Scorbut

[704] Scorbut (Scharbock), den Alten unbekannte Krankheit, in höhern Graden nur bei Seeleuten u. langen Seereisen vorkommend u. erst seit der Mitte des 16. Jahrh., am heftigsten auf den Schiffen des Vasco de Gama, allgemeiner u. häufiger geworden. Der S. besteht in einer allgemein abnormen Reproduction u. davon abhängenden fehlerhaften Vegetation, welche sich bes. in dem venösen Systeme ausspricht. Symptome: nachdem unter unbestimmtem, oft lange anhaltendem Unwohlsein eine große Mattigkeit, Unlust zu Geschäften u. Vergnügungen eine Zeitlang angedauert haben, wird der Athem kurz u. keuchend, die Gesichtsfarbe mißfarbig mit blaugrünlichen Ringen um die Augen, die äußere Haut spröde, trocken, gespannt u. zuweilen eigenthümlich glänzend; es zeigen sich bald früher, bald später auf ihr braunrothe, violette Flecken von verschiedener Größe, zuerst an den untern Extremitäten, welche sich immer mehr ausdehnen, unter sich zusammenfließen, mißfarbiger werden u. zuletzt einen schwärzlichen Rand bekommen. Im Gesicht kommen sie fast nie vor, breiten sich aber wohl von den untern Extremitäten auf den Unterleib u. die Arme aus; in heißen Klimaten entstehen statt ihrer mehr weißliche Geschwülste u. wässerige Ansammlungen im Zellgewebe. Schon sehr bald entsteht ein übler Geruch aus dem Munde, das Zahnfleisch fängt an zu jucken, wird bald schwammig, übelriechend, wie mit Schmutz überzogen u. blutet bei jeder leichten Berührung, daher beim Kauen; der Kranke läßt einen trüben, bräunlichen, schnell in Fäulniß übergehenden Urin. Das Sehvermögen nimmt bedeutend ab; das auf irgend einem Wege ausgeleerte Blut enthält offenbar viel Kohlenstoff, ist dick u. schwarz, bedeckt sich mit einem grünen Häutchen u. geht schnell in Fäulniß über. Die Eßlust vermindert sich; häufig wird ein großes Verlangen nach frischen, grünen Gemüsen rege. Später leidet der Kranke sehr an heftigen Schmerzen in den Gliedern u. Knochen, bes. aber im Kniegelenk, welches anschwillt u. unbeweglich wird u. worin sich ein Gliedschwamm ausbildet, auch an heftigen Kolikschmerzen mit krampfhaft eingezogenem Nabel, After- u. Leibesverstopfung. Das Zahnfleisch zieht sich von den Zähnen zurück, entblößt dieselben, sie werden locker, schwarz u. fallen aus, worauf selbst Beinfraß der Kinnladen folgt. Der Kranke ist endlich fast zu gar keiner Muskelbewegung mehr fähig, wird öfter ohnmächtig u. wohl auch an den untern Extremitäten gelähmt. Der schwache Puls wird immer träger u. schwächer. Es zeigen sich nun Blutungen, als Bluthusten, bei immer mehr zunehmender Kurzathmigkeit, Blutbrechen, blutiger Durchfall, Blutharnen, bes. aber aus dem Zahnfleische u. überhaupt aus der ganzen Mund- u. Rachenhöhle. Oft bilden sich auch Geschwüre in den weichen Theilen, am häufigsten an den Waden, Schenkeln, bes. aus den weit verbreiteten, mit Blut unterlaufenen Stellen. Im noch weitern Verlaufe erreichen diese Zufälle den höchsten Grad, die höchste Erschöpfung mit Gelbsucht u. Wassersucht tritt ein; die Blutflüsse werden häufiger u. stärker, es entstehen allgemeine Lähmungen, Ohnmachten; einzelne Theile werden brandig. Durch diesen Brand, od. durch die häufigen Blutflüsse, od. durch Erschöpfung erfolgt endlich der Tod. Der S. auf Schiffen (Seescorbut) verläuft am raschesten, der auf dem Lande (Landscorbut) weit langsamer u. erreicht selten die höhern Grade; letzter charakterisirt sich namentlich[704] durch das eigenthümliche Leiden der Mund- u. Rachenhöhle, ohne die Constitution so allgemein zu ergreifen, wie der erstere, durch Blutfleckenkrankheit, Geschwüre in den weichen Theilen, Mundfäule (s.d.); er verbindet sich wohl auch mit andern Krankheiten, Gicht, Syphilis etc. Die Leichenöffnung Scorbutischer zeigt immer Spuren eines fast gänzlich aufgehobenen Vegetationsprocesses, allgemeine faulige Auflösung des Bluts, Wassersammlungen etc. Die Ursachen des S-s sind verdorbene animalisirte Luft in den eingeschlossenen Schiffsräumen, Mangel an frischem Wasser, frischen, bes. vegetabilischen Nahrungsmitteln, ununterbrochener Genuß stark gesalzener u. geräucherter Fleischspeisen, eines verdorbenen Wassers, Mangel an körperlicher Bewegung, niederdrückende Gemüthsaffecten. Übrigens kommt der Seescorbut häufiger in den nordischen als den südlichen Gewässern vor. Der endemische Landscorbut findet sich bes. an den nördlichen Seeküsten Europas. In den Binnenländern kommt wohl der S. bei anhaltend nasser u. feuchter Witterung u. bei Hungersnoth epidemisch vor. Der Mißbrauch mancher Arzneimittel, zumal des Opiums, bes. des Mercurs, bringt einen dem S. fast ganz gleichkommenden Zustand (Mercurialkrankheit) hervor. Besondere Anlage zum S. besitzen schlaffe, atonische Constitutionen u. das phlegmatische Temperament. Die Prognose im S. ist im Allgemeinen günstig. Die Kranken erholen sich oft rasch, wenn sie den noch fortwirkenden Schädlichkeiten entzogen werden, ans Land kommen, od. frische säuerliche Früchte zu genießen erhalten. Der Landscorbut erreicht selten einen sehr gefährlichen Grad, außer bei Complicationen mit Gicht, Syphilis etc. Die Behandlung des S-s ist eine prophylaktische u. eine therapeutische. Die prophylaktische beruht auf Schiffen auf der Sorge für die größte Reinlichkeit des innern Schiffraums, Lüftung desselben, Unterhaltung einer heitern Gemüthsstimmung, gehörige Bewegung, für gutes, reines, hinlänglich Kohlensäure haltendes Trinkwasser od. den Ersatz desselben durch natürliche u. künstliche kohlensaure Mineralwasser, Malztrank, Wein; ferner für frische, gute, unverdorbene, vegetabilische Nahrungsmittel, bes. antiscorbutische Pflanzen, Senf, Rettig, Meerrettig, Löffelkraut, Sauerampfer; bes. zu empfehlen sind Sauerkraut, Bouillontafeln, Citronensaft, möglichste Einschränkung des Genusses des Pöckelfleisches. Die therapeutische Behandlung hat die fehlerhaft gemischten Säfte zunächst durch die angegebenen diätetischen Mittel zu verbessern; bei hohen Graden der Schwäche mehr durch bittere aromatische Mittel, China, Kalmus, Mineralsäuren. Äußerlich wendet man Waschungen mit kaltem Wasser u. geistigen Mitteln an. Gegen das örtliche Leiden in der Mund- u. Rachenhöhle nützen Gurgelwasser aus adstringirenden Rinden u. Wurzeln mit Löffelkrautspiritus, Alaun, Chlor; eben solche Mittel bei den scorbutischen Geschwüren, bes. aber hier das Auflegen gährender Substanzen, Bierhefen, Carottenbrei, Citronensaft; starke Blutungen aus innern u. äußern Theilen erfordern stark zusammenziehende Mittel, Alaun etc. Unter die Hauptmittel gegen den Seescorbut soll die Brühe u. das Fleisch von Schildkröten gehören.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 15. Altenburg 1862, S. 704-705.
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