Besitz

[673] Besitz (Possessio, Rechtsw.), die factische Herrschaft einer Person über einen Gegenstand in der Weise, daß dieselbe beliebig u. mit Ausschluß Anderer auf denselben einwirken kann. Der B. erscheint in rechtlicher Beziehung zunächst als ein reines Factum, welches eine rechtliche Bedeutung nicht in sich trägt, sondern seinen rechtlichen Charakter erst von einem andern Rechte, sei dies eine vertragsmäßige Einräumung der Gewalt od. Eigenthum, zu entlehnen hat. Er wird indessen auch für sich zu einem Rechtsverhältniß kraft des Rechts der Persönlichkeit des Besitzenden, welches schon der factischen Gewalt eine rechtliche Garantie in der Weise zu Theil werden läßt, daß der Besitzende nur der auf rechtlichem Wege nachgewiesenen u. entschiedenen rechtlichen Macht über die Sache zu weichen, bis dahin aber Anspruch hat, in der factischen Innehabung geschützt u. erhalten zu werden. Um diesen letzteren Schutz beanspruchen zu können, muß jedoch die Besitzfähigkeit vorhanden sein, d.h. zu dem körperlichen Verhältniß (Corpus) auch noch ein entsprechender Wille des Besitzenden, die Sache total für sich zu haben (Animus rem sibi habendi) hinzutreten, weshalb auch nur ein solcher B. juristischer B., dagegen ein solcher, bei welchem der B-ende in fremdem Namen ausübt, natürlicher B., Detention (Rem corporaliter tenere) genannt wird. Stützt sich dabei der Animus possidendi auf einen solchen Titel, welcher im Stande ist, ein Recht auf den B. zu gewähren, so ist der B. ein rechtmäßiger (P. justa), im Gegensatz des unrechtmäßigen (P. injusta), bei welchem es an einem solchen Titel fehlt, wie dies insbesondere der Fall ist, wenn Jemand den B. nur durch Gewalt, heimlich od. bittweise erlangt hat. Usucapionsbesitz ist der B., welcher geeigenschaftet ist, nach Ablauf der erforderlichen Ersitzungszeit den B-er auch zum Eigenthümer der Sache zu machen, u. wird hierzu außer den Bedingungen eines juristischen B-s noch erfordert, daß der B-er die besessene Sache in dem guten Glauben, daß sie ihm eigenthümlich gehöre, erworben habe u. die Sache selbst auch der Ersitzung überhaupt fähig sei. Abgeleiteten B. hat man endlich denjenigen genannt, bei welchem dem B-er, ohne daß derselbe den Animus domini hat, doch ausnahmsweise die Rechte eines juristischen B-s übertragen worden sind, was nach gemeinem Rechte in zwei Fällen, bei dem B. des Sequesters u. Pfandgläubigers statt findet. Der B. gilt hiernach als erworben, sobald die beiden Elemente desselben, die körperliche Innehabung der Sache u. der Wille zu besitzen, zusammentreffen. Weil aber beide Momente gleich nothwendig sind, so kann ein B. von unkörperlichen Sachen, so wie einzelner Theile körperlicher Sachen, die keirselbstständige Gewalt über sich ohne B. des Ganzen zulassen, eben so wenig gedacht werden, als ein B. bei solchen Personen möglich ist, welche eines wirklichen Willens od. wenigstens des natürlichen B-willens, der auf Haben u. Behalten der Sache gerichtet ist, nicht fähig sind, wie bei Wahnsinnigen, Kindern u. juristischen Personen. Für solche Personen ist daher ein B-erwerb nur durch Repräsentanten möglich. Unthunlich ist ferner schon nach dem Begriffe des B-s, daß mehrere dieselbe ganze Sache besitzen können, weil damit sich die factische ausschließliche Herrschaft eines B-ers über die Sache sich nicht vereinigen lassen würde. Dagegen ist es wohl denkbar, daß mehrere nach ideellen Theilen einen Mit-B. an einer Sache ausüben (Compossessio), wobei nur vorausgesetzt wird, daß für jeden der Mitbesitzer ein bestimmter aliquoter Theil durch irgend eine Thatsache gegeben ist u. von dem Mitbesitzer selbst gekannt ist. Verloren geht der B. vel corpore vel animo, d.h. entweder durch die eingetretene Unmöglichkeit sich ferner beliebig in den Zustand factischer Gewalt über die Sache zu versetzen, od. dadurch, daß der Besitzende den Willen zu besitzen aufgibt. Den Schutz des B-s vermitteln nach Römischem Rechte die possessorischen Interdicte. Dieselben bezwecken theils die Aufrechterhaltung eines bestehenden B-es, Interdicta retinendae possessionis; theils die Wiedererlangung eines unrechtmäßiger Weise verlorenen B-es, Interdicta recuperandae possessionis. Eine Erweiterung über den eigentlichen Begriff des B-es hinaus, ist die Quasi-possessio (Quasi-B.), indem auch auf die Ausübung einzelner u. körperlicher Rechte, wie der Servituten, der Reallasten, der Superficies, die Grundsätze des B-rechtes übertragen worden sind. Dagegen gibt es einen B. bei reinen Obligationsverhältnissen nicht. Auf ganz besonderen Grundsätzen beruht die Lehre vom unvordenklichen B. (P. immemorialis), welcher in Bezug auf ein[673] Rechtsverhältniß alsdann angenommen wird, wenn dasselbe seit Menschengedenken so wie gegenwärtig bestanden hat u. auch Niemand sich erinnern kann, daß es je anders bestanden habe. Das Rechtsverhältniß wird alsdann schon deshalb, weil es so lange ausgeübt worden ist, daß der Anfang dieser Ausübung über Menschengedenken hinaus liegt, als rechtmäßig erworben betrachtet, indem von dem Gedanken ausgegangen wird, daß eine so lange Dauer der Ausübung die begründetste Vermuthung rechtmäßigen Erwerbes für sich haben muß u. alsdann der Nachweis eines besondern Rechtstitels der Entstehung nicht wohl gefordert werden kann. Die Theorie des B-rechtes hat von jeher als eine der feinsten u. schwierigsten Lehren auf dem Rechtsgebiete gegolten u. daher eine große Zahl von Bearbeitungen hervorgerufen, von denen die älteren meist dem Fehler unterlegen sind, durchherrschende Begriffe aufzustellen, dadurch aber den Quellen Zwang angethan od. sich ganz davon entfernt haben. Epoche hat in dieser Lehredas Werk von Savigny's, Das Recht des Besitzes, Gießen 1803, 6. Aufl. 1837 gemacht, welches der Ausgangspunkt aller neueren Untersuchungen über das Besitzrecht geworden ist. Eine ausführliche Darstellung der Dogmengeschichte über den B., insbesondere die Besitzesklagen, hat Bruns, Das Recht des Besitzes im Mittelalter u. in der Gegenwart, Tübing. 1848, geliefert.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 2. Altenburg 1857, S. 673-674.
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