Gährung

[131] Gährung ist eine merkwürdige Umwandlung (chemischer Proceß), welche organische (d.h. Pflanzen- und Thier-) Körper bei angemessener Temperatur in Verbindung mit Wasser und zum Theil unter Einfluß der Luft, ohne besonderes Zuthun erleiden. Man unterscheidet die geistige, die saure und die faule Gährung. Bei der geistigen Gährung scheidet sich theils an der Oberfläche der gährenden Flüssigkeit, theils auf dem Boden des Gefäßes ein eigenthümlicher Stoff: Gährungsstoff, Hefe oder Ferment aus. Die Hefe ist trocken eine bräunliche, hornartig durchscheinende, feste, jedoch leicht zerbrechliche und zerreibliche Masse ohne Geschmack, welche bei chemischer Zerlegung sich als eine Zusammensetzung von Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff erweist. Zum Eintritte der geistigen Gährung ist erfoderlich, daß gährungsfähiger Zucker oder Stärkemehl in einer wenigstens noch einmal so großen Quantität Wasser enthalten ist; daß eine organische, stickstoffhaltige Substanz, frische Hefe, Ferment (frisches Eiweiß, frischer Käse, gefaulter Mehlteig, Hausenblaselösung u. dgl.) in der Flüssigkeit in geringer Menge vorhanden ist; daß endlich die Flüssigkeit eine Temperatur von 7 bis 18° R. hat. Der Luftzutritt ist nur beim Anfange der Gährung nöthig, später ist er hinderlich. Die geistige Gährung wird verhindert durch Weingeist, mehr noch durch Kochsalz, Senfpulver und besonders ätherisches Senföl. Die durch geistige Gährung gewonnenen Flüssigkeiten werden im Allgemeinen Weine genannt, doch heißen so vorzugsweise die aus Trauben gewonnenen Flüssigkeiten, während Getreide Bier, Honig Meth, Äpfel Cyder u.s.w. geben. Die bei dieser Gährung auftretenden Erscheinungen sind folgende: Der in der Flüssigkeit enthaltene Zucker wird in Kohlensäure, die unter Aufbrausen mit zischendem Geräusche entweicht, und Weingeist zersetzt, wobei die Temperatur steigt, die Flüssigkeit sich trübt und Hefe ausscheidet. Dies dauert so lange fort, bis aller Zucker zerlegt ist; dann lagert sich die Hefe ab, die Flüssigkeit wird klar und hat den süßen Geschmack verloren und dagegen weinigen Geschmack und Geruch angenommen. Der stechende, prickelnde Geschmack der neuen Weine rührt von der noch in der Flüssigkeit zurückgebliebenen Kohlensäure her, und hält man die Kohlensäure durch Abschließung des gährenden Weines ab, zu entweichen, so erhält man die stark Kohlensäure haltigen mussirenden Weine, Champagner. (S. Champagne.)

Unter saurer Gährung versteht man die unter gewissen Bedingungen eintretende Umwandlung des Weingeistes in Essigsäure. Alle Weingeist enthaltenden Flüssigkeiten werden durch diese Gährung (eigentlich eine langsame Verbrennung des Weingeistes) in Essig verwandelt. Die Bedingungen, unter denen sie eintritt, sind, daß wässerige, weingeisthaltige Flüssigkeiten, z.B. Wein, Bier u. dgl., in Verbindung mit stickstoffhaltigen organischen Substanzen (Hefe, Kleber, fertigem Essig, Essigmutter, Weintrester, Kartoffelschalen, Spähnen) einer Temperatur von 20° bis 30° R. in besonders dazu vorgerichteten Gefäßen ausgesetzt werden.

Nachdem die organischen Körper die weingeistige und saure Gährung durchgemacht, gehen sie zuletzt in die faule Gährung, Fäulniß über. Indeß erleiden viele Körper auch die faule Gährung, verfaulen, ohne vorher eine andere Gährungsstufe durchgemacht zu haben. Wasser, Wärme (in sehr geringem [131] Grade) und Luftzutritt sind Bedingungen. Es entwickeln sich bei derselben Kohlensäure, Kohlenwasserstoff, Hydrothionsäure, Ammoniak, welche mit übelriechenden organischen Stoffen vermengt, einen sehr widerlichen Geruch erzeugen. Die Gasentwickelung dauert fort, bis zuletzt eine moderhaltige Erde übrig bleibt. Um die Körper vor Fäulniß zu schützen, entfernt man die Luft von ihnen, trocknet sie aus, bringt sie in die Kälte oder behandelt sie mit Kohle, Salz u.s.f. Man packt z.B. Fische, Lerchen u. dgl., um sie zu verschicken oder längere Zeit aufzubewahren, in Kohlenpulver, Fleisch und Fische (Heringe z.B.) salzt man ein oder räuchert sie. Anatomische Präparate werden in Weingeist aufbewahrt. Der wirksamste Stoff zu Abhaltung der Fäulniß ist Kreosot (s.d.). Auch der Elektricität hat man sich zu Abwendung der Fäulniß bedient. Ist nur wenig Wasser vorhanden und die Luft fast ganz abgeschlossen, so erfolgt nicht Fäulniß, sondern Verwesung der stickstoffhaltigen organischen Körper. Pflanzenkörper verwandeln sich im Schoos der Erde, wo die Luft ausgeschlossen ist, in bituminöse, versteinerte Hölzer, Torf, Erdharz u.s.w. Organische Stoffe, die keinen Stickstoff enthalten, wie Holz, zerfallen ohne übelriechende Gase zu entwickeln, durch Luft und Feuchtigkeit, welcher Proceß das Vermodern ist. Man hat außer den erwähnten auch noch andere Arten der Gährung unterschieden, namentlich die schleimige Gährung. Unter dieser versteht man die eigenthümliche Veränderung, welche Weine, zuckerige Flüssigkeiten u.s.w. erleiden, indem sie dick und schleimig zäh werden. Sie geht oft der faulen Gährung voraus, wird eingeleitet durch Zusatz einer Abkochung von gereinigten Bierhefen oder Kleber und abgehalten durch Alaun, geringe Menge einer starken Mineralsäure und besonders durch Gerbestofflösung.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 131-132.
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