Typhon

[505] Typhon hieß eine Gottheit der alten Ägypter, in der sie sich zunächst alles Schädliche und Feindliche personificirt dachten, was die Natur für sie hatte, wie z.B. vorzugsweise den aus der Wüste her wehenden, Alles verdorrenden Samum. Die Fabelgeschichte nennt ihn den Bruder des gütigen Königs Osiris (s.d.), aber auch zugleich dessen erbitterten Feind. Als Osiris von seiner Reise durch die Länder der Erde zurückkehrte, ward er vom T. überfallen und ermordet, des Osiris Sohn Horus aber, welchem T. die Thronfolge streitig machen wollte, besiegte diesen, nahm ihn gefangen und übergab ihn seiner Mutter Isis, die ihn jedoch freiließ. Horus fuhr aber fort, ihn zu bekämpfen und T. kam endlich in einer Schlacht gegen ihn um. Was von den Ägyptern gefürchtet oder verabscheut wurde, das Krokodil, das Flußpferd, der rothe Esel, waren dem T. gewidmet, der auch in den Hieroglyphen mit dem Esel oder gebundenen Nilpferde bezeichnet ward. Auch die sogenannten Meerzwiebeln waren ihm gewidmet und wurden deshalb nicht genossen; der Schaum des Meeres hieß sein Geifer, und alle Landplagen wurden auf ihn zurückgeführt. Um seine Feindschaft abzuwenden, ward er in besondern, davon Typhonia genannten Räumen einzelner Tempel verehrt und man opferte an dunkeln Orten unter Verwünschungen ihm geweihte Thiere, um eingebrochene Landplagen aufhören zu machen. Die Quelle dieser ägypt. Fabel vom T. hat man im südl. Asien gesucht, gleich der vom Typhon, Typhaon und Typhos der griech. Mythologie, dem furchtbarsten Ungeheuer derselben, welches die Erde vom Tartarus geboren haben sollte, um die Besiegung der Titanen und Giganten an Jupiter zu rächen. Dieser T. ward als ein furchtbarer Riese geschildert, dessen Haupt bis an die Sterne reichte und dessen Rachen Feuer spie; seine Hände und der Unterkörper gingen in Schlangen oder Drachen aus, und zur Gattin gibt man ihm die Echidna, Tochter des Meergottes Phorkys, welche oberhalb eine schöne Jungfrau, unten aber eine ungeheuere Schlange war, rohes Fleisch fraß und nicht alterte. Beide sollen den Cerberus, die Gorgonen, die Chimära, die Sphinx und andere Ungeheuer zu Kindern gehabt haben. T. stritt mit Jupiter um die Oberherrschaft und drang so ungestüm und obgleich Jener fortwährend Blitze nach ihm schleuderte, gegen den Olymp an, daß die Götter nach Ägypten flohen und dort sich in Thiere, z.B. Bacchus in einen Ziegenbock, Apollo in einen Raben, Juno in eine Kuh, Jupiter selbst auf einige Zeit in einen Widder verwandelten. Der Letztere fuhr jedoch fort, den T. zu bekämpfen und trieb ihn endlich mit seiner diamantenen Sichel in die Flucht. Bei der Verfolgung aber wurden Beide am Berge Kasios in Syrien handgemein, und T. umwickelte den Jupiter mit seinen Schlangenschwänzen, überwältigte ihn und wand ihm die gefürchtete Sichel aus den Händen. Dann schnitt er ihm die Sehnen an Händen und Füßen aus, trug den gelähmten König der Götter nach Sicilien, barg ihn in der korycischen Höhle, wickelte die Sehnen in eine Bärenhaut und ließ ihn vom Drachen Delphyne bewachen. Ägipan und Mercur befreiten aber den Jupiter, setzten ihm die Sehnen wieder ein, und sobald er geheilt war, verfolgte er den T. von neuem. Dieser ward auf der Flucht von den Parzen aufgehalten, von Jupiter's Blitzen endlich niedergedonnert und von ihm unter dem Ätna begraben. Die Ausleger dieser Fabel haben theils das Sinnbildliche für Erdbeben, Vulkane, Stürme und andere verheerende Naturerscheinungen, theils die sinnbildliche Schilderung des Kampfs eines Empörers gegen seinen rechtmäßigen Gebieter darin finden wollen. – Schon die Alten nannten Typhon einen plötzlich losbrechenden, heftigen Sturm und Wirbelwind, und jetzt legt man diesen Namen vorzüglich den in den chines. und japan. Meeren den Schiffen gefährlich [505] werdenden. plötzlich entstehenden Windstößen und Stürmen bei, während welcher der Wind sich schnell durch alle Weltgegenden dreht und zuweilen senkrecht von oben zu kommen scheint.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 505-506.
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