Thomas von Aquino

[466] Thomas von Aquino, der heilige, vielleicht der größte Kirchenlehrer des Mittelalters, schon von seinen Zeitgenossen als Doctor universalis (Weltdoctor) u. wegen seiner engelgleichen Reinheit auch als Doctor angelicus (engelgleicher Lehrer, Engel der Schule) verehrt, 1567 durch Papst Pius V. feierlich als Doctor ecclesiae (Lehrer der Kirche) proclamirt, geb. 1226 oder 1227 im Schlosse Roccasecca im heutigen Königreich Neapel; er war der Sohn eines Grafen von Aquino und mit den Hohenstaufen verwandt, indem sein Großvater eine Schwester des Kaisers Friedrich Barbarossa zur Gemahlin gehabt hatte. Vom 5. Jahre an wurde T. in Monte-Casino erzogen und konnte bereits mit 11 Jahren die Universität Neapel beziehen, an welche Kaiser Friedrich II. die berühmtesten Lehrer berufen hatte. Mitten in der größten Sittenverwilderung blieb der Jüngling rein, fühlte sich aber zum Klosterleben berufen und trat 1243 plötzlich in den Dominikanerorden. Aus Furcht, seine Familie könnte ihn zurückverlangen, verweigerte man seiner Mutter den Zutritt zu ihm, [466] brachte ihn nach Rom und suchte ihn von da nach Paris zu bringen, aber auf der Reise wurde T. von seinen 2 im Heere des Kaisers dienenden Brüdern aufgefangen und mußte nach Roccasecca zurück. Hier ward er in förmlicher Hast gehalten und erduldete viele Widerwärtigkeiten, bis ihm 1245 mit Hilfe seiner Schwestern und wohl auch im Einverständniß mit der Mutter die Flucht gelang. Noch 1245 sandte ihn das Generalcapitel seines Ordens zum berühmtesten Lehrer der damaligen Zeit, zu dem in Köln lebenden Albertus Magnus (s. d.), den er nach Paris begleitete, wo er Vorlesungen hatten mußte u. der ihn nach der Rückkehr nach Köln 1248 zu seinem magister studiorum (Gehilfen im Lehramte) machte. Kaum war der 251. T. zum Priester geweiht, so zeigte er sich sofort auch als ausgezeichneter Prediger, nachdem er als Lehrer u. Schriftsteller bereits Ruhm geärntet. 1251 wurde er in Paris Baccalaureus und durfte ausnahmsweise sogleich mit Vorlesungen über die Sentenzen des Lombarden beginnen. Sein Erfolg soll beispiellos gewesen sein; 1255 vertheidigte er im Auftrage des Papstes mit Glück die Bettelorden gegen Angriffe, deren Wortführer Wilhelm von St. Amour geworden war durch die Behauptung: Bettelmönche hätten nicht nur kein Recht auf die Lehrstühle der Pariser Universität, sondern überhaupt kein Recht zum Existieren, weil Arbeit des Menschen Loos u. Pflicht, das Betteln dagegen eine Unsittlichkeit sei. Gleichzeitig mit seinem Freunde Bonaventura (s. d.) schrieb T. für den Raymund von Pennaforte, der hochbetagt sich der Bekehrung der Mauren und Juden Spaniens widmete, ein Meisterwerk, nämlich die summa contra gentiles; 1261 nach Rom berufen, schlug er den Purpur aus, nahm aber die Stelle als magister palatii an, weil sie ihm Gelegenheit darbot, stets um den Papst Urban IV. sein zu können, der aber schon 1264 st. Sein Nachfolger Clemens IV. (1264–1268) ernannte den T. sofort zum Erzbischof von Neapel, dieser schlug jedoch auch diese Stelle aus und schrieb zu Bologna an seiner weltberühmten Summa theologiae, lehrte durch Ludwig IX. bewogen 1269–1271 abermals in Paris, dann auf Befehl des Generalcapitels zu Neapel, st. aber schon am 7. März 1274 auf der Reise zum Concil in Lyon in der Cistercienserabtei Fossanuova. Sofort als Heiliger verehrt, wurde er 1323 wirklich canonisirt, der 7. März sein Gedächtnißtag; um seine Ueberreste entstanden langwierige Streitigkeiten, die 1368 zuletzt der Papst entschied. Sein Leib kam nach Toulouse, ein Arm in das Kloster St. Jacob zu Paris, den andern hatten die Anverwandten des Heiligen in der Heimath zurückbehalten. T. war ein ebenso genialer als fruchtbarer theolog. Schriftsteller, seine Werke füllen in der Pariser Gesammtausgabe nicht weniger als 23 Folianten u. 1842 lieferte Ferrari noch Ungedrucktes nach. Weder von Neuplatonismus noch von Pantheismus oder auch nur von einem »eigenen System« konnte bei ihm die Rede sein, sondern seine Werke sind eben das in systematische Form gebrachte, erklärte u. auf die scharfsinnigste Weise begründete Bewußtsein der Kirche selber. Als die berühmtesten erwähnen wir: einen Commentar zu den Sentenzen; die Summa contra gentiles, worin er die Mysterien der Religion (Trinität, Incarnation u. Erbsünde, Sacramente, Auferstehung der Leiber, das Gericht gleich nach dem Tode, Fegfeuer, letztes Gericht, Zustand der Welt nach dem jüngsten Tag) lediglich vertheidiget, die der menschlichen Vernunft aber vollkommen faßbaren übrigen Glaubenswahrheiten als vernunftgemäß nachgewiesen haben will u. Beides wirklich thut; eine Schrift wider die Irrthümer der Griechen, durch welche auch er die Vereinigung der morgenländischen und abendländischen Kirche anzubahnen strebte; seine Catena aurea (s. catenae patrum), die neuestens Oischinger ins Deutsche übertrug (Regensb. 1846 ff.); das Officium zum Frohnleichnamsfest, wohl die bekannteste von all seinen Schriften, dann sein unvergängliches Hauptwerk, die Summa theologiae, die vollständigste u. treueste Vertretung der Theologie, welche dieselbe als Universalwissenschaft während des Mittelalters[467] gefunden hat; die letzte seiner zahlreichen Schriften war ein Commentar zum hohen Lied. Weil T. als Hauptlehrer der Christenheit gegolten, war es natürlich, daß die meisten Theologen Thomisten waren, bis Duns Scotus (s. d.) auftrat u. denselben seine Scotisten entgegenstellte, der Gegensatz zwischen beiden wurde allmälig bestimmt u. scharf u. trat äußerlich auch darin hervor, daß die Dominikaner Thomisten, die Franciskaner aber Scotisten blieben. Die erste vollständige Lebensbeschreibung des Heiligen lieferte sein Zeitgenosse u. Ordensbruder Guillaume de Thou, dieselbe ist mit den Canonisationsacten die Hauptquelle für die zahlreichen Lebensbeschreibungen geworden, die jedes Jahrhundert lieferte u. von denen die neuesten Tholuk (1842), Delécluze (1841), Carle (1846), Bareille (1846), Harry Hörtel (Augsb. 1846) und Hampden (London 1848) verfaßten.

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Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1857, Band 5, S. 466-468.
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