Neuchâtel [1]

[541] Neuchâtel (spr. nȫschatell, Neuenburg), Hauptstadt des schweizer. Kantons Neuenburg, am Nordwestufer des Neuenburger Sees, Knotenpunkt der Linien Lausanne-Biel und N.-Pontarlier der Bundesbahnen und der Eisenbahn N.-Chaux-de-Fonds-Locle-Col-des-Roches und N.-Bern, steigt stufenartig von 434–580 m am Fuße des Chaumont hinan, eine hübsche, wohlgebaute Stadt, deren gelber Baustein (Neokom) den nahen Steinbrüchen entstammt. Im obern Stadtteil steht das im 13. und 14. Jahrh. erbaute Schloß, das einst den preußischen Gouverneuren als Wohnung diente (jetzt Sitz der Kantonsbehörden), sowie die in reinem romanischen Stil ausgeführte Hauptkirche (la Collégiale), seit 1870 renoviert und von neuen, aussichtsreichen Promenaden eingefaßt. Sie enthält ein Denkmal der Grafen und Gräfinnen von Neuenburg (seit 1372). Jeder Gang durch die Stadt erinnert an den edlen David Pury, der, als Kaufmann in Lissabon (1786) verstorben, seiner Vaterstadt 4 Mill. Frank zu gemeinnützigen Werken schenkte, ein Vermächtnis, aus dem unter anderm, wie am Piedestal seiner 1855 errichteten Bronzestatue geschrieben steht, das Hôtel de Ville erbaut (1784), das Collège gegründet (1828), der Bergstrom Seyon abgelenkt (1839) ward. Auch das Pourtalès-Hospital und das Waisenhaus sind Stiftungen reicher Bürger. Die Akademie mit vier Fakultäten (Theologie, Jurisprudenz, philosophisch-historische und philosophisch-naturwissenschaftliche Abteilung, 1903: 174 Hörer), einem Seminar für modernes Französisch und das prachtvolle Gymnasium liegen am See, hoch über der Stadt die Strafanstalt und die Sternwarte, während die Irrenanstalt Préfargier (privat, aber mit staatlicher Überwachung) am Unterende des Sees, in der Nähe des Ausflusses der Thièle, liegt. N. enthält noch ein Denkmal des Reformators Farel und ein Denkmal für die Proklamation der Republik 1848 (von Heer und Meyer, 1898). N. hatte 1900: 21,064 Einw., darunter 3459 Katholiken und 80 Israeliten (15,277 mit französischer, 4553 mit deutscher Sprache). Die Uhrmacherei, Fabrikation von Bijouterien, elektrischen Apparaten und der Handel sowie zahlreiche, durch das hochentwickelte Schulwesen begünstigte Institute und Pensionate für Knaben und Mädchen bilden[541] die Haupterwerbsquellen der Stadt N. Von öffentlichen Anstalten sind noch die sehr besuchte Handelsschule, das naturhistorische Museum, das ethnographisch archäologische Museum, die Challandesche Sammlung ausgestopfter Alpentiere, die Bibliothèque de la ville (über 100,000 Bände) und insbes. die Gemäldegalerie mit Werken von Calame, Meuron, den Gebrüdern Robert etc. zu nennen. In der Umgegend, zerstreut an den aussichtsreichen Höhen, manche romantisch über dem rauschenden Seyon gelegen, sind zahlreiche Landhäuser und Erziehungsinstitute. Der Fluß durchströmt das jurassische Val de Ruz und stürzt tosend durch die Schlucht herab zum See, den er mittels eines 1839 gebohrten Tunnels erreicht. Ein beliebtes Ausflugsziel ist die wildromantische Schlucht (Gorge), gebildet durch den Durchbruch der Areuse (s. d.) aus dem Traverstal an das Seegelände, sowie der aussichtsreiche Gipfel des Chaumont (1172 m); am Wege liegt ein gewaltiger (1040 cbm) erratischer Block, die »Pierre à bot«, ein Protogin der Montblanc-Kette. Straßenbahnen führen am See entlang nach St. Blaise und Boudry, in die romantische Seyonschlucht bis Valangin, eine elektrische Zahnradbahn hinauf zum Bahnhof (480 m) und eine Drahtseilbahn zum höhern Vorort Le Plan. – N. (Novum castellum) wird zum erstenmal in einer Urkunde König Rudolfs III. von 1011 als einer der burgundischen Königssitze erwähnt. Den Kern der Stadt bildete das Schloß, das um 1150 als Sitz der Grafen von N. erscheint. Vgl. Bachelin, Neuenburg und Umgebung (Zürich 1883).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 541-542.
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