Ususfructus

[317] Ususfructus (Nießbrauch), das Recht von einer Sache alle Früchte u. Nutzungen (Fructus) zu ziehen u. alle Arten des Gebrauches (Usus) davon zu machen. Das Recht des U. steht zunächst jedem Eigenthümer zu, weil das Eigenthum das Recht der absoluten Herrschaft über die dem Eigenthümer gehörige Sache bildet u. darin nothwendig die mit dem U. verbundenen Befugnisse inbegriffen sind. Den U. in dieser Gestalt nannten ältere Juristen wohl den U. causalis od. U. materialis, zum Unterschied von dem U. formalis als demjenigen Nießbrauchsrechte, welches Einem an einer Sache zusteht, an welcher er nicht zugleich das Eigenthumsrecht hat. Als ein solches besonderes Recht kann der Nießbrauch sowohl vermöge Vertrags, als auch als ein eigenes dingliches Recht erworben werden. Der Nießbrauch der letzteren Art ist der U. im engern Sinne, wie er namentlich in den Quellen des Römischen Rechtes als eine besondere persönliche Servitut vorkommt. In dieser Bedeutung ist U. das einer bestimmten Person zustehende Recht an einer fremden, nicht verbrauchbaren Sache auf den von dieser Sache durch Gebrauch u. Fruchtgewinn, ohne Verbrauch derselben, zu ziehenden Nutzen. Der Berechtigte heißt Usufructuarius (Fructuarius, Nießbraucher, Nutznießer), da die Fruchtbeziehung nothwendig auch den Gebrauch der Sache in sich begreift; das Eigenthum, welchem mit dem Rechte der Nutznießung einstweilen sein wesentlichster Vortheil entzogen ist, wird, so lange diese Beschränkung besteht, Proprietas nuda, der Eigenthümer Proprietarius od. Dominus proprietatis genannt. Die Entstehung des Nießbrauchs kann durch Vertrag, Testament, auch unmittelbar durch Gesetz erfolgen. Letzter Art ist z.B. der U. paternus, der Nießbrauch des Vaters an dem Vermögen der seiner väterlichen Gewalt unterworfenen Kinder, u. der U. maritalis, der Nießbrauch, welchen nach vielen deutschen Landesgesetzen der Ehemann am Vermögen seiner Ehefrau hat. Der U. ist ein theilbares Recht, er kann auch nur auf einen intellectuellen Theil der Sache beschränkt sein. A) Die Rechte[317] des Nutznießers bestehen a) in Betreff der Nutzung der Sache der Regel nach in der Befugniß diese, mit Ausschließung des Eigenthümers, allein innezuhaben u. zu gebrauchen u. ohne Beschränkung auf sein persönliches Bedürfniß die Früchte davon zu ziehen u. zu genießen. Unter den Früchten sind nicht blos die natürlichen (Fructus naturales), welche durch die Naturkräfte hervorgebracht werden, sondern auch die bürgerlichen (Fr. civiles), wie Zinsen u. Pachtgelder, inbegriffen. Beschränkt ist der Nutznießer dabei blos in der Weise, daß er allenthalben nur so nutzen darf, wie ein verständiger u. sorgsamer Eigenthümer die Sache nutzen würde, u. daß er darauf Rücksicht zu nehmen hat, daß die Sache dereinst nach beendigtem U. dem Eigenthümer zu restituiren ist. Die natürlichen Früchte erwirbt der Nutznießer durch Perception, junge Thiere sofort durch die Trennung vom Mutterthier. Das Recht der Perception tritt sofort heim Beginne des Nießbrauchs ein u. erstreckt sich daher auf alle in diesem Zeitpunkt noch mit der Hauptsache verbundenen Fruchterzeugnisse, wogegen aber auch die zur Zeit der Endigung des Nießbrauchs noch nicht gewonnenen Früchte wieder dem Eigenthümer zufallen. Auch die Ausbeute von Steinbrüchen, Bergwerken etc. gebührt dem Usufructuar; dagegen erwirbt er nicht den während des Nießbrauchs durch Alluvion dem Grundstück entstandenen Zuwachs, welcher vielmehr nach dem Jus accessionis dem Eigenthümer zufällt, wenn auch der Nießbrauch sich auf ihn mit erstreckt. Bürgerliche Früchte sind in der Regel nach Verhältnis der Dauer des Nießbrauches zwischen dem Eigenthümer u. Nutznießer zu theilen; sind sie aber nur ein Ersatz für zu ziehende natürliche Früchte, so richtet sich die Vertheilung danach, wie sich die letzteren bei der wirklichen Perception durch den Usufructuar vertheilt haben würden. Bei Waldungen kommt es darauf an, zu welchem Zwecke sie bestehen. Sollten dieselben nicht zum Holzschlag bestimmt sein, so darf auch der Usufructuar sich nicht an ihnen vergreifen; bildet dagegen bei einem Walde der Holzertrag ein regelmäßiges Emolument des Eigenthümers, so fällt derselbe auch dem Usufructuar zu, sofern er nur dabei die forstwirthschaftlichen Regeln einhält, welche für Gehölze der fraglichen Art in der Gegend von allen verständigen Eigenthümern befolgt werden. b) In Betreff der Verfügung über die Sache selbst ist der Nutznießer insoweit beschränkt, daß er ohne Einwilligung des Eigenthümers die Sache weder ganz verbrauchen, noch auch solche wesentliche Veränderungen mit derselben vornehmen darf, welche nicht durch den Zweck ordnungsmäßiger u. ihrer Bestimmung entsprechender Benutzung gerechtfertigt werden. Der Usufructuar darf daher weder solche Veränderungen mit der Sache vornehmen, durch welche dieselbe verschlechtert, d.i. ihr Marktpreis verringert wird, noch solche, welche der Sache eine ganz andere Gestalt geben, selbst wenn dadurch eine größere Brauchbarkeit od. ein größerer Nutzertrag herbeigeführt werden sollte. Auf der andern Seite kann aber der Nutznießer auch dem Eigenthümer jede Änderung der Sache untersagen, durch welche seine Nutzung beeinträchtigt werden würde. c) Über sein Recht selbst kann der Usufructuar nach Belieben verfügen, indem er die Ausübung desselben, entgeltlich od. unentgeltlich, für die Dauer des Nießbrauchs einem Andern übertragen kann. Indessen bildet das Object dieser Übertragung dann nicht den U. selbst, so daß der Andere nun an seiner Statt U. würde, sondern nur das sogen. Exercitium ususfructus. B) Die Verbindlichkeiten des Usufructuars bestehen darin, daß er die Sache immer mit Rücksicht auf möglichste Erhaltung der unveränderten Substanz derselben u. in gutem Stande zu erhalten beflissen sein muß. Er muß daher z.B. bei Gebäuden die gewöhnlichen Reparaturen, bei Thieren die Kosten der gewöhnlichen Pflege u. Fütterung bestreiten, eine Heerde durch Ergänzung aus den Jungen vollzählig erhalten, Waldungen, Weinberge u. Obstpflanzungen durch Nachpflanzen in der ursprünglichen Vollständigkeit erhalten. Auch hat er die Abgaben u. Lasten zu tragen. Bei Nachlässigkeit haftet er für Omnis culpa; für außergewöhnlichen Schaden hat er nicht einzustehen, ebensowenig für solche Werthsabminderungen, welche die Zeit u. die angemessene Nutzung unvermeidlich von selbst mit sich bringt. Nach Endigung des U. hat er die Sache herauszugeben u. wegen verschuldeter Zerstörung od. Abwerthung Ersatz zu leisten. Um wegen aller dieser Verbindlichkeiten eine Sicherung zu haben, ist der Usufructuar endlich auch verpflichtet dem Eigenthümer od. demjenigen, an welchen die Sache nach Beendigung des Nießbrauchs zurückfällt, eine Cautio usufructuaria, der Regel nach durch Realcaution, zu bestellen. Befreit von dieser Caution sind jedoch der Nutznießer, welchem die Proprietät nach beendigtem Nießbrauch mit Gewißheit selbst zufällt, der Vater als Usufructuar an den Bona advectitia seiner Kinder, der Mann rücksichtlich des ihm in dotem gegebenen Nießbrauchs, der Schenker, welcher sich den Nießbrauch an der geschenkten Sache vorbehielt, u. der zur zweiten Ehe schreitende Gatte rücksichtlich des ihm verbleibenden Nießbrauchs an den damit den Kindern erster Ehe zufallenden Immobilien. Auch kann die Caution freiwillig erlassen werden. Aller Verbindlichkeiten kann sich der Nutznießer sofort dadurch erledigen, daß er sein Recht ganz aufgibt. Im späteren Römischen Recht wurde neben dem eigentlichen U. auch ein Quasi-U. dadurch ausgebildet, daß man, nachdem durch ein besonderes Senatusconsult erklärt worden war, daß an allen Vermögensgegenständen der U. vermacht werden könnte, auch in Ansehung verbrauchbarer Sachen ein dem wahren U. analoges Verhältniß anerkannte, in der Weise, daß solche Sachen in das Eigenthum desjenigen, welcher die Nutznießung haben soll, übertragen werden, mit der Verpflichtung dereinst, wenn der Fall eintritt, welcher dem wahren U. ein Ende machen würde, dieselbe Quantität von Sachen derselben Gattung od. deren Geldwerth dem herauszugeben, welchem beim wahren U. deren ursprünglicher Gegenstand herauszugeben wäre. Auf diese Verpflichtung ist dann die auch hier zu leistende Caution gerichtet. Der Begriff des Quasi-U. ist selbst auf Forderungen ausgedehnt worden (U. nominum). In Beziehung auf Sachen, welche an sich des wahren U. nicht schlechthin unfähig, jedoch der Gefahr wesentlich entwerthender Abnutzung unterworfen sind, z.B. Kleider, läßt sich sowohl die Bestellung eines wahren U., als eines Quasi-U. denken.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 18. Altenburg 1864, S. 317-318.
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