Guatemala

[67] Guatemala, das Paradies von Amerika, in welchem sich alle Reize der tropischen Länder in höchster Vollendung entfalten, ein Land der Wunder, übersäet von Ruinen erstaunenswürdiger Werke, gleich denen von Aegypten und Indus, und wie es seit uralten Zeiten seine eignen Bewohner nennen: Teo-Chiaga, d. i. göttliches Land. Alle Reiche der Natur scheinen sich hier erschöpfen zu wollen und schmücken den wuchernden Boden mit eigenthümlicher Pracht. Und in der Mitte dieser Herrlichkeiten liegt Neu-Guatemala, die Hauptstadt der Republik der vereinigten Staaten von Mittelamerika, nicht weit vom stillen Ocean, am Fl. Bakas in einem der reichsten und üppigsten Thäler, wiewohl seine Lage durch Krieg und heftige Erdbeben öfters verändert wurde. In einer Höhe von 5000 Fuß trinkt es den Aether eines wonnevollen Klima's und genießt eines ewigen Frühlings, während 4 Meilen von der Stadt der 15,000 Fuß hohe Wasservulkan und die benachbarten Anden von Eis starren und die Tiefe fruchtbarer, überreich prangender Thäler die senkrecht herabfallenden Gluthen der Sonne empfängt. Die hierdurch verursachte Verschiedenheit des Klima's versieht die Stadt mit den Produkten aller Länder der Erde. Guatemala hat 50,000 Ew., ist prächtig gebaut, wiewohl mit Ausnahme der Kirchen alle Wohnungen, wegen der häufigen Erdstöße, nur ein Stock hoch sind. Die weißen und schönen Gebäude[67] sind mit rothen Ziegeln gedeckt, mit Gärten, Höfen und Altanen umgeben, mit Blumen, Orangen, und tropischen Prachtpflanzen geschmückt. Der Marktplatz ist 450 F. lang wie breit und mit Hallen umgeben. 40 Kirchen, die gelungensten Werke der Baukunst, schmücken die Stadt, welche außerdem eine Universität, Bibliothek, Museum und Kunstakademie, eine prächtig erbaute Münze, den erzbischöflichen Palast und ein Zollhaus besitzt. Der schnellauffassende und erfinderische Sinn der Bewohner stehet in Wissenschaft, Kunst und Industrie den Hauptstadten Europa's nichts nach. Im Modelliren, in Musik und plastischer Kunst übertreffen sie alle civilisirten Bewohner Amerika's. Die dortigen Fabriken in Baumwolle, Mousselin, Gaze und Fayence liefern den Bedarf für die ganze Republik. Der hohe Wuchs und die seltene Schönheit der Frauen ist eben so berühmt, wie die mühsamen Stickereien, Kleidungen, Federgemälde und künstlichen Blumen, welche sie verfertigen. Sie sind heiter, gesellig, gastfrei, mildthätig und besitzen eine Gewandtheit des Geistes, die sie zu den angenehmsten Gesellschafterinnen macht. Sie kleiden sich malerisch und Männer wie Frauen gleich. Ihr Anzug besteht aus einem baumwollenen Hemd und weiten, mit Franzen besetzten Beinkleidern, über welche andere bis an die Knie herab reichen; ledernen Sandalen und farbigen Gürteln; ein weißer Mantel bildet den Ueberwurf. Außerdem sind sie gute Hausfrauen, erziehen ihre Kinder mit Sorgfalt und halten eheliche Treue für unverletzlich.

K.

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Damen Conversations Lexikon, Band 5. [o.O.] 1835, S. 67-68.
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