Hundswuth

[426] Hundswuth, Tollwuth, Wuth, Wuthkrankheit, Wasserscheu, ist jene fürchterliche Krankheit, die sich nur bei dem Hundegeschlecht ursprünglich und selbständig entwickelt, bei andern Thieren aber und beim Menschen nur nach stattgefundener Ansteckung durch unmittelbare Berührung mit dem Speichel oder Geifer tollwüthiger Thiere entsteht, zuweilen verhütet, selten geheilt werden kann und sich durch einzelne Anfälle von schrecklichen Zuckungen mit Tobsucht, Brustkrämpfen, krampfhafter Zusammenschnürung des Schlundes, Bewußtlosigkeit, Beißwuth und häufig unüberwindlichem Abscheu vor Flüssigkeiten äußert – Zufälle, die meist sehr schnell zum Tode führen. In vielen Fällen erfolgt der Ausbruch der Krankheit erst längere Zeit nach dem Stattfinden der Ansteckung. Ost ist die von einem tollen Hunde beigebrachte Verletzung längst vollkommen verheilt, ehe die Krankheit zum Ausbruche kommt, was theils von selbst ohne alle äußere Veranlassung, theils nach zufälligen körperlichen oder geistigen Einwirkungen geschieht. Zuerst zeigt sich eine Veränderung an der Bißstelle. Ist die Wunde noch offen, so lockert sie sich auf und sondert schlechtern Eiter und Jauche ab, ist sie bereits vernarbt, so fängt sie wieder an zu schmerzen, erhebt sich, färbt sich bläulichroth, wird heiß und bricht auf. Ziehende, drückende oder stechende Schmerzen verbreiten sich von ihr aus längs der Nerven des verletzten Theils bis zum Rückgrathe, die nahegelegenen Lymphdrüsen entzünden sich und schwellen an. Gleichzeitig klagt der Kranke über allgemeine Mattigkeit und Zerschlagenheitsgefühl im ganzen Körper, Ziehen im Nacken und Rücken und Übelkeiten, ist niedergeschlagen, verdrüßlich oder auch im Gegentheil ungewöhnlich heiter, hat leichtes Zucken in den Muskeln, einen veränderten Blick, fühlt sich beim Sprechen und Schlucken etwas behindert, einige Beklemmung in der Brust, schläft unruhig, träumt ängstlich, läßt unter Drängen einen blassen, wässerigen Urin u.s.w. Nach und nach steigert sich nun die Behinderung beim Schlucken zur gänzlichen Unfähigkeit. Trotz des heftigsten Verlangens nach Getränk ist der Kranke doch außer Stande zu trinken, denn bei jedem Versuche dazu wird er sogleich von krampfhafter Beengung des Athemholens, entsetzlicher Angst, Zusammenschnürung des Schlundes, Zuckungen der Hals-, Nacken- und Gesichtsmuskeln mit gewaltsamen Bewegungen des Kopfs, Verzerrung des Antlitzes und Beben des ganzen Körpers befallen. Noch weiter hin verursacht schon der bloße Anblick des Wassers und glänzender Flächen, wie z.B. der eines Spiegels, das Geräusch, welches Wasser veranlaßt, indem es fließt oder ausgeschüttet wird, ja selbst die bloße Vorstellung des Wassers dieselben Zufälle. Endlich vermag der Kranke selbst den eignen Speichel nicht mehr zu verschlucken. Doch ist Wasserscheu, wenigstens in solchem Grade, nicht immer nothwendig vorhanden und kommt auch in andern Krankheiten, namentlich in Nervenfiebern, bei manchen Entzündungen, besonders der des Herzens und Zwerchfelles, nach heftigem Zorn und Schrecken u.s.w. vor. Ähnliche Erscheinungen, wie der Versuch zu trinken, oder der Anblick von Flüssigkeiten u. dgl. führt zuweilen schon ein unbedeutender Luftzug oder auch nur die Berührung durch die frische, freie Luft herbei, sodaß ein Kranker der Art zugleich an wirklicher Luftscheu leidet. Derselbe beginnt sich zu würgen und zu geifern, bekommt Krämpfe aller Art, wirst sich unruhig hin und her, springt auf, schreit, zerstört Alles, was er erreichen kann, bemüht sich, Andere zu beißen u.s.w. Nach einem solchen Wuthanfalle, der 10, 20 und 30 Minuten oder auch länger dauern kann, kehren Ruhe und Bewußtsein zurück. Der Kranke fühlt sich äußerst erschöpft, ist sehr traurig und niedergeschlagen, mitunter an einzelnen Theilen gelähmt, weint bitterlich, beklagt sein entsetzliches Geschick und bittet seine Umgebungen, sich gegen seine während der Wuthanfälle zu befürchtenden Gewaltthätigkeiten möglichst zu schützen. Die Anfälle kehren in einem kurzen Zwischenraume und immer heftiger wieder und führen endlich am zweiten, dritten oder vierten Tage den Tod durch Schlagfluß, gänzliche Erschöpfung oder Lähmung herbei. Aus dem Gesagten erhellt, daß, wer von einem tollen Hunde gebissen oder auch auf andere Weise durch den Speichel eines solchen angesteckt wird (das Wuthgift haftet auch an den Kleidern des Gebissenen und an andern Mittelkörpern so fest, daß es noch nach langer Zeit auf einen verletzten oder auch mit einer sehr zarten Oberhaut bedeckten Theil gebracht die furchtbare Krankheit erzeugen kann), immer in Lebensgefahr ist. Um so unerläßlicher ist es daher für die Medicinalpolicei, durch Verminderung der Hundezahl und möglichste Beaufsichtigung derselben zur Verhütung der fürchterlichen Krankheit mitzuwirken und durch Bekanntmachung der Erscheinungen, an denen die Wuth bei Hunden und Katzen, den gewöhnlichsten Verbreitern derselben, zu erkennen ist, im Voraus vor der Gefahr zu warnen. Bei den Hunden scheint die besondere Anlage zur Entstehung der Wuth [426] durch das widernatürliche Auffüttern mit Leckereien und Gewürzen, durch das Einsperren, Verzärteln und Liebkosen, wie überhaupt durch den zu nahen Umgang derselben mit Menschen, durch die Unmöglichkeit oder wenigstens Schwierigkeit, ihren Geschlechtstrieb hinreichend zu befriedigen, begründet, die Krankheit selbst aber am häufigsten. durch große Hitze oder Kälte zum Ausbruche gebracht zu werden. Letzterer verräth sich durch eine auffallende Veränderung in dem ganzen Benehmen des Thieres. Es wird traurig und träge, frißt und säuft wenig oder gar nicht, verkriecht sich, knurrt selbst bei Annäherung seines Herrn, verweigert diesem den Gehorsam, setzt sich zur Wehre, wenn es gezüchtigt werden soll, läuft mit offenem, geiferndem Maule, eingezogenem Schwanze und struppigem Haar scheu und unstät herum, verscheucht durch seinen bloßen Anblick alle übrigen Hunde, welche ängstlich vor ihm fliehen, beißt nach Allem, was ihm in den Weg kommt, verfolgt wüthend seines Gleichen, noch mehr aber die Katzen, stürzt von Zeit zu Zeit erschöpft zusammen, rafft sich wieder auf, verfällt in Convulsionen und stirbt plötzlich. Die Katzen, bei denen die Wuth jedoch nie ursprünglich, sondern immer erst nach Verwundung durch ein anderes wüthendes Thier entsteht, bieten im Allgemeinen ähnliche Erscheinungen dar, sind aber, wenn sie toll werden, womöglich noch gefährlicher als die Hunde, weil ihnen schwerer beizukommen ist. Wie schon erwähnt, kommt bei einem Menschen, bei welchem man eine Ansteckung durch Wuthgift vermuthen darf, Alles darauf an, den Ausbruch der Krankheit zu verhüten. Dies erreicht man am sichersten durch möglichst schnelle und vollständige Zerstörung des Gifts an dem Orte der Anbringung selbst, außerdem, jedoch schon weniger zuverlässig, durch Umstimmung des Nervensystems und Anregung der Heilkraft der Natur zu dem Zwecke, daß sie das bereits in die Säftemasse aufgenommene Gift unschädlich mache und aus dem Körper schaffe. Die Behandlung eines solchen Unglücklichen zerfällt also in eine örtliche und eine allgemeine. Die örtliche und wichtigere besteht darin, daß man die Wunde möglichst schnell mit kaltem oder lauem Wasser, Salz- oder Seifenwasser, Urin, Essig, Auflösungen ätzender Alkalien, des Höllensteins u. dgl. auswäscht, reichlich ausbluten läßt, zu welchem Behufe man zuweilen einen trockenen Schröpfkopf auf sie setzt, noch zweckgemäßer aber, sie ohne Weiteres in ihrem ganzen Umfange ausschneidet, mit dem Glüheisen ausbrennt, mit Höllenstein oder andern ätzenden Dingen bis auf den Grund ätzt oder gradezu, wenn die Verletzung ein zu entbehrendes Glied, einen Finger, eine Zehe, betroffen hat, dieses auf der Stelle durch Amputation von dem übrigen Körper trennt, darauf zu größerer Sicherheit die Wunde noch durch Aufstreuen von span. Fliegenpulver oder Auflegen von dergleichen Salbe in Eiterung setzt, Monate lang eiternd erhält und später in eine Fontanelle verwandelt. Die innerliche Behandlung überlasse man jedenfalls dem schleunigst herbeizuholenden Arzt, da es mit ihr eher Zeit hat, glaube aber ja nicht, daß sie jemals die örtliche überflüssig machen könne. Die meisten oder fast alle der gegen die Hundswuth gepriesenen Geheimmittel, von denen einige auch wirklich in vielen Fällen gute Dienste geleistet haben, bewirken einen sehr starken Schweiß, reichlichen, mit Beschwerden verbundenen Urinabgang und werden gemeinhin nur dadurch schädlich, daß zuweilen aus allzu großem Vertrauen auf dieselben die örtliche Behandlung unterlassen wird. Sie bestehen hauptsächlich aus Honig, Maiwürmern (Maikäfern) und andern die Urin- und Darmabsonderung vermehrenden Mitteln. Ist nun aber die Krankheit wirklich zum Ausbruche gekommen, so bringe man den unglücklichen Kranken vor allen Dingen in eine solche Loge und umgebe ihn dergestalt mit Wächtern, daß er weder sich noch Andern Schaden zufügen kann, wende aber dabei so wenig eigentliche Zwangsmaßregeln an als möglich, vermeide Alles, was ihn reizen und erzürnen könnte, so namentlich die für ihn qualvolle Zumuthung zu trinken, reiche ihm allenfalls zur Stillung seines fürchterlichen Durstes das Getränk dunkel gefärbt und in irdenen Gefäßen und suche ihn durch freundlichen Zuspruch so viel als möglich zu beruhigen.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 426-427.
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