Mennonīten

[601] Mennonīten (Taufgesinnte, niederländ. Doopsgezinden), nach Menno Simons (s. unten) benannte protestantische Sekte. Ihre Normalschrift, Mennos »Fundamentbuch« (1539), sucht ohne mystischen Beisatz eine rein evangelische Ansicht und Behandlung des Christentums festzuhalten, verwirft den Eid, den Krieg und jede Art von Rache, ebenso die Ehescheidung außer im Falle des Ehebruchs und die Übernahme obrigkeitlicher Ämter; die Obrigkeit gilt als eine zwar jetzt noch notwendige, aber dem Reiche Christi fremde Einrichtung, die Kirche als eine Gemeinde der Heiligen, die durch strenge Kirchenzucht in der Reinheit erhalten werden müsse. Ihre Ältesten und Lehrer dienen vielfach noch unentgeltlich. Die Kinder erhalten den Namen bei der Geburt; die Taufe wird etwa im 14.–16. Jahr in den Bethäusern vollzogen. Die Strenge der Kirchenzucht schuf schon 1555 die Parteien der Groben (auch Waterländer genannt, weil sie im Waterland in Nordholland und bei Franeker ihren Sitz hatten) und der meist außerhalb Hollands zu findenden Feinen, auch Gröninger, Danziger oder Flaminger genannt. Unter den letztern traten wieder kleinere Parteien (Ukowallisten, nach Uto Walles aus Groningen, gest. 1651, Janjakobschristen, nach Johann Jakob) auf. Unter dem Einfluß des Arminianismus und Sozinianismus zerfielen die Groben seit 1664 in zwei Parteien, deren eine, die altgläubige, nach ihrem Parteihaupt Samuel Apostool (gest. 1644 in Amsterdam) Apostoolen, auch mennonitische Taufgesinnte und Sonnisten (vom Zeichen der Sonne am Giebel ihrer Kirche) genannt, dogmatisch streng orthodox dachte, während die andre, nach ihrem Haupte Galenus Abraham de Haen (gest. 1706) Galenisten genannt, die[601] arminianischen oder sozinianischen Grundsätze annahm. Um 1801 vereinigten sich beide, und seit 1811 sind alle Gemeinden durch die Errichtung der Allgemeinen Taufgesinnten Sozietät in Amsterdam enger verbunden. Gegenwärtig offenbart sich das mennonitische Prinzip bei den meisten nur noch im Festhalten an der eigentümlichen Auffassung der Taufe und des Eides. Auf praktisch-philanthropischem und selbst auf wissenschaftlichem Gebiet ist ihr Einfluß bedeutend gewesen; ein Missionsverein, aber auch Teylers theologische Gesellschaft in Haarlem und andre Stiftungen sind ihr Werk. In den Niederlanden, wo sie gegenwärtig 60,000 Anhänger (in über 120 Gemeinden) zählen, genießen sie seit 1577 Religionsfreiheit. In Deutschland (Baden, Preußen, Pfalz, Rheinhessen, Württemberg) zählt man ungefähr 18,000 M.; davon kommen 10,000 auf die Provinz Westpreußen. Durch königliche Kabinettsorder von 1868 wurde das Privilegium der Militärfreiheit aufgehoben, jedoch die Leistung der Dienstpflicht als Krankenpfleger, Trainsoldat, Ökonomiehandwerker etc. gestattet. Seit 1886 sind die deutschen M. zusammengeschlossen zur Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich (Sitz in Hamburg). Kleine Gemeinden bestehen in Frankreich (seit 1901 zu einer Konferenz zusammengeschlossen), der Schweiz (zu einem Verband vereinigt) und Luxemburg; große Kolonien in Rußland (durch Eingewanderte aus Westpreußen seit 1789) und Amerika (durch Auswanderung besonders aus Krefeld und der Pfalz seit 1683). In strengern und freiern Gemeinschaften (Altmennoniten, Amische M., genannt nach dem Schweizer Jak. Ammann, Christliche Brüder oder Holdermannsleute, genannt nach dem M. Holdermann seit ca. 1860, Eglileute, reformierte M. oder Herrenleute, die in Süddakota kommunistisch organisierten Hutterschen Brüder u. a.) mit zum Teil selbständiger Organisation sind die alten Gegensätze noch lebendig. Gesamtzahl ca. 250,000. Überall, wo sie heimisch sind, haben sich die M. als stille, fleißige Untertanen bewährt. Vgl. Reiswitz und Wadzeck, Beiträge zur Kenntnis der Mennonitengemeinden (Berl. 1824); Hunzinger, Das Religions-, Kirchen- und Schulwesen der M. (Speyer 1830); Blaupotten Cate, Geschiedenis der doopsgezinden (Amsterd. 1839–47, 5 Bde.); Frau A. Brons, Ursprung, Entwickelung und Schicksale der altevangelischen Taufgesinnten (2. Aufl., Norden 1891); M. Schön, Das Mennonitentum in Westpreußen (Berl. 1886); J. P. Müller, Die M. in Ostfriesland vom 16.–18. Jahrhundert (Emden 1887); Horsch, Geschichte der Mennonitengemeinden (Elkhart 1890); C. H. Wedel, Abriß der Geschichte der M. (Newton Kansas 1903, 4 Bde.); S. Cramer in der »Realenzyklopädie für protestantische Theologie und Kirche« (3. Aufl., Bd. 12, Leipz. 1903); »Mennonitische Blätter« (begründet 1854 von Mannhardt, jetzt hrsg. von H. v. d. Smissen, Altona); »Doopsgezinde Bijdragen« (hrsg. von Cramer, Amsterd., seit 1864).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 13. Leipzig 1908, S. 601-602.
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