Samenhandel

[521] Samenhandel, der Handel mit Garten-, Wald- und landwirtschaftlichen Samen. Der gärtnerische S. ist teils der Absatz der eignen Produktion, teils Groß- und Zwischenhandel. Die forstlichen Samen werden namentlich von Samenhändlern in Thüringen und am Mittelmain (Gegend des Spessart) geliefert. Die landwirtschaftlichen Samen, hauptsächlich Futterkräuter, aber auch neue Getreidesorten, liefern Landwirte an die Großhändler, Grassaat aber auch die forstlichen Samenhändler aus Franken, Darmstadt und Thüringen, den größten Handel in Kleesamen treibt Preußisch-Schlesien. Der meiste Raigrassame kommt aus Schottland. Nordamerika liefert viel Holzsamen, England und Frankreich sowie in Deutschland hauptsächlich Ulm, Erfurt, Quedlinburg viele Gemüse. Der größte Handel mit Blumensamen hat sich in Erfurt und Quedlinburg vereinigt, doch ist er auch anderwärts, z. B. in Arnstadt, Aschersleben, nicht unbeträchtlich. Samen, die bei uns nicht vollkommen oder unsicher reisen, bezieht man aus Südfrankreich, seltener aus Italien (Neapel). Die Kultursamen unterliegen zahlreichen Fälschungen, indem minderwertige Samen der teurern Ware beigemischt, statt der verlangten edlen Samenart eine andre, geringere Art oder Varietät oder abgelegene Ware geliefert wird, der man durch künstliche Mittel das Ansehen preiswerter guter Ware zu geben versucht hat. Bei der Prüfung der Samen handelt es sich um Echtheit, Reinheit, Keimkraft, absolutes und Volumgewicht. Bei Hafer und Gerste kommt außerdem die Dicke (das Gewicht) der Spelze in Betracht, die bei ersterm 25–30 Proz. des Gesamtkorns nicht überschreiten sollte, sowie beim Weizen der Klebergehalt und die Backfähigkeit des Mehles. Als Verunreinigungen kommen Sand, Erdbröckchen, Spreu und fremde Samen vor. Die erlaubte Menge an fremden Bestandteilen in den Saatwaren ist, der heutigen hohen Ausbildung der Reinigungstechnik gemäß, sehr klein; sie beträgt für Mittelware bei Bohnen, Lupinen, Erbsen, Esparsette bis 0,5 Proz., bei Getreide, Saatwicken, Saatlein, Ackerspörgel, Runkel- und Zuckerrüben, Kiefern, Fichten, Raps, Rübsen bis 1 Proz., Kleearten, Serradella bis 1,5 Proz., schwedischem und Weißklee, Wundklee, Timothygras, Raigras bis 2 Proz., Wiesen- und Schafschwingel, Rispengras, Knäuelgras bis 5 Proz., Kammgras, Honiggras, Wiesenfuchsschwanz, Goldhafer, Fioringras bis 10 Proz. Weit gefährlicher sind die absichtlich beigemengten Samen, die vielfach, um den Betrug zu verdecken, durch Rösten getötet, dann gefärbt und geolt werden. Auch alt gewordene Samen werden oft gefärbt und geölt, um ihnen einen trügerischen Schein von Frische zu geben. Färbung erkennt man unter der Lupe, Ölung bisweilen durch den Geruch oder durch die Bildung von Fettflecken auf Seidenpapier, sicherer durch Behandlung der Samen mit Äther, den man auf Uhrgläschen verdunsten läßt, oder durch Kampfer. Zur Fälschung von Klee und Anis werden Steinchen von gleichmäßigem Korn gefärbt und bis zu 20 Proz. dem Samen beigemischt. Am gefährlichsten ist die Verunreinigung des Klees mit Kleeseide, deren größte Samen durch Sieben kaum vollständig zu entfernen sind. Für die Untersuchung der Samen ist die Beschaffung einer wahren Mittelprobe wichtig. Man benutzt dazu den von Nobbe angelegten Klee- und Kornprobenstecher (s. Fruchthändlerstock) und eine Spreufege, die eine schnelle und verlustlose Sonderung der Samen von Spreu etc. ermöglicht. Die Keimfähigkeit ist bei verschiedenen Samengattungen sehr ungleich, man nennt gute Saatware die, die im reinen Zustand bei Getreide, Wicken, Erbsen, Lupinen, Raps, Saatlein, Spörgel zu 95–100 Proz., bei Rotklee, Luzerne, Timothygras, Raigras, Zichorie, Fichte, Kiefer zu 85–95 Proz., bei schwedischem, Weiß-, Gelb- und Inkarnatklee, Wiesenschwingel, Fioringras, französischem Raigras zu 80 bis 90 Proz., bei Runkel- und Zuckerrüben (Samen), Wundklee, Esparsette, Serradella, Knäuelgras, Kammgras zu 70–80 Proz., bei Schafschwingel, Rispengras zu 50–70 Proz., bei Goldhafer, Honiggras, Wiesenfuchsschwanz zu 30–40 Proz. keimt. Bei der Keimkraftprüfung (Keimprobe) ist außer der Anzahl der in einer bestimmten Zeit zur Keimung gelangenden Samen (Keimkraft) auch die Schnelligkeit der Keimung (Keimungsenergie) zu beobachten. Zu derselben dient ein Keimbett aus mehreren Lagen angefeuchteten Fließpapiers, für genauere Untersuchungen haben Nobbe, Baur, Hannemann, Harz, Liebenberg u.a. Keimapparate konstruiert. Neben der Keimkraft ist das absolute Gewicht der Samen beachtenswert, da das Korn neben dem Keim die Reservestoffe für die erste Ernährung der Keimpflanze enthält. Ein gut ernährtes Keimpflänzchen ist widerstands- und entwickelungsfähiger als ein schlecht ernährtes. Schwerkörniges Saatgut liefert daher unter gleichen Umständen höhern Ertrag als mittel- oder leichtkörniges. Man bestimmt das absolute Gewicht durch Wägung von 2 oder 3.–4. 1000 Durchschnittskörnern, woraus sich dann die Zahl der Körner in 1 kg berechnet. Hierbei ist aber der Wassergehalt zu berücksichtigen, da dieser nicht selten betrügerisch erhöht wird. Auch das Volumgewicht (Hektolitergewicht) dient vielfach als Wertmesser des Saatgutes. Zur Ermittelung desselben dienen Probemaße, Fruchtwagen, Getreidequalitätswagen oder der von der kaiserlichen Normaleichungskommission in Berlin konstruierte automatische Einliterapparat, der das Einfüllen und Abstreichen so korrekt vollzieht, daß die Fehler wiederholter Bestimmungen auf 1/5-1/30 Proz. beschränkt bleiben. Zur Bestimmung der Sperrigkeit oder des Volumens der Gewichtseinheit dient Brauers Getreideprüfer. Für den Handel mit Zuckerrübensamen gelten die »neuen Magdeburger Normen«: 1) 1 kg Rübensamen soll in 14 Tagen wenigstens 70,000 Keime liefern. 2) Hiervon müssen in 6 Tagen wenigstens 46,000 Keime ausgetrieben sein. 3) Von 100 Samenknäueln müssen mindestens 75 gekeimt haben. 4) Der Wassergehalt ist bis 15 Proz. einschließlich normal; bei über 15–17 Proz. ist ein dem Gewicht entsprechender Prozentsatz zu vergüten. 5) Fremde Bestandteile sind bis 3 Proz. einschließlich gestattet; bis 5 Proz. einschließlich fremder Bestandteile bleibt die Ware noch lieferbar; es ist aber bei über 3–5 Proz. ein dem Gewichte der fremden Bestandteile entsprechender Prozentsatz zu vergüten. 6) Die Verletzung auch nur einer der Normen von[521] 1–5 macht die Ware nicht lieferbar. Vgl. Samenkontrollstationen.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 521-522.
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