Epilepsie

[675] Epilepsie (die), fallende Sucht, Fallsucht, Staupe, das böse Wesen, heißt eine der hartnäckigsten Krankheiten, welche oft unheilbar ist und den Menschen seines Daseins wenig froh werden läßt. Sie ist ein Nervenleiden, das sich in einzelnen, von freien Pausen getrennten Anfällen äußert und während dieser hauptsächlich durch Bewußtlosigkeit und eine Verbindung von krampfhaften Zuckungen mit Starrkrampf ausspricht. Diese einzelnen Anfälle treten mit und ohne Vorboten ein. In ersterm Falle hat der Kranke das Gefühl, als ob ein heißer oder kalter Luftzug aus den Füßen oder Händen nach dem Gehirn aufsteige, worauf, wenn er dieses erreicht zu haben scheint, sogleich das Bewußtsein schwindet, oder aber einzelne Zuckungen im Gesicht und in den Gliedmaßen, Gähnen, Zittern und Recken der Glieder, Niesen, Zusammenlaufen des Speichels im Munde, Sinnestäuschungen mannichfacher Art u.s.w. verrathen den bevorstehenden Anfall. Tritt dieser dagegen plötzlich ohne alle Vorboten ein, so stößt der Kranke gewöhnlich einen eigenthümlichen Schrei aus, stürzt, nachdem er einige Schritte vorwärts getaumelt ist, oder sich ein Paar Mal im Kreise herumgedreht hat, zu Boden (wobei er sogleich das Bewußtsein verliert) und beginnt mit Armen und Beinen zu zucken und um sich zu werfen, bis er am ganzen Körper starr und steif wird. Dabei ist das Auge stier oder rollt auch wild umher, die Pupille erweitert, unbeweglich, das Gesicht verzerrt; es tritt Schaum vor den Mund, die Kinnladen werden durch den heftigsten Krampf gegeneinander gepreßt, nicht selten dadurch die Zunge eingeklemmt, ferner die Daumen in die geschlossene hohle Hand eingeschlagen, der Athem ist kurz, keuchend, röchelnd, der Kranke stößt von Zeit zu Zeit unverständliche Worte oder unarticulirte Schreie aus oder bleibt auch völlig lautlos. Allmälig läßt der Starrkrampf wieder nach und es treten neue, jedoch minder heftige Zuckungen ein als zuvor. Poltern im Leibe, Abgang von Blähungen, Erbrechen und ein tiefer schnarchender Schlaf beenden den Anfall. Der Kranke kommt allmälig wieder zu sich, weiß jedoch nicht, was mit ihm während des Anfalles vorgegangen, fühlt sich matt und angegriffen, klagt über Kopfschmerz und hat noch eine kurze Zeit ein verstörtes Ansehen. Die Dauer solcher Anfälle ist verschieden, beträgt aber höchstens eine Viertel- oder halbe Stunde; sie wiederholen sich in sehr verschiedenen, bald regelmäßigen, bald unregelmäßigen Zwischenzeiten, täglich, des Tages mehre Male, aber auch erst in mehren Wochen und Monaten und treten bald ohne alle wahrnehmbare Veranlassung, bald in Folge von Gemüthsbewegungen, Berauschungen u.s.w. ein. Die unheilbare Epilepsie geht gern in Geisteskrankheiten, namentlich in Blödsinn und Tobsucht über. Auch zeigt dieses Übel eine auffallende Geneigtheit zu Rückfällen und wird zuweilen plötzlich durch Schlagfluß und Erstickung tödtlich, die während eines Paroxysmus eintreten. Eine große Ähnlichkeit der einzelnen Anfälle unter sich, das sehr plötzliche Eintreten derselben, zumal wenn sie nur während der Nacht vorkommen, die bereits lange Dauer der Krankheit, das Entstehen derselben in Folge von Einwirkungen des Gemüths, eine bereits bemerkbare Geistesschwäche, die Erblichkeit, das Vorkommen des Übels bei Männern mittlern Alters gewähren am wenigsten Hoffnung zur Heilung, eher läßt sich diese erwarten, wenn die Krankheit im Knabenalter sich zeigt, und von der Gegenwart von Würmern, von Verdauungsstörungen u.s.w. abhängt. Die Epilepsie ist oft auch angeboren und dann meist eine Folge von Gemüthsbewegungen, denen die Mutter während der Schwangerschaft ausgesetzt war. Außerdem begründen das weibliche Geschlecht, ein schwaches, sehr reizbares Nervensystem, die verschiedenen Entwickelungsepochen des Körpers, die Schwangerschaft, eine durch Ausschweifungen aller Art herbeigeführte allgemeine Schwäche eine vorwaltende Neigung, von der Krankheit befallen zu werden. Beim Vorhandensein solcher Anlagen, zuweilen aber auch ohne sie, geben dann heftige Gemüthsbewegungen, insbesondere Schreck, Zorn, große Angst und Furcht, eine starke Berauschung, übermäßige körperliche Anstrengungen, Kopfverletzungen, heftige Schmerzen, starker Blutverlust, zuweilen auch bei Erwachsenen die Gegenwart von Würmern u.s.w. die nächste Veranlassung zum Ausbruche des Übels. Die Behandlung des Leidens zerfällt in die Sorge, welche man dem Kranken während eines Anfalls zu Theil werden läßt, und in die eigentliche Behandlung der ganzen Krankheit. Hier muß zunächst gewarnt werden vor dem Versuche, den Anfall durch Binden des Kranken verhüten zu wollen, abgesehen davon, daß dies nicht einmal den gewünschten Erfolg hat, steigert es die Angst des Kranken auf das Höchste; ebenso nachtheilig ist das Ausbrechen der eingeschlagenen Daumen, im Gegentheil thue man nichts, um den Anfall zu unterbrechen oder abzukürzen, sondern sorge nur dafür, daß sich der Kranke nicht beschädigen könne, bringe ihn daher auf eine zu ebener Erde ausgebreitete Decke und schütze ihn so viel als möglich durch ringsum aufgestellte Kissen, löse alle beengenden Kleidungsstücke, wie Halsbinden, Hosenträger, Schnürbrüste, Gürtel, Kniebänder, entferne Ringe und dergleichen leicht beschädigende Dinge, und überlasse den Kranken sich selbst. Arzneien und Riechmittel anzuwenden, scheint nicht rathsam, auch ist der Kranke nur selten im Stande, etwas zu verschlucken. Ist der Anfall vorüber, so reicht man dem Kranken eine Tasse Pfeffermünzthee oder einen Löffel guten Weines und läßt ihn wohl zugedeckt im Bette ausruhen. Die Wahl der Mittel zur versuchsweisen Heilung der Gesammtkrankheit überlasse man ganz einem verständigen Arzte. Kaum dürfte es eine andere Krankheit geben, gegen welche man so viele Volks-, Haus- und Geheimmittel empfohlen hätte, und Aberglaube und Vorurtheil haben die seltsamsten in Ruf gebracht. So ist z.B. der Volkswahn bekannt, nach welchem von dem bösen Wesen Befallene dadurch geheilt werden sollen, daß sie von dem Blute eines eben hingerichteten Verbrechers trinken und dann von zwei Reitern in die Mitte genommen, so lange mit höchster Anstrengung laufen, wie ihre Kräfte ausreichen. Außerdem hat man zu Beschwörungen, Besprechungen und sympathetischen Curen aller Art seine Zuflucht genommen.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 675.
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