinen flüchtete T., abermals von den Dominikanern unterstützt, nach Frankreich, wo er sich einige Zeit zu Paris aufhielt. Nachher widmete er sich in einem Kloster zu Köln unter der Leitung des berühmten Scholastikers Albertus des Großen mit dem größten Eifer dem Studium der Aristotelischen Philosophie. Seine Mitschüler nannten ihn wegen des Schweigens, womit er seine Studien betrieb, einen stummen Ochsen; aber Albertus sagte von ihm: dieser Ochs wird einst mit seinem Gebrüll die Welt erfüllen. Im J. 1255 wurde er als öffentlicher Lehrer der h. Schrift nach Paris berufen, wo er durch seine Lehrvorträge die größte Berühmtheit erlangte. Im J. 1261 rief ihn Urban IV. nach Italien und in dessen Auftrage setzte er zu Rom, Bologna und Pisa seine akademische Wirksamkeit fort, und von seinem Orden wurde er zum Definitor der röm. Provinz ernannt. Zuletzt zog er sich in das Dominikanerkloster zu Neapel zurück und lehnte zur ungestörten Fortsetzung seiner Studien und theologischen Vorträge das Erzbisthum seines Vaterlandes ab. Er wollte 1274 die Kirchenversammlung zu Lyon besuchen, um daselbst den Vätern sein auf den Befehl des Papstes verfaßtes Buch »Gegen die Irrthümer der griech. Kirche« vorzulegen, als er auf dem Wege dahin in dem Cistercienserkloster Fossa nuova starb. Es herrscht der nicht ungegründete Verdacht, daß er auf Anstiften Karl I. von Sicilien vergiftet worden sei, um den schlimmen Zeugnissen zuvorzukommen, die er von ihm vor dem Papste abzulegen bereit war. T. erwarb sich besonders um die röm. Kirche das große Verdienst, daß er den Lehren derselben einen festern Zusammenhalt gab und sie nach vielen Seiten hin vervollständigte. Obgleich ihm als Philosoph wegen seines Tiefsinns, seiner Klarheit und edeln Begeisterung der höchste Ruhm gebührt, so ist seine Forschung dennoch in den Lehrsätzen der Kirche befangen, die er mit der Lehre des Aristoteles, Platon und Augustinus auf das innigste zu verbinden suchte. Die Lehren von einem überflüssigen Schatze der guten Werke, vom Ablasse und den Indulgenzen, von der Entbehrlichkeit des Kelches im Abendmahle für die Laien, der Transsubstantiation, der Verehrung der Hostie verdanken ihm die Aufnahme in den kirchlichen Lehrbegriff; auch wurde zuerst von ihm christliche Sittenlehre philosophisch behandelt, wodurch er sich den Ehrennamen »Vater der Moral« erwarb. Unter seinen Schriften galt seine »Summa Theologiae«, ein erläuternder Commentar zu den Lehrsätzen des Petrus Lombardus, seinem Orden als die höchste Entwickelung christlicher Wissenschaft, der Kirche nach kurzem Schwanken als ein Werk, dessen Christus selbst sich erfreue. Sein entscheidendes [419] Ansehen in der Kirche verschaffte ihm den Beinamen »Allgemeiner, oder auch englischer Lehrer«; wegen seiner Erhabenheit nannte man ihn den »Adler der Theologen«, wegen seines Scharfsinns den »Maulwurf der Scholastiker«. Der apostolische Stuhl suchte sein Verdienst dadurch zu ehren, daß er ihn den vier großen Lehrern der Christenheit, Ambrosius, Augustinus, Hieronymus und Gregor dem Großen, als den fünften beizählte und ihn unter die Zahl der Heiligen versetzte, als welchem der 7. März ihm als Festtag geweiht ist. – Die theologische Partei der Thomisten bilden die Freunde und Anhänger des h. Thomas, meist Dominikaner und als Gegner der Scotisten. Franziskaner, besonders durch den Streit über die unbefleckte Empfängniß der Maria merkwürdig, indem diese dieselbe vertheidigten, jene dagegen leugneten. Der Streit wurde lange Zeit mit vieler Heftigkeit geführt, bis endlich die Kirche in demselben den Franziskanern beistimmte, was dem Kirchenfeste der Jungfrau Maria und dem überall, wo Franziskaner sind, bis zur Übertreibung herrschenden Mariendienste das Entstehen gab.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 419-420.
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