Poitiers [1]

[67] Poitiers (spr. pūatjé), Hauptstadt des franz. Depart. Vienne und der ehemaligen Provinz Poitou, 70–118 m ü. M., auf einer Anhöhe, die vom Clain und dessen Nebenfluß Boivre umflossen wird, Knotenpunkt der Orléansbahn und der Staatsbahnlinie P.-Angers, hat enge, winklige Straßen und Reste alter Ringmauern. Hervorragende Bauwerke sind: die Kathedrale[67] des heil. Petrus (1162–1379 gebaut), dreischiffig, mit zwei unvollendeten Türmen und schönen Glasmalereien; Notre-Dame aus dem Ende des 11. Jahrh., mit reichgeschmückter Fassade; St.-Hilaire, eine ehemalige Abteikirche aus dem 10. und 11. Jahrh., neuerdings restauriert; St.-Moutierneuf (1077–96); die Kirche der heil. Radegunde (Gemahlin Chlotars I.), aus dem 11. Jahrh., mit dem Grabdenkmal dieser Schutzheiligen der Stadt in der Krypte; die Johanniskirche, ein Baptisterium, im 4. Jahrh. angelegt, im 7. Jahrh. ausgebaut, später wiederholt erneuert (jetzt eine Sammlung von Gräbern aus der Merowingerzeit enthaltend); der Justizpalast (12.–15. Jahrh.) mit den Resten des alten Schlosses der Grafen von Poitou, das moderne Präfekturgebäude (1865–70), das Rathaus (1869–76) und das neue Fakultätsgebäude. Über den Clain führen sechs Brücken, darunter zwei Eisenbahnbrücken; zwei andre Brücken führen über die Boivre. P. zählt (1901) 37,667 (als Gemeinde 39,886) Einw. Die Industrie ist durch Gerberei, Zubereitung von Gänsebälgen, Fabrikation von Pianos, Wirkwaren, Tuch, Bürsten, Farben etc. vertreten. Auch wird Handel mit Sämereien und Wein etc. getrieben. P. hat Fakultäten für Rechtswissenschaft, mathematisch-naturhistorische und philosophisch-historische Wissenschaften und eine Vorbereitungsschule für Medizin und Pharmazie (zusammen mit 905 Studierenden), eine freie theologische Fakultät, ein Lyzeum, eine Lehrer- und eine Lehrerinnenbildungsanstalt, ein Seminar, drei geistliche Kollegien, ein Institut für Missionare, eine Bibliothek von 35,000 Bänden und 300 Manuskripten, ein Museum der Künste, Antiquitäten und Naturwissenschaften, einen Botanischen Garten, Gesellschaften für Archäologie, Medizin, schöne Künste u. a., eine Ackerbau- und Gewerbekammer und eine Filiale der Bank von Frankreich. P. ist Sitz des Präfekten, eines Appellhofs, eines Tribunals und Assisenhofs, eines Handelsgerichts und eines Bischofs. Die Stadt besitzt aus der römischen Zeit Reste eines Amphitheaters. Im S. der Stadt befindet sich die schöne Promenade von Blossac, im NO., jenseit des Clain, ein Dolmen (Pierre-Levée). – P. hieß im Altertum Limonum, war der Hauptort des gallischen Stammes der Piktaver, nach dem es später den Namen erhielt, und schon unter römischer Herrschaft eine wichtige Stadt. Später war es die Hauptstadt der Provinz Poitou. 507 schlug in der Nähe der Stadt bei Voullon Chlodwig den Westgotenkönig Alarich. Der bei P. 18. Okt. 732 von Karl Martell über die Araber erfochtene Sieg rettete das Abendland vor der Unterjochung durch den Islam. Dann erfochten auf dem nahegelegenen Feld Maupertuis 19. Sept. 1356 die Engländer einen Sieg über die Franzosen, der Frankreich mit dem Untergang seiner Selbständigkeit bedrohte. Das Edikt von P. (17. Sept. 1577) beendete den sechsten Hugenottenkrieg durch weitgehende Zugeständnisse an die Protestanten. Vgl. Leda in, Histoire sommaire de la ville de P. (Fontenay-le-Comte 1892).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 67-68.
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