Glatz [1]

[391] Glatz (böhm. Kladzko), 1) Grafschaft in der preußischen Provinz Schlesien, welche dort die beiden Kreise Glatz u. Habelschwert bildet u. auf 30 QM. 144,000 Ew. zählt; G. ist ringsum von Gebirgen umschlossen u. von deren Zweigen durchzogen; auf der Grenze gegen Schlesien stehen das Reichensteinergebirge, das Eulen- u. Hochwaldgebirge; gegen Böhmen das Heuscheuer-, Mense- u. Erlitzgebirge; gegen Mähren das Habelschwerter[391] u. Glatzer Schneegebirge; bewässert von der Glatzer Neiße u. ihren zahlreichen Nebenflüssen, darunter die Steina u. Biela; reich an Holz, Steinkohlen, Bausteinen u. Mineralquellen, letztere zu Reinerz, Chudowa, Langenau, Altheide etc.; das Niederland in den Thälern, bes. das Thal der Steina, ist sehr fruchtbar, auf dem Gebirge wird bes. Hafer u. Flachs gebaut; guter Viehstand, zahlreiche Schafheerden; die Gewerbthätigkeit hebt sich namentlich in Baumwollenspinnerei u. Weberei mehr u. mehr, sodaß selbst Dörfer große Fabriken besitzen. – Über den Besitz der Grafschaft G. war früher zwischen Böhmen u. Polen Streit, denn obgleich es Schlesien inne hatte, gehörte es eigentlich Polen. 1164 kam es bei der Theilung der Söhne Wladislaws II. an die Herzöge von Breslau. Diese gaben es verschiedene Mal an die Könige von Böhmen, dann an die Herren von Berka, dann an die von Wartenberg u. unter König Ottokar wieder an Böhmen; König Johann gab G. 1331 an Herzog Heinrich VI. von Breslau zurück, erhielt es aber 1335 nach dessen Tode mit dem Herzogthum wieder. 1341 gab Karl IV. G. an den Herzog Boleslaw I. von Münsterberg, worauf es die Familie Georgs Podiebrad bis 1500 besaß, wo sie es an die Grafen von Hardek versetzte, von Ferdinand I. wurde es 1537 eingelöst u. an Johann von Pernstein versetzt; Bischof Ernst von Salzburg brachte es an sich. Von dessen Nachfolger Herzog Ernst von Baiern lösten es die Böhmen 1567 ein u. schlugen es 1579 zur Krone Böhmen. 1623 schenkte Ferdinand. II. die Grafschaft seinem Bruder, dem Bischof Karl von Breslau, u. nach dessen Tode machte sie der Kaiser zu einer besondern Landschaft u. ließ sie von einem Landeshauptmann verwalten. 1742 trat Karl als König von Böhmen G. mit Niederschlesien an Preußen ab, dem es noch gehört. Vgl. Wedekind, Geschichte der Grafschaft G., Neurode 1857. 2) Kreis des preußischen Regierungsbezirks Breslau, umfaßt den nördlichen Theil der Grafschaft u. zählt auf 151/2 QM. 92,500 Ew., welche sich von Viehzucht, Landbau, Weberei, Bleichen, Bergbau u. Hüttenarbeit nähren. 3) Kreisstadt darin am linken Ufer der Neiße, Gymnasium, Seminar, Bürgerschule, Handwerksschule, Fabrikation von Tuch, Leinwand, Damast, Strumpfwaaren, Band, Leder; Zeugdruckerei; Freimaurerloge zu den drei Triangeln; 10,650 Ew. G. ist starke Festung u. nach alter Manier von Wall- u. Wassergraben umgeben. Die Bastionen sind abgerückt u. zum Theil in Form eines Lindenblattes gebaut. Über ihr liegt die sehr unregelmäßig mit dreifacher Enceinte befestigte Citadelle, deren höchster Punkt der casemattirte Donjon ist; auf dem rechten Neißeufer liegt der jenseit der Vorstadt tenalliirte, auch mit doppelter Enceinte versehene Schäferberg; das Terrain zwischen beiden kann durch Spannen der Neiße unter Wasser gesetzt werden, ebendaselbst liegt eine bedeutende Vorstadt. Auf beiden Neißeufern vor der Stadt befindet sich noch ein, aus einzelnen theils geschlossenen, theils offenen Werken bestehendes, befestigtes Lager, welches die Beschießung der Stadt von den nahen Höhen hindern u. zugleich eine feste Stellung für etwa 6–10,000 Mann gewähren soll. – G. ist angeblich unter König Heinrich I. an der Stelle eines Fleckens Lucca gebaut. 1049 wurde es vom Kaiser Heinrich III. vergebens belagert; 1056 vom Kaiser Konrad genommen u. die Besatzung größtentheils niedergemacht, 1114 von den Polen vergebens belagert; 1421 von den Hussiten belagert; 1557 vom Herzog Ernst von Baiern verstärkt; 1620 von den Jägerndorfern genommen, 1622 kam es wieder durch Capitulation des Grafen nach guter Vertheidigung an die Kaiserlichen u. wurde bedeutend verstärkt; 1638, 1642, 1643 u. 1645 vergebens von den Schweden berennt. Am 9. Jan. 1742 bekamen die Preußen diesen Platz unter Erbprinz Leopold von Dessau durch Capitulation, 1760 belagerte es Laudon u. den 26. Juli nahm General Harsch die Citadelle durch Überfall, indem die Österreicher zugleich mit den fliehenden Preußen in die Citadelle eindrangen. Friedrich der Große ließ die Werke von G. verstärken u. den Schäferberg bauen. 1807 belagerten es die Baiern u. Württemberger u. erstürmten das verschanzte Lager, u. die Festung sollte eben übergeben werden, als der Friede erfolgte.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 7. Altenburg 1859, S. 391-392.
Lizenz:
Faksimiles:
391 | 392
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika