Archipelăgus

[706] Archipelăgus (abgekürzt Archipel, zuerst im 13. Jahrh. in der italienischen, aus dem griechischen Aegaeon pelagos entstandenen Form Arcipelage[706] gebraucht), eine inselreiche Meergegend oder die zahlreichen Inselgruppen selbst, die bald losgetrennte Teile benachbarter Erdteile, bald selbständige Bildungen sind. Zu den erstern, den kontinentalen Archipelen, die meist in der Nähe stark gegliederter Küsten liegen oder brückenartige, ausgedehnte Wasserbecken umschließende Verbindungsglieder zwischen größern Kontinentalmassen bilden, gehören der A. der Chiloë-Inseln, der Patagonische A., der Arktisch-Amerikanische A., zu den pelagischen Archipelen die Inselwolken des Stillen Ozeans. Die wichtigsten Archipele sind der Westindische, Indische und Griechische A. (s. Karte »Griechenland«). Letzterer wurde zuerst A. genannt und begreift den zwischen Kleinasien, der Balkanhalbinsel und Kreta liegenden Teil des östlichen Mittelmeers. Die Inseln dieses A., die sich deutlich als insulare Fortsetzungen der oft weit ins Meer hinausspringenden Gebirgsketten Kleinasiens und Griechenlands zu erkennen geben, entstanden durch einen im Tertiär beginnenden und noch heute andauernden, von Erdbeben und vulkanischen Erscheinungen begleiteten Verwerfungs- und Verschiebungsprozeß und zerfallen in mehrere Gruppen und Reihen. Zu Thrakien gehören die Küsteninseln Thasos, Samothrake, Imbros und das entferntere Lemnos. An sie schließen sich die kleinasiatischen Küsteninseln an, deren bedeutendste Tenedos, Mytilene, Chios, Samos und Rhodos sind. Die nunmehr beginnende Inselreihe Rhodos, Karpathos, Kreta, Antikythera (Cerigotto), Kythera (Cerigo) schließt in weitem Bogen den A. gegen das inselfreie südliche Meeresbecken ab und schlägt die Brücke von Kleinasien zum Peloponnes. Als Abgliederungen des griechischen Festlandes sind das unmittelbar anliegende Euböa (s. d.), die nördlichen Sporaden (Skiathos, Skyros u.a.) sowie die in drei nach SO. gerichteten Hauptzügen vom Kap Kolonnäs und von Euböa ausstrahlenden Kykladen zu betrachten. Diese gliederreichen Inselketten teilen den von ihnen durchsetzten A. oder das Ägäische Meer in mehrere Teile. Der nördliche hieß bei den Alten Thrakisches Meer, der südöstliche Ikarisches, der südwestliche zwischen den Kykladen und dem Peloponnes Myrtoisches, der zwischen den Kykladen und Kreta Kretisches Meer.

Die Inseln des Griechischen A. waren ursprünglich teils frei, teils, vornehmlich seit den Perserkriegen, von Athen oder Sparta beherrscht; später wurden sie mit diesen Ländern dem Makedonischen Reich einverleibt, kamen dann zum Teil an Ägypten und endlich unter römische Herrschaft. Vespasian errichtete aus ihnen eine eigne Provinz mit der Hauptstadt Rhodos. Nach der Teilung des Römischen Reiches stand der A. unter Byzanz, nur 823–961 wurde er von den Sarazenen beherrscht, die sich auf Kreta festgesetzt hatten. Im J. 1207 eroberte der Venezianer Marco Sanudo die Inseln Naxos, Paros, Antiparos, Santorin, Anaphi, Milo, Siphno, Polikandro u.a. und nahm als Vasall des lateinischen Kaisers den Titel eines »Herzogs der Dodekanesos« an. Seine Nachkommen herrschten als Herzöge von Naxos bis 1383, dann die Familie der Crispi über die meisten jener Inseln, bis 1566 Sultan Selim II. den letzten Herzog, Jacopo Crispo, gefangen setzte und die Inseln dem Juden Dor Joseph Nasi verlieh. Nach dessen Tod (1579) wurden sie dem Osmanischen Reich einverleibt bis auf Kreta, das erst 1669 den Venezianern entrissen wurde, und blieben unter türkischer Herrschaft bis zur Gründung des Königreichs Griechenland (1830), das die Kykladen und Sporaden erhielt, während die thrakischen und kleinasiatischen Küsteninseln der Türkei verblieben. Vgl. Tozer, The Islands of the Aegean (Oxf. 1890); A. Philippson, Beiträge zur Kenntnis der griechischen Inselwelt (Ergänzungsheft 134 zu »Petermanns Geographischen Mitteilungen«, 1901).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 706-707.
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