Beschneidung

[750] Beschneidung (hebr. Milah, lat. Circumcisio, griech. Peritome), der bei mehreren Völkern, namentlich den Ägyptern, Westasiaten, Hebräern, Arabern, Kopten, Abessiniern, Kaffern, auch auf einigen Südseeinseln und in Amerika herrschend gewesene und teilweise noch herrschende Gebrauch, die Vorhaut (hebr. orlah, lat. praeputium), welche die Eichel des männlichen Gliedes bedeckt, mittels eines scharfen Instruments hinwegzunehmen. Bei den Juden wird die Sitte auf den an Abraham ergangenen göttlichen Befehl (1. Mos. 17,9–15) zurückgeführt; tatsächlich ist sie durch das mosaische Gesetz (3. Mos. 12,3) eingeführt worden. Es wurden ihr alle Söhne von Israeliten, die hausgebornen und gekauften Sklaven sowie Fremdlinge, die unter den Israeliten lebten, unterworfen, letztere aber nur dann, wenn sie ganz in die Gemeinde aufgenommen sein und am Bundesmahl des Passah teilnehmen wollten; nur in Zeiten des religiösen und nationalen Verfalles ward sie unterlassen (1. Makk. 1,15; Josephus, Ant., 12, 5, 1) oder durch Dehnung des verbliebenen Restes der Vorhaut gegen Spott und Verfolgung zu verheimlichen gesucht, was man Epispasmus (griech., lat. recutitio) nannte. Von Ägypten aus verbreitete sich die B. über die Kulturwelt des Altertums, über Phönikien, Syrien, Palästina und andre Länder. Sie trägt nicht überall religiöses Gepräge, ist jedoch meistens das Sinnbild körperlicher und sittlicher Reinigung. Die B. bei den Juden gilt als Bundeszeichen, als Weihe und Siegel der Zugehörigkeit zum priesterlichen Bundesvolk. Den Idumäern zwang Johann Hyrkan, als er sie mit den Juden vereinigte (129 v. Chr.), den Ituräern Aristobul die B. auf. Bei den Arabern, die von Ismael, Abrahams Sohn von Hagar, den Ursprung der B. herleiten, war sie von jeher gebräuchlich; Mohammed behielt sie bei, und so fand sie als religiöse Satzung auch bei den Persern und Türken Eingang. Hier wird sie zwischen dem 6. und 15., am häufigsten aber im 13. Lebensjahr vollzogen (1. Mos. 17,25), während die gesetzliche Vorschrift der Juden den achten Tag nach der Geburt dazu festsetzt. Die B. vollzieht ein besonders dazu Angestellter (Mohel, »Beschneider«) mit eisernem Messer unter Assistenz eines Arztes, nach geordnetem Ritus. Außer Juden und Mohammedanern üben die B. heutzutage die meisten afrikanischen Völker und Australier, mehrere Malaienstämme sowie einzelne amerikanische Indianervölker, im ganzen ca. 200 Mill. Menschen, allein bei den meisten Naturvölkern und auch bei einigen Kulturvölkern wird die B. nicht in früher Jugend, sondern später vorgenommen. Vielfach geschieht die B. der Knaben nach Ablegung von Standhaftigkeitsproben, bei denen sie die heftigsten Schmerzen verbeißen müssen, gemeinsam an abgelegenen Orten unter Zeremonien, nach deren Beendigung sie in die Reihe und Rechte der Männer eintreten. Als Grund gelten sanitätliche und moralische Vorteile. Die Vermeidung der Phimose ist der geringste »sanitätliche Vorteil«, viel wichtiger ist die Abhärtung der Haut der Eichel. – Auch die B. der Mädchen, wobei es sich meist um Ausschneidung der Klitoris, auch der halben Nymphen handelt, ist über einen großen Teil Afrikas, unter den Malaien, namentlich auf Java, in Peru und bei allen Indianern am Ucayalifluß verbreitet. Für Afrika soll der Gebrauch von Arabien ausgegangen sein, woselbst ihn schon Strabon kannte, er wurde aber auch in Altägypten geübt; die Mohammedaner haben ihn nach allen von ihnen besetzten afrikanischen Ländern verbreitet. In Abessinien bemühten sich die Christen vergeblich, die Operation, die man als klimatische Notwendigkeit und selbst als Verschönerungsmittel ansieht, abzuschaffen. Sie wird zuweilen (Senegambien, Port Natal) mit einer vorhergehenden Geißelung gleichalteriger Jünglinge durch die herangewachsenen, phantastisch aufgeputzten Mädchenscharen verbunden. Verbreitet ist in Afrika auch der grausame Gebrauch einer wiederholten B. mit darauf folgender Vernähung der Nymphen bei jungen Mädchen und Frauen, um deren Keuschheit, z. B. bei längerer Abwesenheit des Gatten, zu sichern. In neuerer Zeit hat die russische Sekte der Skopzen (s. d.), auf eine Bibelstelle (Matth. 19,12) fußend, die B. der Frauen bei sich eingeführt. Val. Ploß, Geschichtliches und Ethnologisches über Knabenbeschneidung (Leipz. 1885); Remondino, History of circumcision (Philad. 1891); Glaßberg, Die B. in ihrer geschichtlichen, ethnographischen, religiösen und medizinischen Bedeutung (Berl. 1896); Löwenstein, Die B. im Lichte der heutigen medizinischen Wissenschaft (Trier 1897); Kutna, Studien über die B. (in Frankels »Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums«, 190l); Alexander, Die hygienische Bedeutung der B. (Bresl. 1902).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1905, S. 750.
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