Tory u. Whig

[707] Tory u. Whig (Plur. Tories u. Whigs, spr. Tohrihs u. Wuiks), englische Parteinamen, gegenwärtig der erstere im Allgemeinen für die aristokratische, der letztere für die liberale Partei gebräuchlich. Beide Namen entstanden unter Karl I. u. sind somit seit länger als zwei Jahrhunderten in Aller Munde, während ihre Etymologie u. ursprüngliche Bedeutung nicht mit Sicherheit zu ermitteln ist Nach der gewöhnlichen Annahme war Tory ein celtisches od. ersisches Schimpfwort u. bedeutete Räuber (von toree, gieb her), welches die englische Volkspartei den royalistischen irländischen, sich theilweis vom Raub nährenden Banden Karls I. beilegte, wiewohl das Wort als Bezeichnung der vorzugsweise aristokratischen od. königlichen Partei erst unter Karl II. allgemeiner in Aufnahme kam, nach Andern soll dieser ursprünglich den irischen Banden beigelegte Name von Tarary (d.i. Komm o König!) abgeleitet sein; nach Andern stammt es von dem ersischen torach (d.i. königlich) od. toirach (d.i. geistlich). Da die Anhänger des Parlaments ihre festeste Stütze in den schottischen Puritanern hatten, so wollte die königliche Partei sie durch einen Spitznamen der schottischen Bauern bezeichnen u. wählte dazu das Wort Whig, welches entweder von dem gaelischen Whig-gamor (d.i. Pferdetreiber), einer Bezeichnung der westschottischen Bauern von einem Ruf Whigam beim Treiben der Pferde, od. (nach Johnson) von Whig (d.i. Molken, dem Lieblingsgetränke jener Bauern) herzuleiten ist, während in neuester Zeit das Court Journal die Behauptung aufgestellt hat, Whig sei aus den Anfangsbuchstaben der Losung einer frommen Partei zur Zeit Cromwells entstanden: We hope in God (d.i. Wir hoffen auf Gott), ähnlich wie der Name des Ministerium Cabal (s.d.). Beide Spitznamen wurden jedoch erst unter Karl II. bei den Streitigkeiten zwischen König u. Volk allgemein, bes. bei der den Katholiken Schuld gegebenen Verschwörung gegen den König 1678, wo die, welche die Verschwörung für erdichtet hielten, T., die aber, welche daran glaubten, Whig hießen. So blieb es, bis Jakob II. von seinem Schwiegersohn Wilhelm III. verjagt wurde, wo die Whigs, die königliche od. herrschende Partei, u. ein Whigministerium, Marlborough an der Spitze, herrschte; die T. aber waren die Stuartische Opposition. Dies währte, bis die Königin Anna nach einem heftigen Streit mit der Herzogin von Marlborough, Gemahlin des Hauptes der Whigpartei, u., im Herzen schon längst torystisch gesinnt, die Torygrundsätze annahm u. 1811 ein Toryministerium an die Regierung brachte, welches nun in Übereinstimmung mit dem Volkswünsche 1712 den Utrechter Frieden schloß. Als nach Annas Tode das Haus Hannover 1714 mit Georg I. an die Regierung kam, stellte dieser, weil ihm die Whigs zur Krone verholfen hatten, wieder ein Whigministerium auf. Unter Georg I. u. Georg II. änderten sich die Verhältnisse, u. die Namen wendeten sich um, indem man zu Ende der Regierung Georgs II. den aus den Whigs hervorgegangenen u. Haß gegen die Stuarts u. den Katholicismus noch hegenden Minister Robert Walpole u. dessen Nachfolger schon T. nannte, u. so hießen nun Tories die Anhänger u. Vertheidiger des Königthums. Konnte keine Partei eine entscheidende Stimmenmehrheit im Parlament erlangen, so wurde ein Coalitionsministerium versucht, d.h. aus beiden Parteien die vorzüglichsten Köpfe ausgewählt u. zu Ministern erhoben, z.B. das Ministerium North. Von 1782 an wechselten immer Tory- u. Whigministerien mit einander ab, von erstern waren die Ministerien Pitt, Herzog von Portland, Castlereagh, Goderich, Wellington, Peel, Aberdeen Derby, von letztern Fox, Canning, Gray, Melbourne, Russel u. Palmerston. Während der langen Regierung Georgs III. (1760–1820),[707] wo die Tories nur mit wenigen kurzen Unterbrechungen das Staatsruder in den Händen hatten, wurden die Whigs immer mehr zur Opposition getrieben u., um das Übergewicht ihrer politischen Gegner im Unterhause zu brechen, zur Befürwortung der Parlamentsreform veranlaßt, welche sie endlich 1832 durchsetzten (s. Großbritannien S. 693). Dadurch wurde eine dritte, die eigentliche Volkspartei, auf den politischen Schauplatz gerufen, deren Auftreten die frühern Parteiverhältnisse von Grund aus umgestaltete. Zunächst recrutirten die Tories, als fürs Erste bedroht, im Lager der Whigs, wurden aber bald durch den Austritt Peels u. seiner Parteigenossen selbst getrennt, während sich die Whigs noch einige Zeit mit Hülfe der Radicalen hielten, bis das von ihnen gebildete Ministerium Russel sich im Februar 1852 auflöste u. von einem Toryministerium Derby abgelöst wurde, worauf 28. Decbr. 1852 eine Coalition zu Stande kam, das sogenannte Ministerium aller Talente), in welchem Tories u. Whigs, Peeliten u. Radicale neben einander saßen. Seitdem gelten Tories u. Whigs eigentlich nur noch als historische Existenzen. Als solche betrachtet zerfallen immer noch T. u. Whigs in mehre Fractionen; die T. hauptsächlich in strenge T. (Hochtories), welche das Fortbestehen des Alten u. der Rechte der Aristokratie, strengen Gehorsam gegen die Krone, ausschließliche Vorrechte der Anglicanischen Kirche, der Sinecuren, Fortdauer der bisherigen parlamentarischen Formen u. des Handelsschutzes durch Zölle, kurz Fortdauer des Bestehenden; u. in gemäßigte T., welche eine Abänderung des Bestehenden, aber höchst vorsichtig, für räthlich u. nöthig halten. An diese grenzen die gemäßigten Whigs, welche Gleiches, aber rascher; endlich wünschen die Reformers, welche eine noch größere Parlamentsreform, als die bisherige, jährliche Wahlen, Aufhören der Zölle etc. für nöthig erachten, die königliche Gewalt nur in der Bewilligung des Volks begründet glauben u. meinen, daß das Parlament im Nothfall den König u. seine Nachkommenschaft von der Krone ausschließen könne. Vgl. Rapin, Dissertation sur les Whigs et les Torys, Haag 1717.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 17. Altenburg 1863, S. 707-708.
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