Haller

[315] Haller (Albrecht von), welcher der Große zubenannt worden, ist ein als Dichter und Gelehrter ausgezeichneter und um die Wissenschaften in mehr als einer Beziehung hochverdienter Mann. Er wurde 1708 zu Bern im Schoos einer altpatrizischen Familie geboren, zeichnete sich schon in seiner Jugend durch ungemeine Lernbegierde aus und besuchte erst die Universität Tübingen, dann Leyden, wo er von dem berühmten Boerhaave in den medicinischen Wissenschaften unterrichtet wurde. Nachdem er 1726 Doctor der Medicin geworden, machte er eine Reise nach London und Paris und trat mit den ausgezeichnetsten Ärzten in persönlichen Umgang. Nach der Schweiz zurückgekehrt, studirte H. zu Basel unter des berühmten Mathematikers Joh. Bernouilli Leitung die höhere Mathematik, unternahm zur Kräftigung seiner Gesundheit eine Alpenreise, auf welcher er Pflanzen sammelte, und hielt Vorlesungen über Anatomie. Eine ausgezeichnete Beschreibung der Schweizerpflanzen und ein berühmtes Lehrgedicht: »Die Alpen« waren die Frucht der erwähnten Alpenreise. Nachdem sich H. 1729 in seiner Vaterstadt als praktischer Arzt niedergelassen hatte, kam er bald durch seine Gelehrsamkeit und die öffentlichen Vorlesungen, welche er über Anatomie hielt, in Ruf; doch waren ihm die von ihm 1732 herausgegebenen »Schweizerischen Gedichte« in Bezug auf eine öffentliche Anstellung mehr nachtheilig als förderlich. Er nahm daher 1736 einen Ruf an die neugestiftete Universität in Göttingen zum Professor der Anatomie und Botanik an. Hier blieb er 17 Jahre und arbeitete mit ungemeinem Fleiß und seltenem Scharfsinn eine große Anzahl botanischer, anatomischer und physiologischer Werke aus, die seinen Ruhm über die ganze gebildete Welt ausbreiteten und zur Folge hatten, daß gelehrte Gesellschaften und Fürsten in Anerkennung seiner Verdienste wetteiferten. Kaiser Franz I. erhob ihn mit seiner Nachkommenschaft 1749 in den Reichsadelstand, der König von England und Hanover ernannte ihn zum Staatsrath, in seiner Vaterstadt Bern nahm man ihn in den großen Rath als Mitglied auf. Noch erwarb sich H. in Göttingen besondere Verdienste durch thätigen Antheil an der Stiftung (1751) der dortigen kön. Gesellschaft der Wissenschaften, zu deren immerwährendem Präsidenten er ernannt wurde. Bei [315] den hohen Ehren, die H. genoß, machte ihm in Göttingen doch auch die Misgunst unangenehme Stunden, und dies war der Grund, daß er 1753 seine Entlassung nahm und nach Bern zurückkehrte, wo man ihn zum Amman erwählte. Als solcher wirkte er höchst segensreich und war zugleich als Schriftsteller noch ebenso thätig, wie früher. Umgeben von einer zahlreichen Familie starb H. gegen Ende des Jahres 1777. – Sein Sohn Gott lieb Emanuel von H. trat als Geschichtschreiber auf; berühmter aber wurde der Enkel Karl Ludw. von H., geb. zu Bern 1768. Derselbe hat im Interesse des Aristokratismus und Katholicismus mit Geist und Scharfsinn eine, »Restauration (Wiederherstellung) der Staatswissenschaften« geschrieben, und ist, nicht zu seinem Vortheil, auch dadurch bekannt geworden, daß er von der reformirten zur katholischen Kirche übergetreten ist, diesen Schritt aber noch geraume Zeit geheim gehalten, und als Mitglied des Raths zu Bern sogar noch den Amtseid, für Aufrechthaltung der protestantischen Lehre wachen zu wollen, geschworen hat. Er hielt sich nach dem 1821 erfolgten öffentlichen Bekenntnisse seines Übertritts abwechselnd in Paris und Solothurn auf und ist in der letzten Stadt 1834 in den kleinen Rath aufgenommen worden.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 315-316.
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