Ragnarokr (Mythologie)

[337] Ragnarokr (Mythologie), in der scandinavischen Mythenlehre die große Götterdämmerung, das Weltende, welches dem herrschenden Göttergeschlecht, den Asen, den Untergang bereitet, aus dem aber, wenn die ringenden Weltkräfte ausgetobt, ein neuer Himmel und ein neues seliges Geschlecht aus wenigen Geretteten hervorblüht. Alte[337] Weissagungen erfüllen mit Grauen die Götter, und also ist der Weltuntergang verkündet worden: Ein Winter kommt, Fimbulweter geheißen, welcher drei Winter lang anhält, ohne Sommer dazwischen; da fällt unendlicher Schnee, Stürme brausen, Frost herrscht, und das Menschengeschlecht wüthet mit Vernichtungskriegen gegen sich selbst, das Böse herrscht, die Sonne erblindet, bis sie endlich von dem Wolf Skoll verschlungen wird, während der Wolf Hati den Mond verschlingt. Nun wird es ganz finster in der Welt, die Sterne erlöschen, die Erde bebt und zittert, der große Wolf Fenrir sprengt seine Ketten, die Midgardsschlange peitscht das Meer, daß es aus seinen Ufern schwillt, und auf dem Leichenschiff Nagelfähre, aus Menschennägeln gemacht, kommt verderblich der Eisriese Hrimer gefahren. Fenrir sperrt dem Rachen auf von der Erde bis zum Himmel, und speit Feuer, während der Midgardwurm einen Giftstrom aus dem Rachen gießt. Der Himmel berstet, und von der Feuerwelt Muspelheim reiten, von Surtur geführt, die Feuerriesen heran, über die Bifrostbrücke, welche unter ihren Rossen zusammenbricht. Sie eilen zur Ebene Vigrid, um mit den Hrimthursen, dem Wolf, der Schlange und dem verderblichen Asen Loke gemeinschaftliche Sache zu machen. Während sich so die Asenfeinde sammeln und das Verderben ehernen Schrittes herannaht, stößt Heimdal, der Himmelswächter, in sein Schallhorn, daß der Himmel zittert und die Weltesche Ygdrasil bis in die Wurzeln erbebt. Odin steigt zum Weisheitborn des Mimer, und wappnet sich dann. Goldgerüstet reitet er hierauf mit Helm und Speer den Asen in die Schlacht voran, die Einheriar verlassen Walhalla, mit den Asen zu streiten, und nun beginnt der furchtbar entsetzliche Kampf. Odin kämpft mit Fenrir, der ihn verschlingt; da setzt Vidar den Eisenschuh in des Wolfes Schlund und überwältigt ihn. Thor kämpft mit der Midgardschlange siegreich, aber nachdem er sie getödtet, sinkt er neun Schritte von ihr todt nieder, von ihrem Gifthauch hingestreckt. Heimdal kämpft mit Loke, und beide tödten einander, Fenrir stirbt[338] von Surtur's Hand. Tyr und der Hund Garmur tödten einander wechselseitig, und während der Kampf so tobt, entzündet Surtur Himmel und Erde mit seiner Flammenlohe, daß alles verbrennt. Aber nach diesem Weltbrand steigt eine neue Erde aus dem Meere mit verjüngten Kräften. Auf der Ida-Ebene, wo einst Asgard lag, wandeln Vidar und Welt, welche die Flamme Surtur's nicht verzehrte, und es kommen zu ihnen Magni und Modi, die Söhne Thor's, mit des Vaters Hammer. Auch der blinde Hoedur und sein Bruder Balder steigen mit der Todesgöttin Hel aus der Unterwelt, und setzen sich still zusammen, alter Zeiten gedenkend. Auch zwei Menschen, Lif und Lifthrasir, die sich verborgen gehalten, kommen hervor, vom Morgenthau genährt, und zeugen ein neues Geschlecht, das die verjüngte Erde bevölkern wird, dem eine Tochter der Sonne leuchtet. Alfadur hat Gericht gehalten; die Guten zu sich nach Gimle (in den Himmel) erhoben, die Bösen nach Nastrand verbannt. Er herrscht nun fortan im ewigen Frieden. Es liegt am Tage, daß die Weissagung vom Ragnarokr der nordische Zweig der großen Weltsage von einem jüngsten Gericht und einem Weltende ist, die durch alle Mythen hindurchklingt.

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Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 8. [o.O.] 1837, S. 337-339.
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